“Die Menschen an ihre tiefe Sehnsucht erinnern”
Die Bedeutung der Gemeinden im Umgang mit Geschiedenen
Offizial Stefan Rambacher unterstreicht die Bedeutung der Gemeinden im Umgang mit Geschiedenen
Die Tagespost, 02.09.2011, von Regina Einig
Konferenz der Verwaltungskanonisten der deutschen Diözesen und Offizial des Bistums Würzburg.
Domkapitular Stefan Rambacher, ist davon überzeugt, dass mit den Möglichkeiten des geltenden Kirchenrechts wesentlich mehr Geschiedenen geholfen werden könnte, als es derzeit geschieht.
Papst Benedikt XVI. hat, als er auf die Not geschiedener Katholiken angesprochen wurde, empfohlen, “die Frage der Gültigkeit der Ehen genauer zu untersuchen”. Wie bewerten Sie die Heilungschancen dieses Ansatzes?
Papst Benedikt hat in diesem Gespräch zu bedenken gegeben, ob nicht das veränderte Bild und Verständnis von Ehe in weiten Teilen unserer heutigen Gesellschaft auch Folgen für die Beurteilung der Gültigkeit einer Ehe nach kirchenrechtlichen Massstäben hätten. Dem ist zweifellos zuzustimmen. Ich sehe darin auch einen Auftrag an die Kirchenrechtswissenschaft und die kirchliche Rechtsprechung, die Kriterien für das, was eine gültige Ehe ausmacht, je neu zu bedenken und weiter zu differenzieren, ohne den Anspruch der biblisch begründeten Ehelehre der Kirche herabzusetzen. Dies ist übrigens in der Vergangenheit auch schon vielfach geschehen. Man denke nur an die Entwicklung der Ehenichtigkeitsgründe im Bereich psychischer Eheunfähigkeit oder aufgrund eines schweren Reifemangels. Ein verändertes Bild von Ehe in der Gesellschaft tangiert aber nicht nur das Wissen um Ehe, sondern beeinflusst sicher auch oft den eigentlichen Ehewillen, der nach dem Kirchenrecht ausschlaggebend ist, etwa den Willen zu einer unauflöslichen und treuen Bindung. Von daher bin ich überzeugt, dass schon mit den Möglichkeiten des geltenden Kirchenrechts wesentlich mehr Geschiedenen geholfen werden könnte, als es derzeit geschieht, wenn mehr Betroffene davon Gebrauch machen würden. Dennoch ist der Anstoss des Papstes eine wichtige Ermutigung zur Weiterentwicklung des kirchlichen Eherechts.
Inwiefern ist das Wissen darum, was eine Ehe nach katholischer Auffassung ist, heute defizitär?
Die Kirche hat ja ein ganz und gar positives und grossartiges Verständnis von Ehe, wie es das Zweite Vatikanische Konzil neu herausgestellt hat. Es beschreibt die Ehe als einen unverbrüchlichen personalen Lebensbund von Mann und Frau, als einen Bund der Treue und Liebe, der auf das Wohl der Partner und der Kinder ausgerichtet ist, in guten und schweren Zeiten. Dieser Bund gründet im Schöpferwillen Gottes und spiegelt in einer christlichen Ehe die Treue des Herrn zu seiner Kirche wider, aus der die Eheleute die Kraft für ihr Zusammenhalten schöpfen dürfen. Mit diesem Eheverständnis aus dem Glauben trifft die Kirche eigentlich auch die tiefste Sehnsucht der Menschen in Bezug auf Partnerschaft. Wirkliche Liebe sehnt sich immer nach umfassender Lebensgemeinschaft und Treue. Das in der Weisung Jesu begründete Scheidungsverbot ist dann nur eine innere Folge und Abgrenzung daraus. Es ist aber zum einen zu sehen, dass viele Menschen in unserer Gesellschaft kaum mehr mit diesem Eheverständnis der Kirche in Berührung kommen und dass andererseits entgegenstehende Einflüsse des gesellschaftlichen Mainstreams dieses Wissen, ja diese im Menschen verwurzelte Sehnsucht unterlaufen. Das ist sicher auch eine Anfrage und eine Herausforderung für die kirchliche Verkündigung und Katechese, ihr Verständnis von Ehe deutlicher und auf positive Weise gerade auch jungen Menschen zu vermitteln.
Der Papst plädiert mit Blick auf die katholische Eheauffassung dafür, “das Schwierige als Massstab zu erhalten”. Wie bewerten Sie diese Position?
