Ostern 2012 update

Homilie von Vitus Bischof Huonder von Chur

Brüder und Schwestern im Herrn,

früher sagte man Selbstmord, heute spricht man von Freitod. Diese Sprachentwicklung zeigt einen tiefen Gesinnungs- und Bewusstseinswandel an, nämlich den Wandel von Gott hin zum Menschen, vom theozentrischen zum anthropozentrischen Denken; vom Gottesrecht zum Recht auf Selbstbestimmung. Im einen Fall weiss sich der Mensch vor Gottes Angesicht gestellt; er ist sich bewusst, dass er für sein Tun und Lassen vor Gott verantwortlich ist; im andern Fall hält er sich einzig seiner Person gegenüber verpflichtet. Im einen Fall nimmt er sich als Geschöpf an, als Gottes Schöpfung; im andern sieht er sich als Produkt einer Entwicklung, die ihm die Herrschaft  über sich selbst verleiht. Im einen Fall weiss er sich unter Gottes Gebote gestellt; im andern gibt er sich das eigene Gesetz; nichts und niemand kann ihm irgendwelche Vorgaben machen.

Das ist die ambivalente Situation, in die wir heute hineingestellt sind – oder wieder hineingestellt sind, denn es gab sie schon einmal, zum Beispiel im römischen Heidentum –  die ambivalente Situation, in der wir nach der Wahrheit suchen, beziehungsweise uns als Gläubige, als Christgläubige bewähren müssen. Das ist aber auch eine Situation, die viel Unsicherheit und Verwirrung mit sich bringt,; denn tatsächlich gibt es heute viele Gläubige, die von der Variante Freitod überzeugt sind. Sie spüren gar nicht mehr, dass diese Ansicht im Gegensatz zu unserem Glauben steht und der christlichen Weltanschauung widerspricht.

Im ersten Buch Samuel (1 Sam 2,6) lesen wir: “Er (der Herr) macht tot und lebendig, er führt zum Totenreich hinab und führt auch herauf.” Die Verfügung über Tod und Leben liegt in Gottes Hand. Nur Gott ist Herr darüber. Der Mensch kann das Leben nur aus Gottes Hand empfangen, und er kann es in Gottes Hand zurückgeben. Doch die Verfügung über den Tod, die Verfügung über sein Sterben, wird er als Glaubender Gott überlassen. -Er soll aber immer um eine gute Todesstunde beten. Das ist nicht nur erlaubt, sondern wird sehr empfohlen. In diesem Sinn schliesst das tägliche Gebet der Kirche mit dem Ruf ab: “Eine ruhige Nacht und ein gutes Ende gewähre uns der allmächtige Herr.”- “Noctem quietam et finem perfectum concedat nobis Dominus omnipotens”, beten wir auf Latein, in der “Muttersprache” der Kirche. “Eine ruhige Nacht und ein vollkommenes Ende gewähre uns der allmächtige Herr.” Ja, möge der Herr uns eine Todesstunde schenken, da wir vollkommen sind, da wir uns im Stand der Gnade befinden, da unser Leben in seinen Augen ein vollendetes Werk, ein Werk zu seiner Ehre und Verherrlichung, aber auch ein Werk zu unserem ewigen Heil ist.

Wenn ich heute, an Ostern, dazu ein Wort sage, dann weil wir eben im Tod, in unserem Sterben, an der Auferstehung unseres Herrn teilhaben. Dann wirkt sich die Auferstehung an uns aus, dann wirkt sie sich an uns endgültig aus. Deshalb sagt uns der heilige Paulus in der eben gehörten Lesung aus dem Brief an die Kolosser: “Ihr seid mit Christus auferweckt; darum strebt nach dem, was im Himmel ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt. Richtet euren Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische” (Kol 3,1). Der Massstab für unser Leben ist bei unserem Herrn im Himmel niedergelegt. Er selber, sein Vorbild und seine erlösende Macht sind für uns ausschlaggebend.

Noch klingt in unseren Ohren die Bitte Jesu am Ölberg: “Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst” (Mk 26,39). Der Kelch blieb ihm nicht erspart. Er ging nicht vorüber. Doch der Vater hat seinen Sohn nicht verlassen, sondern ihn durch sein Leiden hindurch zur Herrlichkeit der Auferstehung geführt und ihm alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden (Mt 28,18), auch die Macht über Leben und Tod. Ihm, dem Auferstandenen, übergeben wir alles, auch unser Leben und unser Sterben, indem wir die Worte des heiligen Paulus tief in unser Herz aufnehmen: “Wenn Christus, unser Leben, offenbar wird, dann werdet auch ihr mit ihm offenbar werden in Herrlichkeit” (Kol 3,4).

Amen.

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