Homilie beim Pontifikalamt am Ostersonntag

Diözesanbischof, 24. April 2011, Kathedrale in Chur

Homilie beim Pontifikalamt am Ostersonntag

Brüder und Schwestern im Herrn,

die Anhänger Jesu hätten das überwältigende Empfinden der Gegenwart ihres Meisters gehabt. So erklärt der Kritiker des Christentums, Carmichael, in seinem Buch “Leben und Tod des Jesus von Nazareth” den Glauben der Jünger an die Auferstehung Christi. Das heisst mit andern Worten: Die Auferstehung Christi, das Motiv der Auferstehung Christi ist eine Art Einbildung seiner Anhänger. Wir könnten auch von einer Wunschvorstellung sprechen, von Phantasie, von Träumerei. Im Klartext bedeutet diese Bewertung jedenfalls: Die Auferstehung Christi ist kein Faktum. Sie entspricht einem Bedürfnis der Jünger Jesu, ihren Meister zu verherrlichen, ja zu vergöttlichen und ihn nahe zu wissen.

Nun, der Mann kann ja recht haben. Wie vielen Täuschungen sind die Menschen schon erlegen. Wie viele Phantasien haben sie schon entwickelt. Aber lassen wir uns trotzdem nicht gleich verwirren. Herr Carmichael ist ja nicht Augenzeuge der Ereignisse. Er hatte es ja mit den Anhängern Jesu nicht zu tun. Er kann die Sache nicht aus eigener Anschauung beurteilen. Er verfügt nur – genau wie wir – über schriftliche Zeugnisse der damaligen Zeit. Hält aber seine Beurteilung den Aussagen und Schilderungen dieser Quellen stand? Ist seine Beurteilung wirklich die Schlussfolgerung, die man daraus ziehen muss? Carmichael ist den Anhängern Jesu gegenüber kritisch. Warum sollen wir nicht ihm gegenüber kritisch sein, wenn er meint, den Glauben an die Auferstehung unseres Herrn in den Bereich der Phantasie oder der Gefühlswelt verbannen zu müssen?

Wir haben heute eines der vielen Evangelien gehört, welche über die Auferstehung unseres Herrn sprechen: Joh 20,1-9. Wir müssten jedes einzelne beurteilen. Der heutige Text sagt uns zwei Worte, welche die These all jener, welche die Auferstehung unseres Herrn mit dem Argument der Täuschung oder Einbildung abtun, in Frage stellt. Das erste Wort ist die Reaktion der Maria von Magdala angesichts des leeren Grabes: “Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen, und wir wissen nicht, wohin man ihn gelegt hat.” Maria von Magdala rechnet gar nicht mit der Auferstehung. Bei ihr finden wir nichts von einer Wunschvorstellung, die Auferstehung Jesu heisst. Die Tatsache, dass der Leichnam Jesu nicht mehr im Grabe liegt, lässt bei ihr nur einen Schluss zu: Man hat ihn weggenommen. Man hat ihn anderswo hin gelegt.

Das zweite Wort finden wir am Schluss des Evangeliums: “Denn sie wussten noch nicht aus der Schrift, dass er von den Toten auferstehen musste.” Die Auferstehung des Herrn stand für die Jünger gar nicht fest, und sie rechneten gar nicht damit. Der Herr hatte zu ihnen wohl über seine Verherrlichung gesprochen. Einige erinnerten sich daran. Sie konnten aber diese Aussagen nicht einordnen. Mit anderen Worten: Mit der Auferstehung unseres Herrn kam etwas ganz Neues in den Horizont der Jünger, etwas, das sie erst in jenem Augenblick voll begriffen, als Jesus ihnen wirklich als der Auferstandene erschien. Dasselbe legt uns auch die Reaktion des Johannes, des anderen Jüngers, nahe, da er in die leere Grabesgruft eintrat: “Er sah und glaubte.” Von diesem Moment an – und erst von diesem Moment an – hat er verstanden, was der Herr damals meinte, als er zu den Jüngern von seiner Auferstehung sprach. Die Jünger hatten keine Wunschvorstellung in der Art der Auferstehung. Sie hatten diesbezüglich nur Fragen.

Wir könnten die Evangelien noch weiter absuchen, und wir kämen immer zum gleichen Ergebnis: Niemand hat sich vorgestellt, der Herr könnte auferstehen. Uns legt sich daher die Schlussfolgerung nahe: Der Herr ist wirklich auferstanden. Der Herr ist uns wirklich in ein neues Leben vorausgegangen. Nicht menschliche Phantasie hat Jesus vergöttlicht, vielmehr hat Gott seinen Sohn beglaubigt. Amen.

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