Jesu vollkommene Hingabe
Impuls zum 5. Fastensonntag
Von Msgr. Dr. Peter von Steinitz*
Münster, 23. März 2012, zenit.org
Vor der Liturgiereform hiess der 5. Fastensonntag auch Passionssonntag, er eröffnete die Passionswoche, die acht Tage später mit dem Palmsonntag in die Karwoche übergeht. Mit anderen Worten: jetzt wird es wirklich ernst. Falls wir bisher die Österliche Busszeit nicht so ganz “comme il faut” gelebt haben, so können wir jetzt – nämlich durch die Betrachtung des Leidens Christi – den tieferen Sinn dieser liturgischen Zeit in uns aufnehmen.
Stellen wir die Grundfrage: Warum leidet Christus? Wir kennen die Antwort: durch sein Leiden hat er uns erlöst. Schon im Alten Testament spricht der Prophet Jesaja davon: “Fürwahr, er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen” (Jes 53,4). Man nennt das Buch Jesaja auch das 5. Evangelium. Es schildert mit bestürzender Deutlichkeit – fast acht Jahrhunderte vor Christus – wie der “Gottesknecht”, also Jesus Christus, die Sünden der anderen auf sich nimmt und sie abbüsst. Ja, es wird deutlich von einem stellvertretenden Sühnopfer gesprochen: “Mein Knecht, der gerechte, macht die vielen gerecht, er lädt ihre Schuld auf sich” (Jes 53,11).
Gewiss, der beleidigten Gerechtigkeit Gottes muss Genüge getan werden. Aber könnte Gott nicht die Sünden der Menschen kraft seiner Allmacht einfach vergeben und löschen? So etwa sehen es die Muslime, die allerdings die Menschwerdung Gottes nicht kennen.
Wenn wir versuchen, dieses offensichtliche Geheimnis etwas zu ergründen, müssen wir zwei Grundwahrheiten akzeptieren.
Gott hat dem Menschen völlige Freiheit gegeben, er kann diese sogar gegen Gott gebrauchen, dann sündigt er. Die Sünde ist das eigentliche Übel.Indem die ersten Menschen gesündigt haben, wurde die vollkommene Harmonie, in der Gott den Menschen und seine Welt geschaffen hatte, empfindlich gestört. Es kamen als Folge der Sünde alle negativen Dinge in die Welt: Hass und Streit, Elend und Kummer, Krankheit und Tod. Im Buch der Weisheit (Weish 1,13) heisst es ausdrücklich: “Gott hat den Tod nicht gemacht” (sic), d.h. vor dem Sündenfall war die Welt anders, sie war vollkommen und nur gut (logisch, denn Gott macht alles gut). Grund für diese Störung, die nicht nur das Innere des Menschen, sondern auch die äussere Welt beeinträchtigt hat, ist die Sünde, und zwar die Sünde der Menschen, nicht irgendeine nebulöse “Sünde der Welt”. Wir haben gesündigt, und wir Menschen sind für den daraus folgenden Zustand verantwortlich, den wir zusammenfassen können unter dem einen Begriff: Leid. Gott hat aber den Menschen nicht zum leiden, sondern zur Freude geschaffen. Wir wehren uns instinktiv gegen das Leiden. So hat auch Jesus selbst im Ölgarten angesichts des vor ihm liegenden Leidens geseufzt und den Vater gebeten, “den Kelch vorübergehen zu lassen”.
Wenn Jesus nun freiwillig das Leiden auf sich nimmt, dann will er dadurch nicht nur die Sünde wegnehmen und verzeihen – das ginge auch ohne Leiden – er will vielmehr die “Krankheit” (verstanden im Sinne von Jesaja) heilen. Er ist wirklich der Heiland. “Durch seine Wunden sind wir geheilt worden.” (Jesaja 53, 4-5)
Alle die Schäden, die die Sünde in unserm Leib und unserer Seele angerichtet hat, will er von Grund auf heilen. Man könnte auch sagen, er dreht das Rad der Geschichte zurück: die Sünde hatte Leid hervorgebracht, sein Leiden hebt die Sünde wieder auf. Wohlgemerkt: die Sünde und ihre Folgen.
Dann verstehen wir auch, warum Menschen, die in ihrem Leben oft und schwer gesündigt haben, nicht nur die Sünden vergeben bekommen, wenn sie bereuen, sondern, dass Christus ausserdem die Wunden, die die Sünde ihnen geschlagen hatte, heilt, so dass diese Personen nicht nur gerettet werden, sondern anschliessend zu grossen Heiligen emporsteigen können (durch die Gnade Gottes und ihr eigenes Mitwirken). Denken wir an die hl. Maria Magdalena oder den hl. Augustinus.
Aber noch ein drittes gilt es bei der Passion Christi zu bedenken, ein Gedanke, den der Hl. Vater, Papst Benedikt XVI., anspricht. Gott unser Schöpfer könnte mit allem Recht von uns, seinen Geschöpfen, eine vollständige Hingabe an seinen Willen erwarten. Aber wir Menschen tun ihm den Gefallen nicht. Das ist einer der Gründe, warum der Sohn Gottes Mensch geworden ist. Er wollte, stellvertretend für uns alle, dem Vater die vollkommene Hingabe erweisen, die buchstäblich in seiner Selbstaufgabe bestand. “Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht”. Seine Hingabe ist von unendlicher Fruchtbarkeit.
Hier liegt meines Erachtens für uns der Sinn der Österlichen Busszeit, dass wir Jesus Christus auf diesem scheinbar paradoxen Weg folgen. “Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben” (Joh 12,25).
Der Zeitgeist geht in die entgegen gesetzte Richtung: gesund sein, sich wohlfühlen, möglichst alles Unangenehme vermeiden. Wenn der gläubige Christ meint, dass dies nicht das höchste der Gefühle ist, dann nicht, weil er die Unannehmlichkeiten liebt, sondern weil er weiss, dass eine Abtötung, ein Opfer, ein kleines oder grosses, einen Wert hat. Besonders aber dann, wenn er es mit dem Leiden Christi verbindet.
Der Christ kann so beim Werk der Erlösung mitwirken, nach dem Wort des Hl. Paulus: “Ich ergänze an meinem Leib, was am Leiden Christi noch aussteht” (Kol 1,24). Wenn der Mensch sich so als “Miterlöser” sieht, erhält sein Leben einen ungeahnten tiefen Sinn. Denn Leiden gibt es in jedem Menschenleben sowieso. Wenn aber der Mensch sein grosses oder kleines Leiden mit dem Leiden Christi verbindet, dann hört das Leiden auf, sinnlos zu sein.
Österliche Busszeit. Sie hat diesen zweifachen Charakter und die jeweils dazu gehörige Konsequenz:
Busse und Wiedergutmachung für unsere Sünden – Herzensfriede
Freiwillige Teilnahme am Leiden des Herrn – Innige Freundschaft mit Christus.
*Msgr. Dr. Peter von Steinitz, war bis 1980 als Architekt tätig; 1984 Priesterweihe durch den sel. Johannes Paul II.; 1987-2007 Pfarrer an St. Pantaleon, Köln; seit 2007 Seelsorger in Münster. Er ist Verfasser der katechetischen Romane: „Pantaleon der Arzt “ und „Leo – Allah mahabba“.
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