Die Tür ist offen, Mr. Cameron!

Den katholisch geprägten Gemeinwohl-Gedanken haben sie nie verstanden

Die Tagespost, 09.12.20111, von Stephan Baier

Der grosse britische Staatsmann Winston Churchill äusserte sich 1930 erstmals zur Frage der Einigung Europas: Er war dafür, meinte aber, man solle “das Britische Reich (…) sein eigenes weltweites Ideal erfüllen” lassen. 1946 hielt Churchill mit dem Prestige des Siegers im Weltkrieg in Zürich ein flammendes Plädoyer für die “Vereinigten Staaten von Europa” – unter ausdrücklichem Ausschluss seiner Heimat. Grossbritannien und Amerika, so meinte er, müssten “dem neuen Europa als wohlwollende Freunde gegenüberstehen”. Heute, 39 Jahre nach dem Anschluss Grossbritanniens an das sich vereinigende Europa, gibt es keinen Zweifel mehr: Winston Churchill hatte Recht!

Es war ein historischer Irrtum, einen Staat aufzunehmen, der seine Vergangenheit als globale Kolonialmacht faktisch, aber nicht psychisch abgeschlossen hat, sich für einen Global Player und Europa für einen Klotz am Bein der britischen Herrlichkeit hält. In Brüssel hat der britische Premier es nun wieder bewiesen: Die Interessen der Finanzjongleure in der City of London sind ihm wichtiger als die wirtschaftliche Zukunft Europas. Das liegt nicht nur daran, dass für London emotional der Atlantik schmäler ist als der Ärmelkanal. Es liegt auch daran, dass die britischen Konservativen eben nie “kontinentale” Christdemokraten waren. Den katholisch geprägten Gemeinwohl-Gedanken haben sie nie verstanden.

Nach dem EU-Gipfel von Brüssel gibt es eine gute Nachricht für die Europäer: Die Europäische Union liess sich diesmal nicht von den Briten erpressen. Und es gibt eine gute Nachricht für die politische Klasse in Grossbritannien: Ein Austritt aus der Europäischen Union ist möglich! Die EU hält ihre Tore – vorsichtig und prüfend, aber doch – geöffnet für Staaten, die bereit sind, ihre Zukunft in einer solidarischen Union der Europäer zu suchen. Mit dem Vertrag von Lissabon hat sie erstmals aber auch die Tore geöffnet für jene, die sich offenbar versehentlich oder unter falschen Erwartungen in diese Union verirrt haben und nun den Weg hinaus suchen. Ja, der Ausstieg aus der EU ist Ihnen möglich! So long, Mr. Cameron!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel