Die “schwarze Woche”

Vor genau einem Jahr erlebte Rom den Höhepunkt eines Mediensturms

Rom, Die Tagespost, 06.04.2011

Vor genau einem Jahr erlebte Rom den Höhepunkt eines Mediensturms, in dem sich viel “sprungbereite Feindseligkeit” gegen den deutschen Papst entladen hat. Vatikanvertreter mussten lernen, dass heute jedes Wort auf die Goldwaage zu legen ist. Von Guido Horst

Der Frühling ist ausgebrochen und die Rom-Besucher, die in diesen Tagen bei strahlend blauem sonnigem Himmel über den Petersplatz bummeln und die üblichen Gruppenfotos schiessen, erinnert nichts mehr an die schweren Schatten, die genau vor einem Jahr über dem Zentrum der Weltkirche hingen. Aber auch der Vatikan geniesst seit Wochen die Ruhe des friedlich vor sich hin arbeitenden Apparats. Die Vorstellung des zweiten Bands des Jesus-Buchs von Papst Benedikt war eine kurze Unterbrechung der Routine, während der einwöchigen Fastenexerzitien von Papst und Kurie vor kurzem kam sogar der Trubel des Mittwochs rund um die Generalaudienz zum Erliegen.

Nichts erinnert hier mehr an die Tage zu Ostern 2010, die bei Beobachtern und Berichterstattern als die “schwarze Woche” in die Geschichte des nunmehr sechsjährigen Pontifikats Benedikts XVI. eingegangen sind. Es hatte eine Schonzeit für den deutschen Papst gegeben. Nach seiner Wahl zum Nachfolger Johannes Pauls II. lauschten sogar kirchenkritische Medien den Ausführungen des Theologen auf dem Petrus-Stuhl und fanden Gefallen daran, wieder einen Papst zu haben, der verständlich spricht und munter umherschreiten kann. Diese Schonzeit war mit der “Regensburger Vorlesung” und den sich anschliessenden diplomatischen Verwicklungen mit der muslimischen Welt beendet. Auch Papst Benedikt musste lernen, sich die Schutzschilder derer zuzulegen, die von Amts wegen beständig Gefahr laufen, in das Visier einer nicht nur säkularen, sondern auch laizistisch geprägten und deshalb latent anti-katholischen Medienwelt zu geraten.

Als schliesslich zu Beginn des Jahres 2009 der “Fall Williamson” eskaliert war und der deutsche Papst im März zu dem völlig aussergewöhnlichen Mittel griff, allen Bischöfen der Welt einen Brief zu den Vorgängen um die Aufhebung der Exkommunikation der Lefebvre-Bischöfe zu schreiben, formulierte er darin auch jenen klagenden Satz, der eine gewisse Verletzbarkeit der eigenen Person unverblümt eingestand: “Betrübt hat mich, dass auch Katholiken, die es eigentlich besser wissen konnten, mit sprungbereiter Feindseligkeit auf mich einschlagen zu müssen glaubten.” Doch als er das schrieb, ahnte er wohl nicht, dass nicht einmal ein Jahr vergehen würde, bis er schon wieder jene “sprungbereite Feindseligkeit” zu spüren bekommen sollte. Auslöser war diesmal der Missbrauchsskandal.

