Zuerst muss das Existenzielle kommen, dann das Institutionelle

Déja-vu der Krise

Die Tagespost, 01.08.2011

Wer die Vorträge vom Kongress “Glaube im Unglauben der Zeit” der Deutschen Bischofskonferenz von 1981 in Augsburg mit den Statements des Dialogprozesses zwischen den Bischöfen und katholischen Laien 2011 gegenliest, bekommt ein Déja-vu-Erlebnis: In dreissig Jahren hat sich nichts geändert. Allein die Fragen damals waren besser gestellt. Etwa die von Alfred Läpple oder Anton Rauscher nach dem richtigen Gottesbild, der Geschöpflichkeit und Erlösungsbedürftigkeit des Menschen. Von Johannes Seibel

“Die Schwierigkeiten mit der Kirche erweisen sich nicht selten als Schwierigkeiten mit jenem Gottesbild, das nicht aus dem Wurzelgrund der Offenbarung, sondern aus dem Flugsand unserer Wünsche gewachsen ist.” Das hat der Theologe Alfred Läpple im Juni 1981 auf der Tagung “Glaube im Unglauben der Zeit” gesagt, die das damalige Dialog-Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, das Sekretariat für die Nichtglaubenden in der Bundesrepublik Deutschland und der deutschsprachigen Schweiz in Augsburg veranstaltet hatte.

Das hätte, hätte er denn teilgenommen, Läpple auch dreissig Jahre später Anfang Juli in Mannheim beim Auftakt des Dialogprozesses der Deutschen Bischofskonferenz mit kirchlichen Laien sagen können. Der “Flugsand der Wünsche” – ein wichtiges Wort ist gesagt. Nicht mehr der Glaube ist das erste, also die Offenbarung, das das Engagement in der Kirche motiviert, sondern umgekehrt müssen zuerst Wünsche der Mitglieder an die Kirche von der Kirche erfüllt sein, damit sich Laien engagieren. Wer in den vergangenen dreissig Jahren, die zwischen der Tagung in Augsburg und dem Dialogprozess in Mannheim liegen, in verschiedensten katholischen Gremien mitgearbeitet hat, kennt das zur Genüge: Fragen in der Form “Wie wünschst Du Dir die Kirche im Jahre xy”, “Was wünschst Du Dir von einem Priester” und so weiter eröffnen so oft die Treffen vom Pfarrgemeinderat über pastorale Fortbildungen bis hin eben zum Dialogprozess in Mannheim. Was ein pädagogischer Trick sein kann, um Interesse für eine Sache zu wecken, kann schnell umschlagen in nachhaltige Frustration – wenn denn dann die Wünsche nicht in Erfüllung gehen. Das hat sich in dreissig Jahren innerkirchlicher katholischer Debatte um das eigene kirchliche Selbstverständnis nicht geändert.

Fehlerwartungen an das Zweite Vatikanische Konzil

Und heute wie vor dreissig Jahren spielt hier das Verständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils eine entscheidende Rolle. Alfred Läpple sprach damals von Fehlerwartungen. “Das 2. Vatikanische Konzil ist, ehe es einberufen wurde, mit einer Fülle von Hoffnungen und Erwartungen begrüsst und vorbelastet worden”, so Läpple 1981. So, als wären dreissig Jahre bloss ein Tag, beschreibt der Theologe die Schwierigkeiten der Kirche in Deutschland mit dem Verstehen des Konzils, wie sie auch heute noch genau so anzutreffen sind. Verschiedene innerkirchliche Fraktionen berufen sich jeweils auf den “Geist des Konzils” und werfen sich gegenseitig “Verrat und Demontage des Konzils” vor, so Läpple vor dreissig Jahren. Vergessen wird, führte Läpple damals weiter aus: “Konzilstexte sind Kompromisstexte. In sprachlich geschickter und theologisch verantwortbarer Weise sind ursprünglich oft unterschiedlich akzentuierte Vorlagen (ergänzt und korrigiert durch Diskussionsbeiträge und schriftliche Eingaben der Konzilsväter) schliesslich doch in eine dialektisch ausgewogene Endfassung eingebracht und mit Majorität beschlossen worden.” Kurz: “Überall dort aber, wo die vom Konzil so und nicht anders gewollte Dialektik der Aussagen nicht beachtet wird, sondern aus der Zweipoligkeit der Texte – je nach theologischem Standort – nur ein Akzent betont, der andere Akzent jedoch verschwiegen oder heruntergespielt wird, musste die Intention des 2. Vatikanischen Konzils verfehlt werden.“

Es hat sich in dreissig Jahren nichts verändert. Heute wie damals wird das Zweite Vaticanum von den kirchenpolitischen Fraktionen als eine Art Wortsteinbruch benützt, aus dem das herausgebrochen wird, was die eigene Position im wahrsten Sinne des Wortes untermauert.

Und wie heute beim Dialogprozess in Mannheim war auch schon vor dreissig Jahren in Augsburg das Thema des Pluralismus ein entscheidendes – ohne dass sich das Verständnis der Folgen, und die Debatte nach den Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind, weiterentwickelt hat. Für Alfred Läpple galt 1981, was 2011 noch immer gilt und nicht eingelöst ist, sondern retardierendes Moment im Drama der römisch-katholischen Kirche in Deutschland ist: “Der theologische Pluralismus kann Gefährdung wie Chance der Glaubenseinheit und der kirchlichen Zukunft sein. Es bedarf im Bereich der wissenschaftlichen Theologie noch gründlicher Vorarbeiten, um jene gediegenen Voraussetzungen zu besitzen, von denen aus die wohl zu dosierenden Einsatzmöglichkeiten des theologischen Pluralismus zu realisieren und gleichzeitig die Verständigungsmöglichkeiten der verschiedenen Strömungen und Glaubensweisen zu fördern sind.” Läpple zitiert in diesem Zusammenhang einen Beitrag von Erwin Iserloh aus dem “Rheinischen Merkur” vom 28. November 1969, der den Titel trug: “Reform oder Spaltung?” – und in dem vor der Kirche als einem unverbindlichen Debattierclub gewarnt wird, der über Fragen des Glaubens demokratisch und individuell abstimmen wolle. Selbst bis in die Wortwahl von der “Spaltung” hinein – wer dies rekapituliert, bekommt ein sofortiges Déja-vu-Erlebnis, auch heute beherrschen solche Reflexe und Ängste noch Stil und Inhalt innerkatholischer Debatten in Deutschland. Wobei schon damals Joseph Ratzinger einer derjenigen war, der den Pluralismus höchstens als Mittel, niemals aber als letztes Ziel theologischer Arbeit anerkennen wollte, wenn Alfred Läpple ihn 1981 in Augsburg vor dem Dialog-Sekretariat der Bischofskonferenz mit den Worten zitiert: “Ein wirklichkeitsleer gewordenes Interpretationschristentum bedeutet einen Mangel an Aufrichtigkeit gegenüber den Fragen des Nichtchristen.” Dreissig Jahre später kann Papst Benedikt XVI. nichts anderes sagen – das Interpretationschristentum mäandert weiter vor sich hin.

Schon damals vor dreissig Jahren konnte Läpple Theologen zitieren, die wie der Kirchenhistoriker Joseph Lortz 1971 vor der Freiburger Görres-Gesellschaft von der “heutigen Krise in der Kirche” als der “bedrohlichsten, die sie auf ihrem langen, beschwerlichen Weg durch die Zeiten erlebte”, redeten – verändert hat sich nichts. Im Gegenteil: Jede Krise wird als die noch bedrohlichere, als die noch schlimmere dargestellt, jede Generation, so scheint es, möchte innerhalb der römisch-katholischen Kirche in Deutschland mit der jeweils schwersten Krise der Kirche in der Geschichte konfrontiert sein, wenn jetzt etwa mit Blick auf den Missbrauchsskandal wiederum der kirchliche Krisen-Superlativ gebraucht wird. Auch hier ein Déja-vu-Erlebnis.

Das triumphalistische Kirchenbild der Progressiven

Alfred Läpple hatte die Krise des Gottesbildes, ob es sich aus der Offenbarung oder dem “Flugsand unserer Wünsche” speist, als eigentlichen Hintergrund der Schwierigkeiten mit der Kirche 1981 ausgemacht. Er formulierte vor dreissig Jahren aus dieser Überlegung heraus eine Einsicht, die heute – zumindest beim Auftakt des bischöflichen Dialogprozesses in Mannheim 2011 – aber vergessen scheint: “Wir müssen es wieder lernen, dass Gott auch die Blamage seiner Kirche vor den Tribunalen der Welt riskiert.” Wer für Läpple die Kirche allein als Institution mit Hilfe institutioneller Veränderungen aus der Krise führen möchte, der hängt einem falschen triumphalistischen Kirchenbild an, wobei es für Läpple einen solchen Triumphalismus progressiver wie konservativer Machart gleichermassen gibt. Genau an dieser Stelle zitiert Läpple 1981 dann Joseph Ratzinger aus einer damaligen Ansprache des heutigen Papstes vor dem Priesterrat der Erzdiözese München und Freising, der das falsche Gottesbild in diesem falschen Kirchenbild so fasst: “Wir wollen ihn als einen Gott haben, der den Misserfolg nicht zulässt, einen Gott der sicheren Strategien, und wir wären bereit, dafür sogar die Freiheit auszuschalten.” Für Läpple folgte vor dreissig Jahren daraus, dass es an der Zeit sei, “einem nur auf registrierbaren Erfolg ausgerichteten Gottesbild die überfällige Kurskorrektur” zu geben.

Sichere Strategien, registrierbare Erfolge – im Jahre 2011 scheinen das wieder die ersten Gedanken zu sein, wenn um innerkirchliche Reformen gestritten wird, und die Forderungen nach ihrer Einlösung damit begründet werden, dass nur so die Kirche wieder mehr Menschen ansprechen könnte, die Austrittszahlen gebremst würden, sie von der Politik weiter ernstgenommen würde, der Pfarrerberuf wieder interessanter würde und so die Pfarreien gesichert werden könnten. Selbst die Sakramentenpastoral wird auf diese Weise funktionalisiert, eben als gemeindliche Dienstleistung, die es nur gebe, wenn die Kirche den bekannten Reformkatalog abarbeite.

Dass umgekehrt ein Schuh daraus wird, in dem die Menschen wieder kirchlich gehen können, nämlich dass der Glauben aus der Offenbarung heraus neu in unserem Gottes- und Kirchenbild sichtbar gemacht werden muss, diese Diskussion, die Läpple 1981 anstiess, ist dreissig Jahre später längst versandet. Wenn von der dienenden Kirche die Rede ist, wie jetzt etwa durch die Bischofskonferenz nach dem Missbrauchsskandal, dann sind das zwar Worte, aber sie werden nicht mit Inhalt gefüllt, darüber wird die Debatte zu schnell beendet – da begänne aber die Theologie, das Zeugnis, der Glaube erst lebendig zu werden. Was Alfred Läpple 1981 formuliert hat, hat dreissig Jahre später nichts an Aktualität verloren, nur weil es im “Flugsand der Wünsche” verweht worden ist: “Der Weg Gottes wie auch seiner Kirche durch die Geschichte ist – wie es Jesus selbst in einem seiner Gleichnisse (Mt 13,1–9, 18–23) überdeutlich ausgesprochen hat – gekennzeichnet durch die Armseligkeit des Samens, der zertreten wird. Aber gerade in dieser Ohnmacht ist der auf Freiheit setzende Gott ,erfolgreich‘.”

