Die Kirche – Ort der ‘Vergöttlichung des Menschen’
Der Aufeinanderprall von Kirche und Welt
Der Kern der Krise der Kirche in Europa ist die Krise des Glaubens. Die ‚Macht’ des mystischen Leibes.
Rom, kath.net/as, 27.02.2012, von Armin Schwibach
Es dürfte wohl kein Zweifel bestehen: die Kirche macht nicht nur in Europa schwere Zeiten durch und spürt unter den verschiedensten Umständen einen harschen Wind, der ihr entgegenweht. Auf dem Prüfstein stehen – nicht “Strukturen”, sondern der Glaube selbst. So stellte sich Papst Benedikt XVI. in seiner Weihnachtsansprache an die römische Kurie (22. Dezember 2011) die Frage: “Was ist Reform der Kirche? Wie geschieht sie? Was sind ihre Wege und ihre Ziele?” Denn: “Mit Besorgnis sehen nicht nur treue Glaubende, sondern auch Aussenstehende, wie die regulären Kirchgänger immer älter werden und ihre Zahl beständig abnimmt; wie der Priesternachwuchs stagniert; wie Skepsis und Unglaube wachsen. Was also sollen wir tun?
Es gibt nicht endende Dispute darüber, was man machen muss, damit die Trendwende gelingt. Und sicher muss man vielerlei machen. Aber das Machen allein löst die Aufgabe nicht. Der Kern der Krise der Kirche in Europa ist die Krise des Glaubens. Wenn wir auf sie keine Antwort finden, wenn Glaube nicht neu lebendig wird, tiefe Überzeugung und reale Kraft von der Begegnung mit Jesus Christus her, dann bleiben alle anderen Reformen wirkungslos”. Dazu kommt eine “Unfruchtbarkeit der aktuellen Evangelisierung”, wie dies der ordentliche Rat des Generalsekretariats der Bischofssynode in einer Mitteilung vom 27. Februar feststellte. Der Rat bekräftigte, dass die “Glaubenskrise” auch eine “Krise der Weitergabe des Glaubens” sei. Gewisse Einflüsse der aktuellen Kultur erschwerten die Weitergabe des Glaubens besonders. Aus diesem Grund betonte der Rat den “Primat des Glaubens”, der gerade auch durch das kommende Jahr des Glaubens hervorgehoben und vertieft werden solle. Nicht wenige meinen jedoch, jenen Wind der Zeit als ihren “kairós” entdeckt zu haben, um endlich Strukturen auszuhebeln, um im Fahrwasser eines Zeitgeistes des Moments die “Macht” der Kirche als “Institution” zu brechen und eine Pluralität der möglichen Meinungen zum Massstab dessen zu erheben, was Geltung haben kann. Die demokratisch orientierte Begleitung der Kirche als Ort der Macht setzt es sich zum Ziel, nicht den Gedanken der Einheit zum Prinzip des Verstehens der Vielfalt zu machen. Vielmehr soll es so sein, dass in einer Einheit alles Vielfältige gleichermassen Geltung beanspruchen kann. Der absolute Wahrheitsanspruch der Kirche und ihrer Lehre wird als Verneinung der Freiheit dargestellt, was durch die bunte Meinungsvielfalt korrigiert werden soll. Dass sich diese Meinungsvielfalt aus dem geschichtlichen Moment des Hier und Jetzt herausbildet, versteht sich von selbst. Ebenso versteht sich von selbst, dass die Geschichte (der katholische Name für Geschichte lautet: Tradition) nur die Zusammenfassung des Vergangenen ist, insofern es einmal etwas gegeben hat, das nicht mehr da ist und somit nur als versteinerte Präsenz wie in einem Museum angestarrt werden kann. Der moderne Aufschwung vollzieht sich so durch eine Musealisierung der Ursprünge und deren geschichtlicher Verwirklichung sowie entsprechend den notwendigen Folgen eines derartigen Vorgehens. Alles Gewesene ist grundsätzlich kritisch zu betrachten, wobei diese Kritik in einer unvernünftigen Weise im Ausgang von der Jetztsicht verwirklicht wird. Worin aber besteht dagegen die eigentliche “Macht” der Kirche? Darin, dass sie mystischer Leib Christi ist, dass sie Braut Christi ist und in der endlichen Welt die unendliche, ewige, absolut wahre Botschaft und den Willen Gottes vorwärts trägt. Die Macht der Kirche ist eine geistliche Macht. Diese geistliche, im Wesen Gottes selbst gründende Macht zu brechen, heisst, die Gegenwart Gottes in seiner Welt zu etwas anderem werden zu lassen, sie in ihrer anspruchsvollen Wirklichkeit in der Weise auszuschliessen, so dass die “Macht” der Kirche der Welt angenehm und von ihr akzeptierbar ist. Das Geistliche, das die Frage nach dem stellt, was zu tun ist, um nicht im Sinnlosen sein Leben zu vertun, löst sich in einer rein ethisch und moralisch artikulierenden Instanz auf: eine Kirche als Ethikagentur oder karitativer Verein, dem es darum geht, den Menschen in seinen Ansprüchen und Rechten zu fördern, soll eine Kirche ersetzen, die die Macht des Geistes verkündet, die wahre Freiheit allein im liebenden Bezug zum absoluten Willen Gottes erkennt.
