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Abstimmungssonntag, 17. Juni 2012

Exit fordert offene Türen in Pflegeheimen

Neue Zürcher Zeitung,  5. Juni 2012

Im Waadtland wird über eine Initiative für Sterbehilfe und Gegenvorschlag abgestimmt

Am 17. Juni stimmt die Waadt über eine Exit-Initiative ab, die freien Zugang zur Sterbehilfe in allen subventionierten Pflegeheimen verlangt. Das Kantonsparlament will eine Suizidhilfe aber nur mit Zustimmung der Ärzte und des Pflegepersonals.

Christophe Büchi, Lausanne

Als zweiter Kanton nach Zürich stimmt die Waadt über die Sterbehilfe ab.

Dem Volk liegt eine Initiative der Organisation Exit vor, die einen neuen Passus in das kantonale Gesundheitsgesetz einfügen will. Dieser besagt, dass alle öffentlich subventionierten Pflegeheime (“établissements médico-sociaux”) ihren Insassen, die ein entsprechendes Gesuch einreichen, das Recht auf Sterbehilfe (“suicide assisté”) seitens einer spezialisierten Organisation oder ihres behandelnden Arztes gewähren müssen. Diese Volksinitiative wurde 2009 mit 14 067 Unterschriften eingereicht. Zurzeit wenden die Waadtländer Institutionen unterschiedliche Praktiken an. Eine Mehrheit lässt bereits heute eine Sterbehilfe zu. Eine Minderheit dagegen lehnt sie ab, mit dem Argument, eine Beihilfe zum Suizid laufe dem Auftrag eines Pflegeheims entgegen und belaste das Gemeinschaftsleben in erheblichem Mass.

Gegen Missbrauch

Auch nach Ansicht der Kantonsregierung und des Grossen Rats geht die Initiative zu weit, weil sie keine begleitenden Massnahmen zur Sterbehilfe vorsieht. Die Gefahr eines Missbrauchs sei bei einer Annahme der Initiative hoch, ist die Mehrheitsmeinung: Alte und schwer behinderte Menschen könnten versucht sein, unter dem Einfluss von Angehörigen oder gewisser Organisationen – oder in einer depressiven Phase – einen Suizidwunsch zu äussern, der nicht Ausdruck des freien Willens sei. Man müsse deshalb das Recht auf Sterbehilfe mit Sicherheitsmassnahmen flankieren. Eine andere Kritik an der Initiative lautet dahingehend, dass sie nur die Pflegeheime betreffe, eine gute Lösung aber auch die Spitäler einschliessen müsse.

Exekutive und Legislative entschlossen sich deshalb zur Ausarbeitung eines Gegenvorschlags. Der Text, der jetzt den Stimmbürgern unterbreitet wird, bestimmt, dass öffentliche Spitäler und Heime (“établissements sanitaires”) ein Gesuch um Sterbehilfe nicht ablehnen dürfen, sofern gewisse Bedingungen erfüllt sind. Insbesondere muss der verantwortliche Arzt mit dem Pflegepersonal und im Gespräch mit den Angehörigen sicherstellen, dass die betroffene Person ihren Suizid-Willen mit klarem Kopf formuliert hat und an ihm festhält; dass sie an einer unheilbaren Krankheit leidet; und dass über Alternativen (Palliativmedizin) mit ihr diskutiert wurde.

Verhaltene Ärzteschaft

Dieser Gegenvorschlag wurde im Kantonsparlament mit 103 zu 5 Stimmen und 17 Enthaltungen verabschiedet, die Initiative ebenso deutlich abgelehnt. Ein “Ja” zum Gegenvorschlag und ein “Nein” zur Initiative werden jetzt auch von der FDP, der SVP und der SP in seltener Einmütigkeit empfohlen. Die Grünen und die Linksparteien empfehlen eine doppelte Zustimmung. Bei der Zusatzfrage, welcher der beiden Texte bei einem doppelten “Ja” gelten soll, sind sich alle Parteien einig: der Gegenvorschlag. Auch die Ärzte sprechen sich mehrheitlich für den Gegenvorschlag aus, wenn auch grösstenteils ohne Begeisterung.

“Am liebsten hätten wir überhaupt nicht legiferiert”, sagt der liberale Grossrat und Arzt Philippe Vuillemin. Auch Palliativmediziner geben zu bedenken, es sei besser, das Leiden und nicht den leidenden Menschen zu “eliminieren”. Aber vor die Wahl zwischen Initiative und Gegenvorschlag gestellt, geben viele Ärzte letzterem den Vorzug.

Minderheit für “Nein nein”

Allerdings gibt es auch Stimmen, die beide Vorlagen ablehnen und den Status quo beibehalten möchten. Sie argumentieren, dieser lasse den verschiedenen Heimen und Spitälern die Freiheit, das schwierige Problem Sterbehilfe auf ihre Art zu handhaben. Manche Ärzte und Vertreter der Pflegeberufe sowie der Heim-Direktionen fürchten, dass sie bei Annahme des Gegenvorschlags in schwierige Entscheide einbezogen würden, die man besser den Patienten, ihren Angehörigen und den behandelnden Ärzten überliesse. Leute aus dem Pflegepersonal etwa könnten in arge Gewissensnöte geraten, wenn sie sich an Diskussionen beteiligt müssten, die zu einem für sie inakzeptablen Suizidhilfe-Entscheid führten, warnen sie.

Opposition gegen beide Vorlagen kommt auch aus konservativen Kreisen, beispielsweise aus der Ligue vaudoise, sowie aus der katholischen Kirche. Zu den wenigen Persönlichkeiten, die sich öffentlich für ein doppeltes Nein ausgesprochen haben, gehört der für die Waadt zuständige Generalvikar des Bistums Lausanne-Genf-Freiburg, Marc Donzé, ein angesehener Theologe. In der reformierten Kirche scheint man dagegen mehrheitlich für den Gegenvorschlag zu sein.

Anm. Redaktion:  In welche furchterregend gottlose Zeit hat dieser katastrophale Wertezerfall unser Land in wenigen Jahren manövriert. Zuerst die hilflosen Kinder und nun also auch noch die unserer Hilfe bedürftigen Alten, Kranken, im weitesten Sinne “Randständigen”?

Quelle

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