Wenn es wahr ist, dass eine unverbrüchliche, lebenslange und treue Partnerschaft der eigentlichen und tiefsten Sehnsucht des Menschen in dieser Lebensform entspricht, dann hat die Kirche vollkommen recht, wenn sie dieses Verständnis von Ehe aufrecht erhält und die Menschen darin bestärkt, auch wenn dieser Weg manchmal nicht leicht ist. Aber der einfachere Weg ist für die Menschen nicht immer der bessere. Deshalb ist es gerade in unserer Zeit, wo Ehe und Familie Auflösungstendenzen ausgesetzt sind, ein prophetischer und wichtiger Auftrag der Kirche, die Menschen an ihre tiefe Sehnsucht zu erinnern, ihr Verständnis von Ehe als Lebensbund hochzuhalten und die Menschen dabei zu begleiten. Wohl keine andere Institution hält ein so grosses Angebot an Partnerschaftsseminaren oder Ehevorbereitungskursen beziehungsweise Ehe- und Paarberatung bereit wie die Kirche. Erfreulicherweise wird dies auch gut angenommen. Darin liegt sicher eine grosse pastorale Aufgabe auch für die Zukunft.
Barmherzigkeit ist für viele Gläubige der zentrale Begriff in der Geschiedenenpastoral. Gibt es darüber hinaus Punkte, die in der Seelsorge stärker gewichtet werden sollten, um angemessen auf das Problem der Ehescheidungen zu reagieren?
Barmherzigkeit gerade gegenüber Menschen in ihrem Fehlen und Scheitern, in gebrochenen Lebenssituationen, ist vom biblischen Gottesbild und von der Verkündigung Jesu her ein unverzichtbarer und zentraler Auftrag kirchlicher Pastoral. Es wäre fatal, wenn Menschen mit gebrochenen Ehen und auch Wiederverheiratete die Kirche als unbarmherzig erleben würden. Schon Papst Johannes Paul II. hat in seinem Apostolischen Schreiben Familiaris consortio die Hirten der Kirche aufgefordert, Menschen mit diesem Schicksal in pastoraler Liebe und Sorge zu begegnen und sie zu ermutigen, ihren Platz in der Kirche zu behalten. Auch hat er zu bedenken gegeben, die verschiedenen Situationen der Betroffenen gut zu unterscheiden, ob jemand etwa leichtfertig und schuldhaft das Zerbrechen seiner Ehe verursacht hat oder ob ein Partner trotz Bemühens um den Erhalt der Ehe verlassen wurde. Die Konsequenzen aus dieser Unterscheidung, etwa in Bezug auf den Sakramentenempfang wiederverheirateter Geschiedener, müssen vielleicht noch einmal neu bedacht werden. Allerdings muss auch gesehen werden, dass sich Barmherzigkeit nicht allein an der Frage des Kommunionempfangs festmachen lässt. Denn die bisherige Nichtzulassung versteht die Kirche nicht als Strafe, sondern als Konsequenz daraus, dass eine zweite Ehe, solange die erste kirchlich noch als gültig zu betrachten ist, einen sichtbaren Widerspruch zu der Treue Christi zu seinem Volk darstellt, wofür die Ehe unter Christen ein sakramentales Zeichen ist. Das ist zugegebenermassen für die Betroffenen nicht leicht nachvollziehbar, und ich schliesse nicht aus, dass es in diesem Bereich in Zukunft noch dogmatische und kirchenrechtliche Neubewertungen geben wird. Entscheidend ist aber darüber hinaus überhaupt der seelsorgliche Umgang mit und die Begleitung von wiederverheirateten Geschiedenen in unseren Gemeinden. Sie müssen spüren können, dass sie weiterhin zur Kirche gehören und von Christus geliebt und von Ihm getragen werden, wie Papst Benedikt sagte. Über die Begleitung von Geschiedenen hinaus muss sicher die Befähigung junger Menschen zu einer stabilen und treuen Partnerschaft ein Schwerpunkt kirchlicher Pastoral sein, der auf allen Ebenen, in der pfarrlichen Seelsorge, in der gesamten Jugendarbeit und bei den Bildungsangeboten unsere ganze Aufmerksamkeit und Anstrengung verlangt. Denen aber, die an ihrer Ehe gescheitert sind, ist zu empfehlen, dass sie die Möglichkeiten des kirchlichen Eherechts in einem Beratungsgespräch am Offizialat ausloten. Die Seelsorger sollten die Betroffenen ermutigen, den Weg zu den kirchlichen Ehegerichten zu gehen. Vielen könnte dadurch sicher geholfen werden.
Familiaris.consortio: Apostolisches Schreiben über die Aufgabe der christlichen Familie
Gloria.TV: “Barmherzigkeit” im Umgang mit Wiederverheirateten
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