Ein prägendes Elemente der Geschichte des 20. und des angebrochenen 21. Jahrhunderts ist der grosse Aufeinanderprall der Kulturen – der Kultur der Kirche und der Kultur der säkularen Welt. Dazu gehört die Art, wie die Kirche die Welt gesucht und versucht hat, einen sogenannten Dialog aufzubauen. In diesem Zusammenhang wird gern das II. Vatikanische Konzil zitiert sowie und auf die Zeit danach Bezug genommen, als ein selbst ernannter “Konzilsgeist” zur Blaupause wurde, nach der eine Zukunft neu zu zeichnen gewesen wäre.
Dabei mangelte es an entscheidenden Stellen an einem Bewusstsein dessen, was der Grundcharakterzug der modernen Welt ist. Diese untergräbt den Glauben, insofern sie nur Vollzüge anerkennt, die aus ihrer historischen Eingebundenheit heraus verstehbar sind und sich nicht jenseits dieses Zusammenhangs formulieren lassen. Das Geschichtsbewusstsein der Gegenwart verwandelte den modernen Menschen in einen Akteur, der bei etwas dabei ist und das Vergangene nicht als Gewesenes erfasst, sondern in seiner Abgeschlossenheit reflektiert.
Das dem zugrundeliegende Zeitschema ist das der Aufeinanderfolge von “vorher – jetzt – dann / Vergangenes – Gegenwärtiges – Künftiges” im Sinn einer eindimensionalen Gerichtetheit. Die Subjekte sitzen in historischen Abteils eines Zuges, die voneinander so abgeschottet sind, dass das Subjekt der Gegenwart mit seinen veränderten sozialen Strukturen innerhalb eines von der Wissenschaft dominierten Weltbildes nicht mehr zu dem fähig ist, was für seine ehemaligen Mitsubjekte das Tragende ihrer Existenz war.
So steht eine Kultur der Moderne, die ihre christlichen Wurzeln verleugnet, in offenem und für sie logischem Widerspruch zur Kultur des Glaubens. Da jedoch Glaube immer in einer Kultur geschieht und nicht in einem luftleeren Raum der reinen Transzendenzbezogenheit, hat dies unmittelbare Auswirkungen auf das Selbstverständnis des glaubenden Subjekts und dessen Möglichkeiten, seinen Glauben zu verwirklichen, ihn zu leben.
Wenn dieses Glaubensleben ausschliesslich in einer Angleichung an das geschehen soll, was das Moderne der Welt ist, wird es aufgrund des Widerspruches notwendig diesem Modernen und seinem Fluss erliegen. Denn es liefert seinen Grund, seine Herkunft und damit seine Zukunft den relativen Umständen dessen aus, was sich jeweils entwickelt. De facto steht alles, was Inhalt der katholischen Lehre ist, in einem oft schreienden Gegensatz zu dem, was vom modernen, durch die positivistische Wissenschaft orientierten Weltbild der jeweiligen Geschmäcke als annehmbar gewertet wird.
Nicht nur: Besonders die jüngste Zeit liess immer mehr zutage treten, dass dieser Gegensatz mit einer aggressiven Ablehnung verbunden ist, die unter dem Deckmantel der demokratischen Meinungsfreiheit alles in den Abgrund der Ignoranz fallen lassen will, was sich nicht unmittelbar dem Urteil der selbstbezogenen modernen Vernünftigkeit unterwirft. Somit lässt das Unterfangen, sich voller “Freude und Hoffnung” einer Modernität anschliessen zu wollen, deren Existenzbedingung darin besteht, keine Bedingungen anzuerkennen, nur die Kluft zwischen dem Glauben, den Gläubigen und der säkularen Welt wachsen.
Dies soll dahin gehen, dass letztere sich der ersteren völlig bemächtigt und nur mehr ein Deckmantelglauben des “als ob” übrig bleibt. Dieser glaubt dann so, “als ob” die Lehre der Kirche der Moderne zur Verfügung stünde, “als ob” es nötig wäre, ihre Lehre und deren Anforderungen an das Leben zu verdünnen. Sinn und Zweck dieses Glaubens ist es nicht mehr, die Welt, das ganze Dasein, alles Menschliche und Irdische Gott zu weihen, sondern umgekehrt. Die Existenzweise des Christen wird umgewertet. Die Menschbezogenheit vergisst, dass Gott nicht Mensch geworden ist, um den Menschen menschlicher zu machen, sondern um ihn göttlich zu machen, ihn zu “vergöttlichen”, wie dies Clemens von Alexandrien zuerst mit dem Wort “theiosis” ausdrückte.
