Reflexion, Dialog und Gebet für den Frieden

Was den Religionsgipfel am Donnerstag in Assisi von den Vorläufer-Treffen unterscheidet

Rom, Die Tagespost, 24. Oktober 2011, von Guido Horst

Assisi – das ist seit 25 Jahren nicht mehr nur der Symbolbegriff für einen Ort, der sich mit einer gewaltigen Frömmigkeitsbewegung des Mittelalters und ihres geistigen Urhebers, des heiligen Franziskus, verbindet. Es ist auch nicht der Name für ein baugeschichtliches Kleinod, das bei einem schweren Erdbeben 1997 in Mitleidenschaft geriet. Darüber hinaus ist Assisi zum Schlagwort für eine Bewegung geworden, zur Bezeichnung eines Phänomens, das religionsgeschichtlich von einzigartiger Bedeutung ist: Die Religionen dieser Welt kommen zusammen, um für den Frieden in der Welt zu beten. Nicht mehr gegenseitiges Misstrauen – wie in den Jahrhunderten (oder sogar Jahrtausenden) davor – soll die Religionen trennen, sondern die Arbeit und das Gebet für den Frieden soll sie zusammenführen. Vater dieses historischen Paradigmenwechsels ist der selige Papst Johannes Paul II.

Und wenn Benedikt XVI. am kommenden Donnerstag im “Silberpfeil” der italienischen Eisenbahn wieder mit Repräsentanten der wichtigsten Weltreligionen von Rom in die umbrische Franziskus-Stadt fährt – genau 25 Jahre nach dem ersten Religionstreffen von Assisi –, dann tut er das, weil es sich inzwischen erwiesen hat, dass diese gemeinsame Geste der Weltreligionen viel zu wichtig ist, als dass Rom, von wo diese Bewegung ausgegangen ist, dieses Vermächtnis Johannes Pauls II. irgendwelchen Nachahmern überlassen könnte.

Als am 29. Oktober 1986 das erste Weltgebetstreffen in Assisi stattfand, stand die Menschheit – ohne es zu wissen – kurz vor dem Ende des Kalten Krieges. Das Wettrüsten, der Kampf der Ideologien und Stellvertreterkriege in den oft ärmsten Regionen des Globus beschäftigten die Friedensbewegten. Am 24. Januar 2002 kamen Vertreter der Weltreligionen und der christlichen Bekenntnisse wieder mit dem polnischen Papst in Assisi zusammen. Diesmal stellten der Golf-Krieg George W. Bushs gegen Saddam Hussein und die Anschläge vom 11. September 2001 den “geopolitischen Hintergrund” des Religionsgipfels für den Frieden dar. Übermorgen steht nichts Vergleichbares im Raum. Benedikt XVI. trifft nicht mit den Religionsführern zusammen, weil libysche Rebellen den Diktator Gaddafi abgeknallt haben wie einen Hund oder weil in einigen muslimischen Staaten eine “Generation Facebook” Demokratie und die Beseitigung alter Machteliten fordert. Als der Papst zum vergangenen Jahreswechsel das Treffen ankündigte, war Hosni Mubarak noch im Amt. Assisi 2011 ist vielmehr ein Jubiläums-Treffen. 25 Jahre nach dem ersten Gipfel in der Franziskus-Stadt möchte Papst Benedikt dem “Geist von Assisi” seinen Stempel aufdrücken – und diesen nicht der Gemeinschaft Sant’Egidio überlassen. Er wird dies im Stile Joseph Ratzingers tun: eher still und nachdenklich als mit grossen Worten. Am vergangenen Sonntag beim Gebet des Engels des Herrn in Rom bat er die Gläubigen um ihr Gebet für einen “Tag der Reflexion, des Dialogs und des Gebets für den Frieden und die Gerechtigkeit in Welt”.

Der damalige Glaubenspräfekt Joseph Ratzinger war über das erste Gebetstreffen vor 25 Jahren nicht gerade begeistert. Assisi I war ein Medienereignis. Und die Medien transportierten in die Welt, wie in einer katholischen Kultstätte Vertreter nicht-christlicher Religionen so ihre Dinge trieben: Buddhisten sangen zum Klang ihres Bronze-Gongs. Ein Animist aus Togo zündete ein Feuer in einer Schale an. Ein Indianer Nordamerikas “segnete” die Leute mit Adlerfedern. Für Stunden glich Assisi einem spirituellen Kaleidoskop, wo Amulette und der Rauch aus Friedenspfeifen genauso wichtig waren wie die kultischen Elemente des katholischen Glaubens. Religionsvermischung und Synkretismus strahlten diese Bilder aus Assisi aus. Vielleicht hat Kardinal Ratzinger damals den entscheidenden Impuls erhalten, im Heiligen Jahr 2000 solchen Relativierungen mit der Erklärung “Dominus Iesus” aus seinem Haus, der Glaubenskongregation, den Boden unter den Füssen zu entziehen.

