“Lieber sterben als sündigen”

Der Bischof bietet der Diktatur der Nationalsozialisten die Stirn

Die Tagespost, 22.07.2011

Vor 70 Jahren protestierte Bischof von Galen gegen die Euthanasie. Von Hans-Gert Pöttering

In der Münsteraner Lambertikirche drängen sich am 3. August 1941 die Menschen. Sie erwarten, dass ihr beliebter Bischof Clemens August Graf von Galen die Staatsmacht wieder in die Schranken weist. Wie in den Predigten zuvor, am 13. und 20. Juli, als er die Nationalsozialisten wegen der Beschlagnahme mehrerer Klostergebäude und der Verbannung zweier Priester scharf angriff.

Jetzt holt der Münsteraner Oberhirte zum entscheidenden Schlag aus. Er spricht von Euthanasiemorden, die gegen göttliches und menschliches Recht im Strafgesetzbuch verstossen. Atemlos lauscht die Gemeinde seinen Worten, er habe Anzeige wegen Mordes gestellt. Damit nicht genug: Wer schützt, so fragt er, dann dauerhaft kriegsversehrte Soldaten davor, ermordet zu werden, wenn nicht mehr die Menschenwürde, sondern schlichtes Nützlichkeitsdenken Kriterium dafür ist, ob man weiterleben darf oder nicht: “Wenn einmal Menschen das Recht haben, ,unproduktive‘ Mitmenschen zu töten, dann ist der Mord an uns allen … freigegeben.”

Die Resonanz auf die Predigt ist enorm. Der Bischof bietet der Diktatur der Nationalsozialisten die Stirn. Wer den Mut aufbringt, öffentlich die Gestapo als den “inneren Feind” des deutschen Volkes zu bezeichnen und Mord als solchen benennt, stellt die Diktatur in Frage. Seine Predigten werden abgeschrieben und von Hand weitergereicht. Die Briten lassen sie in ihrem deutschsprachigen Rundfunkprogramm verlesen und werfen sie als Flugblatt ab. Von Galen rechnet mit seiner Verhaftung. Seine Hinrichtung wollen sich Hitler und Goebbels aber bis nach dem “Endsieg” aufsparen. Sie befürchten Auswirkungen auf die Kriegsbereitschaft im Münsterland. Immerhin werden die Euthanasiemorde vorübergehend eingestellt.

“Das Regime nutzte diese Aktion als Testlauf zum Holocaust”

Im Grunde war der aus altem Münsterländer Adel stammende von Galen wenig revolutionär veranlagt. 1878 auf Burg Dinklage geboren, wirkte er nach Schule und Studium bis 1929 als Pfarrer in der katholischen Berliner Diaspora. Dass er 1933 Bischof von Münster wurde, kam für viele Beobachter überraschend, doch prädestinierten ihn seine familiären Kontakte und sein adliges Selbstbewusstsein sicherlich zu einem unabhängigen Kurs gegenüber staatlichen Stellen. Wie viele katholische Adlige trauerte von Galen der Monarchie nach und blieb gegenüber der Weimarer Republik distanziert. Als ab 1934 das nationalsozialistische Regime ganz offen gegen die katholische Kirche kämpfte, stellte er sich dem entschlossen entgegen.

Zusammen mit dem Berliner Bischof Konrad Graf von Preysing bildete von Galen den regimekritischen Flügel des deutschen Episkopats. Seine Bereitschaft zum Handeln machte ihn in seiner Diözese ausserordentlich populär. Im Sommer 1941 spitzte sich die Lage dort zu: Nach dem schnellen Sieg über Frankreich fühlten sich die örtlichen Parteistellen der NSDAP offenbar stark genug, das Euthanasieprogramm, die Vernichtung “lebensunwerten Lebens”, zügig umzusetzen. Geistig Behinderte wurden aus Pflegeheimen ohne Zustimmung von Eltern und Verwandten verlegt, durch Vergasung oder Giftspritze ermordet und anschliessend verbrannt. Das Regime nutzte diese Aktion als Testlauf zum Holocaust.

Innerhalb des Episkopats bildeten von Galens Predigten den Auftakt zu einer Reihe von öffentlichen Verlautbarungen gegen die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes, nicht nur gegen die Euthanasiemorde: “All die Urrechte, die der Mensch hat, das Recht auf Leben, auf Unversehrtheit, auf Freiheit können und dürfen auch dem nicht abgesprochen werden, der nicht unseres Blutes ist oder nicht unsere Sprache spricht”, kritisierte von Preysing im Dezember 1942 in seinem “Hirtenbrief über das Recht”, der auch im amerikanischen Repräsentantenhaus verlesen wurde. Von dieser Betonung der gottgegebenen menschlichen Rechte führt eine direkte Traditionslinie zu den Naturrechtsartikeln des Grundgesetzes.

Nach dem Zusammenbruch liess der Vatikan Weihnachten 1945 bekannt geben, dass unter den neu zu ernennenden Kardinälen gleich drei Deutsche sein würden: der neue Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz, der Kölner Erzbischof Frings, der Berliner Bischof von Preysing und Bischof von Galen. Damit würdigte Pius XII. ihren Widerstand gegen das Regime. Zugleich wurde die Ernennung als Signal gegen die Kollektivschuldthese verstanden.

Auch politisch blieb von Galen aktiv. Nach der Erfahrung der braunen Barbarei war der gemeinsame christliche Glaube wichtiger als alles konfessionell Trennende. Von Galen unterstützte deshalb die Gründung einer interkonfessionellen christlichen Partei. Er entwarf sogar im Juni 1945 ein Programm für eine solche Partei. Viele katholische Bischöfe dachten ähnlich. Preysing in Berlin, wo es schon im Juni 1945 zur Gründung von Parteien kam, hielt über seinen Generalvikar Prange engen Kontakt zum ehemaligen Reichsminister Andreas Hermes. Der vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilte frühere Zentrumspolitiker koordinierte die Gründung einer christlichen Partei. Sein Nachfolger Jakob Kaiser hatte ebenfalls zum Umfeld der Attentäter des 20. Juli 1944 gehört. Der in Berlin gefundene Name “Christlich-Demokratische Union” setzte sich dann für die Neugründung durch.

Die Kardinalsernennung von Galens fand am 18. Februar 1946 in Rom statt. Bei der Rückkehr am 16. März nach Münster bereiteten die Diözesanen ihrem Bischof einen triumphalen Empfang. Wenige Tage später, am 22. März 1946, verstarb Kardinal von Galen an den Folgen eines verschleppten Blinddarmdurchbruchs.

Die historische Bedeutung Clemens August von Galens und seiner Euthanasiepredigt vom 3. August 1941 liegt in dem Zeugnis, das er gegen die Barbarei des NS-Regimes abgelegt hat. 2005 wurde der “Löwe von Münster” seliggesprochen. Sein Denken und Handeln bleibt uns Mahnung und Verpflichtung für die Gegenwart und Zukunft.

Seligsprechung Kardinal von Galen
Kardinal.von.Galen
Konrad.Graf.von.Preysing
Konrad.Kardinal.von.Preysing (Taschenbuch)
Bischof.Laun: “Skandalöses Fehlurteil” gegen Lebensschützer

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