Auf dem Äquator des deutschen Zentralkatholizismus

Einen neuen Aufbruch wagen?

Wenn ein gebrochener Knochen nicht heilen will, bricht er auf. Wenn eine Wunde sich nicht schliesst und zu eitern beginnt, kann sie aufbrechen. Aufbrüche sind Katastrophen. Alexander Kissler / Vatican Magazin

Mannheim, kath.net/Vatican-Magazin, 15. Mai 2012

Wenn ein gebrochener Knochen nicht heilen will, bricht er auf. Wenn eine Wunde sich nicht schliesst und zu eitern beginnt, kann sie aufbrechen. Wenn die Erde bebt, Häuser wanken und die Strasse die Menschlein in den Abgrund zieht, bricht der Asphalt auf. Aufbrüche sind Katastrophen. Sie ereignen sich am Zenit einer Fehlentwicklung. Dann hilft nur Ruhe, Schonung, Gottvertrauen.

Insofern ist es ein berückender Einfall, den Katholikentag des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, der am 16. Mai in der deutschen Universitätsstadt Mannheim beginnen soll, unter das Motto zu stellen: “Einen neuen Aufbruch wagen.” Begleitet wird er vom Alternativprogramm der Kirche von ganz unten, pfiffig betitelt: “Du musst dein Ändern leben.” Der umgedrehte Rilke also, der gewendete Sloterdijk sei das Panier, wenn Kirchenkritiker mit Leib und Zunge die Realpräsenz ihrer selbst vorführen. Weil sie sind und nur im Modus grimmigen Rechthabens sind, muss die geharnischte Kritik, die sie üben, von dieser Welt sein. Dass dem nicht so ist, nennt man den naturalistischen Fehlschluss der Kritikindustrie.

Schleierhaft aber bleibt, warum es nötig sein soll, ihn zu wagen, den schmerzenden Aufbruch. Dessen Wesenszug ist, dass er uns zustösst, wenn wir ihn am wenigsten gebrauchen können, dass er, uns aufbrechend, Gestalt annimmt in uns. Ein organisierter Aufbruch ist ein Widerspruch in sich. Ein alter Aufbruch wäre es auch, weshalb zudem der Pleonasmus sein Haupt erhebt. Aufbrüche sind unkalkulierbar und je erstmalig. Wohl aber lassen sich Agenden formulieren, Ansprüche verstärken, Strategien bündeln. Und das ist wohl gemeint mit dem zentralkatholischen Aufbruch, der des Wagens bedarf.

Darauf deutet das Interview, das der Präsident des deutschen Zentralkomitees und Erzbischof Robert Zollitsch der klugen Journalistin Christiane Florin gaben. Es heisst “Vitamin K. Warum wir die katholische Kirche brauchen”, umfasst 156 Seiten, und wir lernen: Früher war alles besser und alles schlimmer. Besser, sagt der 72-jährige Alois Glück, war es insofern, als “früher” eine “gewisse pastorale Bandbreite selbstverständlich war, heute muss der Pfarrer fürchten, beim Bischof angeschwärzt zu werden.” Dieses Früher ist vermutlich das Früher der 1970er Jahre, als Eugen Drewermann katholisch war.

Schlimm war das Früher der 1950er und 1960er Jahre. Damals erlebte Alois Glück “religiöse Angstpädagogik” im “geschlossenen katholischen Kosmos”. Und “früher reichte es tatsächlich oft, ganz allgemein den Anspruch des Christlichen anzuführen.” Früher gab es “sozialen Zwang, Normen einzuhalten”, früher “war keine individuelle Glaubensentscheidung gefordert.” Damit beschreibt Glück nicht Cottbus 1950, wo es keinen geschlossenen katholischen Kosmos gab, nicht Chemnitz 1960, wo sehr wohl eine persönliche Entscheidung gefordert war, nicht Rostock 1970, wo der Anspruch des Christlichen keinen Pfifferling zählte. Alois Glücks Bild von Früher, in Wohl und Weh, ist bayrisch-schwäbisch-fränkisch. Er redet als Regionalhistoriker.

Deshalb spricht wenig dafür, dass die partnerschaftliche Kirche mit Frauendiakonat, die dem Zentralkatholiken vorschwebt, mehr sei als eine landestypische Spezialität. Auch das schlimme Früher, das in Gestalt einer “konservativen Strömung gegenwärtig vor allem auch bei jungen Leuten” in das aufbrechende Jetzt hinein schwappt, ist wohl eine rückblickende Angstprojektion. Und wie verhält es sich mit Glücks Erkenntnis, die Muslime seien Christen – sie hätten schliesslich keine grössere “Kirchenbindung” als die Getauften? Und wie mit dem Schauder vor “starken Strömungen, die sich nicht mehr auf das Kompromisshafte der modernen Welt einlassen wollen”?

Immer ist das Früher der Zeiten letzter Richter, ist es das Mass, das Ebbe und Flut scheidet, der Äquator des deutschen Zentralkatholizismus. Ist dieser also selbst eine Veranstaltung aus immer früherem Geist, die Mode der je letzten Saison?

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