Der grosse Lehrer des Gebets
Benedikt XVI., Generalaudienz
Petersplatz, Mittwoch, 23. Mai 2012
In der heutigen Katechese möchte ich fortfahren, über das Gebet nach dem heiligen Paulus zu sprechen. Für Paulus ist es der Heilige Geist, der grosse Lehrer des Gebets, der uns unterweist, Gott als unseren liebevollen Vater, “Abba”, anzurufen, wie es Kinder bei ihrem leiblichen Vater tun. In zwei Briefen geht er auf diesen Geist der Kindschaft ein, der uns als Getauften gegeben ist. Im Galaterbrief sagt er: “Weil ihr Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater” (vgl. 4,6). Während hier der Geist in uns ruft, sind im Römerbrief wir es, die zum Vater sagen “Abba, Vater!”: “Ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater!” (8,15). Unser Beten geht also nicht nur in einer Richtung von uns zu Gott, sondern ist doppelseitig: Gott ergreift in uns die Initiative.
Und wir könnten gar nicht zu beten beginnen, wenn nicht sozusagen die Initiative Gottes im Menschen einfach vorhanden und eingeschrieben wäre und durch die Taufe neu und stärker geworden wäre. Es ist also der Heilige Geist, der uns ruft, der unseren Verstand und unser Herz öffnet, damit wir überhaupt gewahr werden, dass es Gott gibt, und anfangen können, uns auf ihn auszustrecken. Das Gebet Jesu wird damit unser Gebet. Wir können wirklich als Söhne beten. Der Heilige Geist, der Geist Christi, führt uns in eine Liebesbeziehung mit dem Vater. In ihr werden unsere Wünsche und Haltungen gereinigt, Verschlossenheit, Selbstgenügsamkeit und Egoismus, die für den Menschen charakteristisch sind, überwunden und aufgelöst.
Und dazu dient das Beten: dass immer wieder diese Verschlossenheit aufgerissen wird. Indem wir auf Gott hin offen werden, werden wir aufeinander hin offen. Das Beten ist daher auch nie bloss etwas Individuelles. Auch wenn ich im stillen Kämmerlein bete, ist durch das Beten die ganze lebendige Gemeinschaft der Glaubenden mit mir, beten wir immer miteinander, und von ihr lernen wir überhaupt das Beten. Wir nehmen im Beten teil an der grossen Symphonie der Beter überall auf der Erde, die ihr Lob zu Gott erheben. Während unseres ganzen Lebens wollen wir versuchen, in dieses Offensein für Gott und damit in das Mitsein mit allen, die auf Gott hinschauen und von ihm leben wollen, zu lernen und so wahrhaft und in der Tiefe unseres Herzens und in der Höhe unseres Seins sagen zu können: “Abba, Vater!”
* * *
Mit Freude grüsse ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Öffnen wir unser Gebet dem Wirken des Heiligen Geistes, damit es uns wirklich umwandle und damit sichtbar werde, was es heißt, Christ zu sein. Der Herr segne euch alle!
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