Hungersnot in Afrika: Warum?
Mithelfen ist Christenpflicht, keine Frage
Von Professor Klaus Baumann
Durch die Dürre in Somalia sei die “schlimmste humanitäre Katastrophe” der Welt eingetreten, stellte der UN-Flüchtlingskommissar, António Guterres, Anfang dieser Woche nach dem Besuch eines Flüchtlingslagers im kenianischen Dadaab fest. Hunderttausende Menschen flohen aus Somalia wegen der schweren Dürre und Nahrungsmittelknappheit. Sie befinden sich in einem verzweifelten Zustand, wie Guterres es noch nie gesehen habe. Sein Aufruf zu Spenden und sofortiger humanitärer Hilfe ist völlig richtig. Das weltweite Netzwerk Caritas Internationalis koordiniert über sein römisches Generalsekretariat die Hilfe wo immer möglich in Verbindung mit der Kirche vor Ort und arbeitet mit anderen Nichtregierungsorganisationen (NROs) zusammen, damit die Hilfe wirklich ankommt, nicht von Profiteuren abgezweigt wird oder im Chaos steckenbleibt. Mithelfen ist Christenpflicht, keine Frage.
Die Frage richtet sich an die Behauptung, die Hungersnot rühre (allein) von der Dürre her. Das ist kaum die halbe Wahrheit. Ein verlässliches staatliches System gibt es in Somalia seit Jahrzehnten nicht mehr. Umso stärker vollziehen sich in Somalia Vorgänge, die analog in anderen afrikanischen Staaten zu beobachten sind. Die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung stellt in ihrem Bericht zur wirtschaftlichen Entwicklung in Afrika vom 11. Juli 2011 fest, dass in Afrika 2008 nur ein Prozent aller arbeitsintensiv gefertigten Waren weltweit hergestellt wurde. 2000 waren es noch 1,2 Prozent. Der Rest der Welt befindet sich in einem Wettlauf um Rohstoffgeschäfte mit Afrika und exportiert eigene Waren dorthin. Das hat auch die deutsche Wirtschaftsdelegation im Gefolge von Kanzlerin Merkel auf ihrer Afrika-Reise dieser Tage im Sinn. Es ist kein Geheimnis, dass die (meisten) Kriege in Afrika sich um die Beherrschung von Rohstoffvorkommen drehen und von diesen Geschäften finanziert werden. Dies bedroht den jüngsten afrikanischen Staat Südsudan schon jetzt. Und wo Krieg herrscht, liegt Landwirtschaft danieder.
Die Hungersnöte in Afrika entstehen auch durch die Benachteiligung, Enteignung und Vertreibung der Landbevölkerung auf minderwertiges Land. Die besten Böden werden in grossem Stil von den “Regierungen“ an internationale – häufig indische und chinesische – Agrarkonzerne verkauft. Viehhalter können mit ihren Herden nicht mehr auf traditionelle Weidegründe. Wo ehemalige Kleinbauern bei diesen Konzernen Arbeit finden, werden sie unter Subsistenzniveau bezahlt und bleiben ohne sozialen und rechtlichen Schutz. Die Erträge der übrigen Kleinbauern bleiben gering und können den Lebensunterhalt nicht sichern. Schliesslich forciert die Gewinnung von Agrotreibstoffen die Lebensmittelknappheit und treibt die Preise für Grundnahrungsmittel nach oben. Die Berichte des Sonderberichterstatters des UN-Menschenrechtsrates für das Recht auf Nahrung vom 11. August (A/65/281) und 17. Dezember 2010 (A/HRC/16/49) sprechen diese Missstände für Afrika und andere Weltregionen offen an. Sie scheinen ungehört zu verhallen, wie seine Empfehlungen für eine nachhaltige Entwicklung.
Zielsicher hat sich die 19. Generalversammlung von Caritas Internationalis im Mai dieses Jahres die “soziale Vision” von Papst Benedikt XVI. besonders in seinen Enzykliken “Deus caritas est” und “Caritas in veritate” zu eigen gemacht, und als Leitwort formuliert: “One human family – zero poverty”. Schon das Zweite Vaticanum mahnte: “Man muss die Ursachen der Übel beseitigen, nicht nur die Wirkungen. Die Hilfeleistung sollte so geordnet sein, dass sich die Empfänger […] auf die Dauer selbst helfen können.”
Neben der unbedingt erforderlichen akuten Nothilfe gehört zu den Aufgaben der Kirche darum – auf allen Ebenen vor Ort bis zur Weltkirche – die intensive Förderung der Solidarität mit Hilfe des Aufbaus zivilgesellschaftlicher Strukturen; mit ihren Gemeinden vor Ort hat sie dafür beste Voraussetzungen. Sie stärkt das Selbstbewusstsein der Bevölkerung. Es wächst ein Gegengewicht zur Präpotenz der Regierenden und Mächtigen, der Politik und der Wirtschaft. Diese werden gedrängt, dem Gemeinwohl und damit den Interessen und Bedürfnissen wie auch der Würde aller und jedes Menschen zu dienen. Dafür ist auch die intensive Teilnahme der Kirche und ihrer Caritas an politischen und wirtschaftsethischen Diskursen unerlässlich, um nicht Halbwahrheiten über die Ursachen humanitärer Notlagen und Katastrophen gelten zu lassen, sondern wirksam “die Ursachen der Übel” anzugehen.
Professor Klaus Baumann lehrt Caritaswissenschaft und Christliche Sozialarbeit an der Theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
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