Auf diese Weise sollte der Mensch dem für jeden Gläubigen eigentlich erschütternden Bewusstsein zugeführt werde, dass sein Leben “lebendiger Gottesdienst” ist, welcher der Liebe des Schöpfers geschuldet ist: “Gott verlangt von den Menschen Dienst, weil er gütig und barmherzig ist und denen gut sein will, die in seinem Dienst ausharren. Gott bedarf nichts, doch der Mensch bedarf der Gemeinschaft mit Gott” (vgl. Irenäus von Lyon, Gegen die Irrlehren). Und: “Diesen Glauben haben wir von der Kirche empfangen und behüten ihn: Wie ein kostbarer Schatz, der in einem wertvollen Gefäss verschlossen ist, wird der Glaube durch das Wirken des Geistes Gottes immer verjüngt und verjüngt das Gefäss, das ihn enthält … Wo die Kirche ist, dort ist der Geist Gottes; und wo der Geist Gottes ist, dort ist die Kirche und jegliche Gnade” (ebd.).
Sinn der gottesdienstlichen Verwirklichung des Gläubigen wäre es, die Welt mit den Augen des Glaubens zu sehen, nicht mehr zu wissen, ob man im Himmel oder auf der Erde ist, und so ganz in die kosmische Liturgie einzutreten, deren Abbild das Tun des Menschen in der Endlichkeit ist: Das Geschöpf sieht und glaubt, dass Gott seine Wohnstatt bei ihm genommen hat, der neue Himmel schafft so die neue Erde, wie es der Apostel Johannes in der “Offenbarung” in eindrucksvollen Bildern beschreibt (vgl. Offb 21,1-8). Nun ist aber dieser Sinn in einer Kirche, die keine Volkskirche mehr ist und es im Namen eines beschworenen neuen Geistes aufgegeben hat, Stachel im Fleisch der Welt zu sein, nicht mehr gegeben.
Die sogenannte 68ger-Generation – sowohl in der Gesellschaft auch nicht zuletzt selbst in der Kirche – ist ein beredtes Zeichen für diese Lage. Da der Seinsgrund gewaltig weggemeisselt, allen möglichen Chimären des Zeitgeistes unter dem Vorwand einer angeblichen Liberalität und Liberalisierung nachgegeben wurde, diese Chimären aber ihrer Natur nach dazu bestimmt sind, in dem Moment überholt zu sein, in dem sie sich verfestigen, stehen wir vor einer Situation, die “altmodisch” und vorgestrig genannt werden kann.
Fast wie in einem Treppenwitz geschieht dies allerdings nicht in Bezug auf die grosse Tradition der Kirche, sondern hinsichtlich der Kleinlichkeit der liberalen Geister, denen aufgrund ihrer Unglaubwürdigkeit nichts anderes bleibt, als sich selbst zu beschwören. Es ist besonders der Machtanspruch eines Liberalismus, der diese Generation, deren geistige Kinder und ihr Denken so fremd, ausserweltlich und ausserkirchlich erscheinen lässt. Liberal – ja, so lange keiner die Prinzipien dieser Liberalität in Frage stellt. Geschieht dies, dann kehrt sie sich schnell in die banalste Form eines Machtanspruchs um, der nichts damit zu tun hat, Jünger Christi zu sein und ihm nachzufolgen.
Wie Papst Benedikt XVI. vor kurzem wieder in seiner “Lectio divina” beim traditionellen Zusammentreffen mit dem römischen Klerus zu Beginn der Fastenzeit erklärt hatte, läuft der Christ und vor allem der Priester, der seinen eigenen Ehrgeiz verwirklichen, einen eigenen Erfolg erreichen will, Gefahr, Knecht seiner selbst und der öffentlichen Meinung zu werden. So warnte der Papst bereits im Jahr 2010: “Um Beachtung zu finden, wird er schmeicheln müssen; er wird das sagen, was den Leuten gefällt; er wird sich an den Wandel der Moden und der Meinungen anpassen und sich so der lebenswichtigen Beziehung mit der Wahrheit berauben und dazu kommen, morgen das zu verurteilen, was er heute gelobt hat. Ein Mensch, der derart sein Leben einrichtet, ein Priester, der seinen Dienst in diesen Begriffen sieht, liebt nicht wirklich Gott und die anderen, sondern nur sich selbst, und paradoxerweise endet er dabei, sich selbst zu verlieren”.
Dem setzt Benedikt XVI. entgegen: “Der Dienst für Gott und die Mitmenschen, die Selbsthingabe – das ist die Logik, die der echte Glaube unserem Alltagsleben aufprägt und darin entwickelt, nicht der weltliche Stil der Macht und der Herrlichkeit” (Ansprache beim ordentlichen öffentlichen Konsistorium, 18. Februar 2012). Dazu bedarf es der Geduld und der Demut, “jeden Tag dem Herrn zu folgen und so zu lernen, unser Leben nicht ausserhalb von ihm zu bauen oder so, als ob es ihn nicht gebe, sondern in ihm und mit ihm, da er der Quell des wahren Lebens ist. Die Versuchung, Gott zu beseitigen, alleine in sich selbst und in der Welt Ordnung zu schaffen und dabei nur auf die eigenen Fähigkeiten zu zählen, ist in der Geschichte des Menschen immer gegenwärtig” (Ansprache zum Gebet des Angelus, 26. Februar 2012).
KathTube: Hirtenamt Bischof Konrad Zdarsa
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