Schon in einer Artikelserie des “Osservatore Romano” vom vergangenen Juli haben Kurienkardinäle wie Tarcisio Bertone, der vatikanische Staatssekretär, Jean-Louis Tauran vom Rat für den interreligiösen Dialog oder Kurt Koch, Präsident des römischen Dikasteriums für die Ökumene, klargestellt, dass Assisi III keinen Anlass bieten wird, einer Religionsvermischung das Wort zu reden. Man wird beten, aber nicht zusammen, sondern jede religiöse Gruppierung nach ihrer Art. Die beiden Ansprachen des Papstes – zu Beginn und am Ende des Treffens – sowie die der anderen Religionsführer werden im Vordergrund stehen. Es gibt ein einfaches Mittagessen im franziskanischen Stil und schon die Zugfahrt von Rom nach Assisi soll ein Moment der Stille und des Nachdenkens sein.

Worüber nachdenken? “Pilger der Wahrheit, Pilger des Friedens” lautet das Motto des Treffens von übermorgen. Wenn es wahr ist, dass die Religionen dieser Welt – und die diversen christlichen Konfessionen allzumal – an das Gute glauben und das Böse verabscheuen, dann muss es möglich sein, dass sie aus den abgeschirmten Räumen ihrer Privatsphären heraustreten und in der Öffentlichkeit die Stimme für Gerechtigkeit und Frieden erheben. Der Irak, Ägypten und der gesamte Nahe und Mittlere Osten fallen einem da ein.

Wahre Suche nach dem Guten fordert Frieden

In seiner Botschaft zum Weltfriedenstag am 1. Januar 2011 hatte der Papst die Bedeutung der Religionen für den Weltfrieden unterstrichen, und am Neujahrstag dieses Jahres kündigte er dann beim Gebet des Angelus das kommende Treffen in Assisi mit diesen Worten an: “In der Botschaft zum heutigen Weltfriedenstag hatte ich Gelegenheit zu unterstreichen, dass die grossen Religionen einen wichtigen Faktor der Einheit und des Friedens für die Menschheitsfamilie darstellen können, und ich habe diesbezüglich in Erinnerung gerufen, dass wir in diesem Jahr 2011 den 25. Jahrestag des Weltgebetstages für den Frieden begehen, zu dem der ehrwürdige Diener Gottes Johannes Paul II. 1986 nach Assisi eingeladen hatte. Aus diesem Grund werde ich im kommenden Oktober in die Stadt des heiligen Franziskus pilgern und lade alle christlichen Brüder und Schwestern der unterschiedlichen Konfessionen, die Vertreter der religiösen Traditionen der Welt und im Geiste alle Menschen guten Willens ein, sich diesem Weg anzuschliessen, um dieser von meinem Vorgänger gewollten historischen Geste zu gedenken und feierlich die Verpflichtung der Gläubigen aller Religionen zu erneuern, ihren Glauben als Dienst an der Sache des Friedens zu leben. Wer unterwegs zu Gott ist, kann nicht umhin, den Frieden zu vermitteln, und wer den Frieden aufbaut, kann nicht umhin, sich Gott zu nähern.” Darin ist sich Benedikt XVI. mit seinem Vorgänger einig: Wahre Religion – ob christlich oder nicht –, das heisst eine wahre Suche nach dem Guten kann nicht umhin, sich auch in den Dingen dieser Welt gegen Hass, Gewalt und Unfrieden zu stellen. Die Religionen gehören deshalb nicht in Kirchen, Tempel und Privaträume weggesperrt, sondern mitten in die Öffentlichkeit.

Da die Suche nach dem Wahren und Guten aber nicht nur ein Privileg der Religionen, sondern allen “Menschen guten Willens” zuzuschreiben ist, hat Papst Benedikt gewollt, dass in diesem Jahr auch Agnostiker beziehungsweise Atheisten nach Assisi eingeladen werden. Es sind dies die aus Bulgarien stammende und in Paris lebende Psychoanalytikerin Julia Kristeva, der frühere Vorsitzende der Kommunistischen Partei Österreichs, Walter Baier, sowie die Philosophen Anthony Garling aus Grossbritannien, Guillermo Hurtado aus Mexiko und Remo Bodei aus Italien. Allerdings hat der Engländer inzwischen seine Teilnahme wieder abgesagt. Er habe feststellen müssen, so Garling, dass er mit dem Papst nicht diskutieren könne, sondern ihn nur bei der Pilgerfahrt begleiten solle. Das allerdings ist ein leichter Unmut, den man auch aus anderen Delegationen vernimmt: Nur Statisten bei einer Jubiläums-Veranstaltung zu sein, die letztlich ganz auf den Papst zugeschnitten ist und unter der strengen Regie des Vatikans abläuft.

Stellungnahmen der Vertreter der Religionen beim Gebetstreffen in Assisi 2002: Vatikan
Für.eine.Welt ohne Gewalt
Dekalog.von.Assisi für den Frieden
Weltgebetstreffen für den Frieden
Int.Friedenstreffen München 2011
Ökumene.und.Dialog
Päpstliche.Reisen Assisi 1986
Absage.an.religiöse.Eiferer

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