Geborgen im Namen Jesu

Emmanuel Jungclaussen hat einen Weg zu Gott aufgezeigt

Der 82-jährige Altabt Emmanuel Jungclaussen hat viel zu tun. “Stress” ist für ihn kein Fremdwort. Noch in hohem Alter ist er gefragt bei Kursen, als Seelsorger, als Autor. Manchmal wird es zu viel. Er stösst sich mit beiden Händen vom Schreibtisch ab, sein Bürostuhl rollt zurück, der Mönch senkt den Blick, die Hände liegen offen auf seinem Schoss. Er schliesst die Augen und betet: “Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner!” Dieses Gebet schenkt ihm “einen tiefen inneren Frieden”, sagt er. Diesen Wunsch kennt er seit Kindestagen, und diese Geborgenheit zu erlangen war ein abenteuerlicher Weg.

Der Krieg zerstörte in den 1940er Jahren im Leben von Walter Jungclaussen (so hiess er damals noch) alles, was ihm wichtig war. Die Familie betrieb in Frankfurt an der Oder zusammen mit Verwandten eine Gross-Gärtnerei von 170 Hektar. Weil sie Anhänger der anthroposophischen Lehren von Rudolf Steiner waren, setzten Jungclaussens auf eine naturnahe, sanfte Bewirtschaftung. Die protestantischen Eltern – gläubig und liberal zugleich – begründeten in ihren zwei Töchtern und ihrem Sohn Walter eine tiefe Naturverbundenheit, die sie noch heute prägt und tief verbindet.

Die Familie lebte voller Harmonie und in einer grossen Geborgenheit zusammen, die Eltern verband untereinander eine innige Liebe. Der Einmarsch der Sowjet-Truppen machte alldem ein jähes Ende: Der Vater wurde verhaftet und kam in ein Nachkriegs-KZ der siegreichen Russen – und starb dort. Ein grosser Schmerz für die Familie. Abt Emmanuel hält inne beim Erzählen, seine Stimme bricht, die innere Erregung ist ihm anzumerken.

Vom Gefühl der Geborgenheit berichtet der 82-Jährige, wenn er von seiner Kindheit und Jugend erzählt. Von Geborgenheit spricht er auch, wenn er beschreibt, was in ihm die Gebetsübung bewirkt, die er wie kein anderer in Deutschland bekannt gemacht hat: das Jesusgebet.

Tipp eines Schulkameraden

Die 1940er Jahre waren Zeiten der Veränderungen, des Umbruchs für den jungen Walter Jungclaussen. Schon 1944 hatte er im Wiener Stephansdom “einen enorm feierlichen Gottesdienst” erlebt – und dabei Feuer gefangen für katholische Liturgie und Frömmigkeit. Dem ging er nach und fand nach der Flucht einen Jesuiten in Hamburg, der ihm Bücher lieh und Fragen nach dem katholischen Glauben “offen und ohne jede Beeinflussung” beantwortete.

Ein Schulkamerad, der Russisch sprach, erzählte ihm schon damals von einem in Russland weit verbreiteten und geschätzten Buch. In den “Aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers” berichtet ein orthodoxer Gläubiger seinem geistlichen Begleiter von seinen Erfahrungen mit dem immerwährenden Jesusgebet und einer tiefen Gotteserfahrung, nach der sich der Abiturient Jungclaussen sehnte.

1946 konvertierte er und wurde in Hamburg katholisch. Seine Mutter hatte Angst, dadurch ihren Sohn zu verlieren; doch später machte sie den gleichen Schritt wie ihr Jüngster. Der noch mehr wollte: Er entschied sich, katholischer Priester zu werden. Für das Bistum Osnabrück studierte er Theologie in Frankfurt am Main, 1953 empfing er die Priesterweihe und wurde Kaplan in Fürstenau. “Eine schöne Zeit”, erinnert er sich.

Und doch: In ihm blieb eine Unruhe. Schon als Junge hatte er sich für Klöster und das Klosterleben im Mittelalter interessiert – nicht gerade typisch für den Spross eines evangelischen Elternhauses. Dieses Interesse war ungebrochen. In den 1950er Jahren erlebte die niederbayerische Benediktinerabtei Niederaltaich eine ungeahnte Blüte; viele junge Männer traten dort ein. Darauf wurde der Kaplan aus Fürstenau aufmerksam. Grosse Faszination ging von Emmanuel Heufelder aus – seinerzeit Abt des schon im frühen achten Jahrhundert gegründeten Klosters. “Er hatte eine starke, väterliche Ausstrahlung, und die schlug auch mich in den Bann.”

Walter Jungclaussen schilderte Abt Heufelder seine Überlegungen, Benediktiner werden zu wollen und beschrieb auch seine Unsicherheit. Dessen Antwort: “Mir ist längst klar, dass Sie zu uns gehören.” Das wirkte. Der junge Geistliche trat 1955 in das Kloster Niederaltaich ein und erhielt den Namen Emmanuel. Von 1989 bis 2001 war er  dort Abt.

Das Besondere an der Abtei sind die parallel gepflegten Riten im römischen und im byzantinischen Stil. Der ostkirchlich ausgerichteten Art des klösterlichen Lebens schloss sich auch Jungclaussen an. Vielfältig war er im Kloster eingesetzt: im angeschlossenen Gymnasium St. Gotthard als Lehrer und in der Seelsorge der Pfarrei Niederaltaich, wo er als einer der Ersten in Bayern ökumenische Trauungen ermöglichte.

