Der Mensch braucht das Unendliche

Die Grenze als notwendige Voraussetzung akzeptieren

Rom, 20. August 2012, kath.net/Osservatore von Augusto Pessina

In den Vereinigten Staaten hat Peter Singer, Philosoph an der Universität Princeton und einflussreicher Bioethiker (berühmt geworden als der Vater der Rechte für Tiere), am 15. August im “Scotsman” in einem Artikel zugunsten der Thesen der Abtreibungsbefürworter geschrieben, dass “die Zugehörigkeit zur Art Homo sapiens an sich noch nicht ausreicht, daraus ein Recht auf Leben abzuleiten”. Noch am gleichen Tag blies der Rabbiner Bonnie Margulis, einer der Führer der “Religious Coalition for Reproductive Choice” [“Religiöse Koalition für die freie Entscheidung zur Fortpflanzung”] des Bundesstaates Wisconsin, auf “LifeSiteNews.com” in dasselbe Horn, indem er die These vertrat, dass eine Abschaffung des Rechtes auf Abtreibung die “Quintessenz des Mensch-Seins selbst verletze”.

Zur gleichen Zeit werden weiterhin in Laboratorien neue Zellkulturen gezüchtet, die aus menschlichen Embryonen gewonnen werden, von denen einige gar dazu bestimmt sind, zu Versuchen in vitro benutzt zu werden, um die Zahl der Tierversuche zu reduzieren. Vor einigen Monaten hat eine Koalition aus bedeutenden Geldgebern der biomedizinischen Forschung und Patientenvereinigungen ein gemeinsames Dokument verabschiedet, um beim Europäischen Parlament eine Fortsetzung der Finanzierung der Stammzellenforschung zu erbitten.

Klinische Versuche, die menschliche Stammzellen benutzen, sind mittlerweile in weiten Teilen der Welt im Gange, mit dem Ziel, sowohl deren Verträglichkeit als auch ihre Wirksamkeit zu testen. Auch in Italien sind Versuche mit Embryonal- bzw. Phoetalzellen im Gange, die, wie betont wird, angeblich von spontanen Fehlgeburten stammen. Aber die Hoffnung, dass dies einen ethisch vertretbaren Weg darstellen könnte, ist eine Illusion.

Eine wissenschaftliche Studie, die soeben in “BioResearch Open Access” (1, Nr. 4, August 2012) erschienen ist, weist nach, dass menschliche Stammzellen selbst nach 18 Jahren der Einfrierung in flüssigem Stickstoff ihre Pluripotenz behalten und nach wie vor in Zelltherapien verwendet werden könnten. Deshalb wird empfohlen, menschliche Embryonen als wirksame biomedizinische Strategie für Zelltherapien auf breiter Basis einzufrieren und “Banken” anzulegen.

Zu diesem Panorama, das durch einen übersteigerten Wettlauf nach Ergebnissen und Erfolgen charakterisiert ist, gesellt sich eine weitere Stimme aus Italien, wo in Rimini das Treffen für die Freundschaft unter den Völkern eröffnet wird. Es steht unter einem Thema, das einen Satz Don Giussanis aufgreift: “Die Natur des Menschen ist Beziehung mit dem Unendlichen.” Was hier ins Auge sticht, ist vor allem die Natürlichkeit des Vorschlags: der eigenen Natur auf den Grund gehen, um sich bewusst zu werden, dass unser Leben nach “etwas Grösserem” strebt. Denn, wie Benedikt XVI. in Mexiko und Kuba wiederholt gesagt hat: “Der Mensch braucht das Unendliche.”

Um die Erfahrung dieses Bedürfnisses zu machen, genügt es, einfachen Herzens den Alltag zu leben, noch mehr erfährt man dies aber gerade da, wo sich die eigenen Schwächen zeigen. So schrieb Romano Guardini: “Das Ewige steht nicht in Beziehung zum Bios, sondern zur Person. […] Das Bewusstsein von diesem Nicht-Vergehenden wächst in dem Masse, als das Vergehen in Aufrichtigkeit angenommen wird. Wer vor ihm davonläuft, es verdeckt oder verleugnet, bekommt es nicht zu Bewusstsein… […] Das Endliche wird transparent für das Absolute.”

Die Herausforderung an uns besteht also nicht darin, aus eigener Kraft die Grenze zu überschreiten, sondern sie als notwendige Voraussetzung zu akzeptieren, um entdecken zu können, dass eine “letzte und geheimnisvolle” Beziehung existiert, die uns definiert.

Diese Beziehung, ohne die keine wissenschaftliche, medizinische, biologische und neurobiologische Forschung je möglich ist, macht den Menschen (inklusive seiner biologischen Struktur) zu einem Wesen, das weder reduziert noch manipuliert werden darf, zu einem Wesen, über das man nicht verfügen kann.

Dies war auch das Zeugnis Jérôme Lejeunes, dessen Seligsprechungsprozess auf Diözesanebene vor einigen Monaten in Paris abgeschlossen wurde und dem das genannte Treffen in Rimini eine Ausstellung widmet. Er war einer der Begründer der klinischen Genforschung, Entdecker der Ursachen diverser genetischer Syndrome (darunter auch des Down-Syndroms), dem seines ethischen Standpunkts wegen der Nobel-Preis vorenthalten wurde. In der Tat bezeichnete er gerne jeden einzelnen Menschen als “einzigartig und unersetzlich” – gerade aufgrund seiner Beziehung zum Unendlichen.

Augusto Pessina, Medizinprofessor an der Universität Mailand, Präsident der Associazione Italiana Colture Cellulari [Italienische Zellkultur-Vereinigung]

PapstJohannesPaulII: Botschaft zum Tod von Prof. Lejeune
Fondation Lejeune
Abtei Saint-Wandrille

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