Wie im Vorhof des Himmels

Ein Fest des Glaubens und ein Fest für die Augen

Venedig, Die Tagespost, 09.05.2011

Eine weisse Gondel für den Papst: Benedikt XVI. in Venedig – Dreihunderttausend kamen zum Gottesdienst – Das missionarische Zeugnis Aquileias. Von Guido Horst

Am Ende wird der Papst wohl kaum noch gewusst haben, wie oft er in ein Bötchen ein- und ausgestiegen ist. Wer Venedig besucht, muss Schiffchen fahren. An die Gondel allerdings, die Benedikt XVI. zum Abschluss vom Markus-Platz quer über den Canale Grande zur Basilica della Salute brachte, wird er sich noch gut erinnern: Schön weiss war sie, mit goldenen Aufbauten und roten Samtsitzen, vier Gondolieri steuerten sie sicher hinüber zu der grossen Marienkirche. Daneben und im Gefolge eine ganze Schar von Gondeln, auch die päpstliche Begleitung musste sich über die Wellen schaukeln lassen. 26 Jahre ist es her, dass Johannes Paul II. der Lagunenstadt seine Aufwartung gemacht hat. Nun war es Papst Benedikt, der als Nachfolger Petri das Land des heiligen Markus aufsuchte.

Das Vorbild der Märtyrer

Der Evangelist, dessen Gebeine im Markus-Dom in Venedig verehrt werden, ist aber eher noch mit Aquileia verbunden, der ersten Station des Papstes bei seiner Visite der Diözesen im Nordosten Italiens. Hier hat der Apostel gewirkt und gepredigt. Von Aquileia aus breitete sich das Christentum in Norditalien, ins heutige Kroatien und Slowenien und bis nach Bayern und Ungarn aus. Am Samstagnachmittag traf Benedikt XVI. in dem heute eher unbedeutenden Städtchen ein, der Patriarch von Venedig, Kardinal Angelo Scola, die Erzbischöfe von Gorizia und Udine und weitere Würdenträger der dortigen Bistümer hatten ihn am Flughafen in Empfang genommen. Schon bei seinem Begrüssungswort auf der gut gefüllten Piazza del Capitolo vor der alten Basilika Aquileias ging der Papst auf die Geschichte der Stadt als missionarisches Zentrum ein: “Die Grösse von Aquileia liegt nicht nur darin, dass diese Stadt die neuntgrösste des Imperiums und die viertgrösste Italiens war, sondern in ihrer lebendigen und vorbildlichen Kirche, die zu einer authentischen Verkündigung des Evangeliums fähig war, das sie mutig in den umliegenden Regionen verbreitete und das sie für Jahrhunderte bewahrte und nährte. Ich bitte die heiligen Märtyrer von Aquileia darum, auch heute in der Kirche mutige und treue Jünger Christi zu erwecken, die sich nur zu Ihm bekennen und deshalb überzeugt und überzeugend sind.” Denn nur durch Christus, sagte der Papst weiter, “erhält die Menschheit Hoffnung und eine Zukunft, nur durch ihn kann sie die Bedeutung und Stärke der Vergebung begreifen, der Gerechtigkeit und des Friedens”. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass Papst Benedikt während seines zweitägigen Besuchs zu einem missionarischen Zeugnis für den Erlöser aufrief. Die fünfzehn Diözesen des italienischen Nordostens von Brixen und Bozen bis nach Udine und Triest bereiten sich auf eine zweite Kirchenversammlung in Aquileia vor, die im kommenden Jahr stattfinden soll.

Zu Delegierten dieser Versammlung sprach Benedikt XVI. dann im Inneren des Doms, einem Kirchenbau aus dem elften Jahrhundert. Die erste Kirchenversammlung dieser Art, Aquileia I, hatte 1990, in der Zeit der politischen Umwälzung Europas, stattgefunden, als der Nordosten Italiens plötzlich nicht mehr Vorposten des Westens unmittelbar am Eisernen Vorhang, sondern Durchgangsgebiet in die Länder Mittel- und Osteuropas war. Die Versammlung im kommenden Jahr soll sich vor allem mit der missionarischen Aufgabe der Kirche, dem Zeugnis des Glaubens, befassen, einem Zeugnis, das dem Papst zufolge “vor allem mit den Werken der Liebe und den Lebensentscheidungen zugunsten der konkreten Menschen” abzulegen ist, “angefangen bei den Schwächsten, Gebrechlichsten, Schutzlosen, nicht Selbstständigen wie den Armen, den alten Menschen, den Kranken, den Behinderten”. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit müsse dabei die Familie stehen, die “Wiege der Liebe und des Lebens, die Grundzelle der Gesellschaft und der kirchlichen Gemeinschaft”. Dem gelebten Glauben, sagte Papst Benedikt weiter, entspringe auch heute eine fruchtbare Kultur, deren Bestandteile “die Liebe zum Leben von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende, die Förderung der Menschenwürde, die Betonung der auf der treuen und für das Leben offenen Ehe gegründeten Familie sowie das Eintreten für Gerechtigkeit und Solidarität” seien. Solche kulturelle Veränderung machten es notwendig, “überzeugte Christen zu sein, bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt”.