“Emmanuel”, das heisst übersetzt “Gott ist mit uns”. Emmanuel Jungclaussen entdeckte im Jesusgebet einen geistlichen Weg, dorthin zu gelangen: zum “Gott-mit-uns”. Er propagierte diesen Weg und wurde zum wohl wichtigsten Lehrer des Jesusgebets im deutschsprachigen Raum, und dies wurde er vor allem durch die Herausgabe der “Aufrichtigen Erzählungen”, von denen ihm einst der Mitschüler erzählt hatte. Russische Mitbrüder in Niederaltaich halfen bei der vollständigen Übersetzung des aus zwei Teilen bestehenden Pilgerberichts. Der Herderverlag veröffentlichte diesen Klassiker der russisch-orthodoxen Spiritualität als erste vollständige Ausgabe in deutscher Sprache mit einer theologisch-geistlichen Einführung von Emmanuel Jungclaussen.

“Das Buch ist ein spiritueller Krimi”, meint Abt Emmanuel. Der Inhalt: Der russische Pilger hört in einem Gottesdienst die Lesung aus dem ersten Thessalonicherbrief “Betet ohne Unterlass” (1 Thess 5,17). Er fragt sich: Wie geht das – unablässig beten? Er findet einen Lehrer, der ihn das Jesusgebet lehrt: “Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner.” Dieses wiederholt er – immer und immer wieder. Auf seinen Wanderungen durch Russland erlebt der namenlose Pilger viele Abenteuer – und wie das Gebet irgendwann in ihm quasi von allein betet und er so immer neue Gotteserfahrungen macht. Vieltausendfach ist das Buch verkauft worden.

Gut ein Dutzend weiterer Bücher, Schriften und Aufsätze hat Emmanuel Jungclaussen zum Jesusgebet, das auch Herzensgebet genannt wird, veröffentlicht.

Er selbst hat seinen Weg zum Jesusgebet über die “Aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers” gefunden. Als Autodidakt und mit Hilfe eines Paters der Abtei Maria Laach erlernte er das Gebet. Es war “die Einfachheit des Gebets”, die Abt Emmanuel ansprach. Sie traf in ihm auf eine “tiefe Sehnsucht nach mystischer Erfahrung, die schon von Kindheit an da war, etwa in dem Gefühl des Einsseins mit der Natur”. Beim Pilger entdeckt der Benediktiner diese Erfahrungen – “und die haben mich selbst mein Leben lang bewegt und getragen”. Er wollte die Beziehung zu Christus immer mehr vertiefen und diese pflegen – dies ermöglichte ihm das Jesusgebet mit seiner fortwährenden Wiederholung.

Jesu Nähe erfahren

Für alle, die das Gebet erlernen möchten, empfiehlt er den Pilgerbericht mit seiner Einführung. Gut wäre auch ein Seelsorger, der selber Erfahrungen mit dem Gebet gemacht hat, als geistlicher Begleiter auf dem Weg des Erlernens. Aber nicht der Wunsch nach einem “geistlichen Genuss” dürfe vorrangig sein. Es gehe um das Verlangen, “Christus zu gehorchen, um – durch die innere Umwandlung mittels dieses Gebetes – ihm ganz zu gehören”.

Der Ordensmann berichtet von seiner Erfahrung mit dem Namen Jesu: “Der Name Jesus bedeutet für mich die Person und die Möglichkeit, durch den Gebrauch dieses Namens die Nähe der Person Jesu zu erfahren.” Aber Abt Emmanuel warnt davor zu meinen, dass man in “mystische Zustände” gerate, wenn man das Gebet pflege; das sei Magie. Das Jesusgebet könne so auch zu einer fixen Idee werden.

Vielmehr sei das Gebet ein Weg – der aus vielen, “oftmals mühsamen Schritten” bestehe. Zunächst könne sich der Beter täglich sieben, zehn, 15 Minuten dem Jesusgebet widmen; später dürfte es auch eine halbe Stunde sein. Disziplin sei erforderlich, die Feier der Eucharistie, die regelmässige Lektüre der Heiligen Schrift, ein Leben mit den Sakramenten und nach den Geboten Gottes – das gehöre alles dazu, macht der Altabt von Niederaltaich deutlich. Und gerade in Zeiten “geistlicher Trockenheit” solle man an der Gebetsübung festhalten.

Durch die regelmässige Praxis “steigt das Gebet vom Hirn in das Herz”, das bestätigt Altabt Emmanuel. “Aber es muss natürlich – nicht zwanghaft – hinabsteigen.” Dies ist nach seiner Darstellung zwar ein wenig Menschen- aber vor allem Gotteswerk: “Der Mensch kann sich bereit halten – was Gott tut, wissen wir letztlich nicht, aber er tut etwas! Die Erfahrungen, die man durch das Jesusgebet macht, sollte man nicht als eigene Erfolge sehen, sondern als Geschenk Gottes. Ich kann nichts erzwingen – das ist auch tröstlich zu wissen.”

Als eigentliches Ziel des Gebets bezeichnet es Abt Emmanuel, den Menschen in die Gegenwart Gottes zu führen. “Die Gegenwart Gottes kann ich auf vielfältige Weise erfahren – das Jesusgebet ist einer der Wege, diese Gegenwart in ihrer ganzen Fülle und Weite bezogen auf mich und mein Inneres zu sehen. Es bewirkt einen tiefen inneren Frieden in allem Stress.”

Doch macht er auch klar: “Die Bitte um das Erbarmen des Herrn ist der Weg der bedingungslosen Hingabe, denn nur er weiss wirklich, wessen ich bedarf, um ihm ganz zu gehören.” Schmerzhafte Erlebnisse seien nicht auszuschliessen.

Was kann das Jesusgebet geben? “Geborgenheit in der Nähe Gottes” – und die Ruhe und Gelassenheit des alten Abts zeigt, das er sie in sich spürt.

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Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers

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