Dass die Kirche sich selbst säkularisiert, auch dies ist kein neuer Befund. 1981 auf der Tagung “Glaube im Unglauben der Zeit” in Augsburg hat ihn der Jesuit und Professor für christliche Gesellschaftslehre Anton Rauscher so analysiert, dass die Analyse über weiteste Strecken eins zu eins auf heutige Verhältnisse übertragen werden könnte. Wenn Rauscher 1981 einen “Primat des Individualismus” diagnostiziert hat, ein Verständnis von menschlicher Autonomie, das die sozialen Bindungen schwächt, und eine “säkulare Fortschrittseuphorie” beschreibt, die mit einem “horizontalen Denken” auch in die Kirche und Theologie eingedrungen ist und Säkularisierung in der Kirche ausschliesslich noch als “Befreiung des Menschen” von einer religiösen oder metaphysischen Kontrolle über Denken und Leben des Individuums feiert, dann hat sich dreissig Jahre danach an dieser Situation, die Rauscher beschreibt, wenig geändert – es sind lediglich grössere Bevölkerungs- und Kirchenschichten davon erfasst.

Für Rauscher ist 1981 die entscheidende Ursache für diese Entwicklung gewesen, dass die beiden Grundkategorien christlichen Existenzverständnisses aus dem Bewusstsein der Mehrheit verschwunden sind: die der Geschöpflichkeit und Erlösungsbedürftigkeit des Menschen. Dieser Zusammenhang jedoch ist in den vergangenen dreissig Jahren erfolgreich verdrängt worden. Wenn 2011 die Deutsche Bischofskonferenz mit den katholischen Laien spricht, dann kehrt die Frage nach der Geschöpflichkeit höchstens säkularisiert als umweltpolitische Kategorie wieder und die nach der Erlösungsbedürftigkeit ebenfalls säkularisiert einzig als Problem, wie die Kirche auf das vielfältige Scheitern von Lebensentwürfen gleichsam therapeutisch reagieren könne. Dass der Mensch ein geschaffenes Wesen ist, das sich eben nicht seiner Selbstmächtigkeit verdankt, seiner Autonomie, und das unvollkommen, gescheitert, unheil lebt, wird eben nicht in seiner existenziellen Wucht thematisiert – und in seiner untrennbaren Abhängigkeit von einem nicht säkularisierten und funktionalisierten Gottes- und Kirchenverständnis. Die Frage nach dem Seelenheil etwa wird als gestrige Frage öffentlich im Dialogprozess der Kirche 2011 nicht erwogen, keine Sprache dafür gesucht – wo sich gerade hier die innersten Nöte des Menschen offenbaren würden. Auch das ist ein Manko.

Das Existenzielle muss vor dem Institutionellen kommen

Was kann der Dialogprozess 2011 vom Kongress “Glaube im Unglauben der Zeit” von 1981 also lernen? Erstens: Zu sehen, wie sehr sich die katholische Kirche in Deutschland in den vergangenen dreissig Jahren im Kreis gedreht hat – und dass dies einfach so nicht weitergehen kann. Was zweitens bedeutet: Es müssen sicht- und hörbarer wieder die grundsätzlichen Fragen nach Gott, seiner Beziehung zum Menschen, nach der Geschöpflichkeit und Erlösungsbedürftigkeit des Menschen in den Vordergrund treten. Der Dialogprozess 2011 braucht dringend mehr theologische und philosophische Tiefe. Zuerst muss das Existenzielle kommen, dann das Institutionelle – nicht umgekehrt. Sonst wird die Offenbarung Gottes vom Flugsand der Wünsche weiter und weiter zugeschüttet.

Alfred.Läpple: Kurzbiographie
Annuntiator
Mit.Glaubensglut.und.Feuereifer

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