Wie im Vorhof des Himmels

“Du, bestärke unseren Glauben” lautete das Motto der zweitägigen Papstvisite. Und hier in Aquileia wie auch am Sonntag in Venedig war es immer wieder das Anliegen des Papstes, das Positive, Befreiende und die Freude des Glaubens herauszustellen. Passend dazu dann am Samstagabend und am Sonntag der Aufenthalt Benedikts XVI. in Venedig: Nicht nur ein Fest des Glaubens, sondern auch ein Fest für die Augen. Die Gondeln und Boote, die den Papst bei seinen verschiedenen Überfahrten begleiteten, der Einzug in den Markus-Dom, dessen mit Goldmosaiken überzogene hohen Gewölbe wie ein Vorhof des Himmels erscheinen. Der Papst musste innehalten, als er mit dem Patriarchen an seiner Seite den Kirchenraum betrat, kurz breitete er die Arme aus vor diesem Anblick überwältigender Schönheit. “Corpus Divi Marci Evangelista” – “Der Leib des göttlichen Evangelisten Markus” steht auf dem Steinsarkophag des Apostels, vor dem Papst Benedikt dann betete.

Der grosse Gottesdienst unter freiem Himmel fand in dem weiten Park San Giuliano in Mestre statt. Die Diözese Venedig hatte die Bischöfe der Nachbarregionen eingeladen, man rechnete mit mindestens einhunderttausend Teilnehmern – und dreihunderttausend kamen. Schon am Samstagabend hatten deutsche und bayerische Fahnen den Papst auf dem Markusplatz begrüsst, und auch in Mestre erwartete ihn ein buntes Völkergemisch von Italienern, Kroaten, Slowenen, Ungarn, Österreichern und Deutschen. Auch hier sprach Benedikt XVI. über die christliche Bekehrung als Moment der Freude, Hoffnung und Liebe: An der Notwendigkeit der Glaubensverkündigung habe sich bis heute nichts verändert, so der Papst in seiner Predigt. Und doch sei das Christentum heute bedroht, immer mehr Menschen kehrten ihm den Rücken zu: “Dem Christ-Sein droht heute die Entleerung seiner Wahrheit und seiner tiefsten Bedeutungen, es droht zu einem Horizont zu werden, der nur oberflächlich und in nurmehr kulturellen und sozialen Aspekten das Leben bejaht.” Auch hier gelte es, zurückzukehren zum “postolischen Eifer” und der “pastoralen Dynamik” der frühen Christen von Aquileia.

Akzent auf dem Anziehenden der Botschaft

Am Nachmittag stand dann die Fahrt in der weissen Gondel zur Basilica della Salute, der Basilika des Heils, auf dem Programm, hier erwarteten Vertreter von Kultur und Wirtschaft den Papst. Und wieder wollte Benedikt XVI. das Anziehende des Christlichen in den Vordergrund stellen: “Jesus hat offenbart, dass Gott das Leben liebt und es von jeder Verneinung befreien will, bis hin zu jener radikalen Verneinung, die das geistliche Übel ist, die Sünde, die giftige Wurzel, die alles verseucht. Daher kann Jesus selbst die ,Gesundheit‘ des Menschen genannt werden: Salus nostra Dominus Jesus.” Das Evangelium, so der Papst, sei die grösste Kraft der Verwandlung der Welt, “doch es ist weder eine Utopie noch eine Ideologie”, sondern vielmehr der “Weg” der Liebe in der Wahrheit. Dieser Weg hatte Papst Benedikt in Venedig über viel Wasser geführt. Am Ende war es dann auch wieder ein Boot, das ihn zum Flughafen brachte.

Santa-Maria della Salute
Markusdom

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