Das Jahr 2010 begann mit einem etwas freudlosen Besuch des Papstes in der römischen Synagoge. Am 19. Dezember zuvor hatte Benedikt XVI. seinem Vorgänger Pius XII. den heroischen Tugendgrad zuerkannt – ein Reizthema für viele Juden, das die Polemik nach der Neuformulierung der grossen Fürbitte für die Juden in der Karfreitagsliturgie nach dem “alten” Ritus wieder entfachte. Die in Irland bekannt gewordenen Fälle des Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen an katholischen Einrichtungen schienen zu diesem Zeitpunkt noch ein regionaler, kein internationaler Gau zu sein. Doch der kam bald: Als sich der Skandal auf deutsche Ordensschulen ausweitete, geriet ein Stein ins Rollen, der in der Karwoche auch den Vatikan überrollen sollte. Fast am hysterischsten reagierten die internationalen Medien, als lange zurückliegende Fälle im Umfeld der Regensburger Domspatzen bekannt wurden. Man muss den deutschsprachigen Zeitungen zugute halten, dass sie schnell und sachlich die tatsächlichen Zusammenhänge aufklärten. Aber im italienischen und angelsächsischen Ausland war die Assoziation zunächst die: Chorknaben, Missbrauch und – wohl als einzig möglicher Täter – ein Chorleiter: der Papstbruder. Bis die Erklärungen etwa der Diözese Regensburg schliesslich von den nicht-deutschen Redaktionen zur Kenntnis genommen wurden, war die schon durch die Bildsprache vermittelte Botschaft die: Missbrauch im Chor Georg Ratzingers, dazu Fotos von ihm – und von Benedikt XVI.

“Sprungbereite Feindseligkeit: Regensburg war wie die Stimmgabel dafür, was nun über den Vatikan hereinbrechen sollte.
Es folgten die Fälle Hullermann in der Erzdiözese München sowie Murphy und Kiesle in den Vereinigten Staaten, die alle dazu dienten, Papst Benedikt persönlich in den Missbrauchsskandal hineinzuziehen. Protagonist der Schlammschlacht war die „New York Times“, der viele Medien folgten. Der Brief des Papstes an die Katholiken in Irland vom 19. März konnte die Gemüter kaum beruhigen. Aber immerhin richtete das Pressebüro des Vatikans nun eine eigene Rubrik auf seiner Homepage zu den bekannt gewordenen Missbrauchsfällen ein und sorgte für Übersetzungen etwa der offiziellen kirchlichen Stellungnahmen aus Deutschland. Es nahten der Palmsonntag und die Karwoche, aber die Erregung der Medien wollte nicht abflauen. Würde Benedikt XVI. etwas zum Missbrauch sagen, wenn die Kirche des Leidens und der Auferstehung Jesu Christi gedenkt? Offen spekulierten Zeitungen über einen Papstrücktritt. Bereits Anfang Februar hatte „Der Spiegel“ seine Titelgeschichte über „Die Scheinheiligen – Die katholische Kirche und der Sex“ gebracht. Aber genau das war immer noch die Stimmung, gegen die sich jetzt, kurz vor Ostern, der Papst und seine Presseleute stemmen mussten.

In dieser aufgeheizten Atmosphäre schafften es ausgerechnet Vertreter des Vatikans, drei mächtige, global agierende Lobbys zusätzlich zu reizen und die antirömische Stimmung auf einen Siedepunkt zu bringen. Karfreitag 2010: die “schwarze Woche” beginnt. Wie immer hält der Prediger des päpstlichen Hauses, Pater Raniero Cantalamessa, eine Meditation über das Leiden des Herrn. Genau an diesem Tag – der für die Juden das finsterste Kapitel in ihrer Beziehung zum Christentum darstellt, weil er ihnen den Vorwurf des Gottesmords einbrachte – geht er auf die Missbrauchsfälle ein und vergleicht die Anklagen gegen die katholische Kirchenführung mit der kollektiven Schuld, die der Antisemitismus über Jahrhunderte wegen Kreuzigung des Messias dem jüdischen Volk zugesprochen hat. Vertreter des Judentums in aller Welt sind entsetzt. Es kommt zu heftigsten Attacken. Ostersonntag: Bei der Auferstehungsfeier auf einem verregneten Petersplatz bezeichnet der Dekan des Kardinalskollegiums, Angelo Sodano, die Anschuldigungen gegen den Papst in einer Solidaritätsadresse für Benedikt XVI. als „Geschwätz“ der Straße. Verbände und Vertretungen der Missbrauchsopfer heulen auf. Schließlich Montag, 12. April: Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone stellt bei einem Pressegespräch in Chile eine Verbindung zwischen Homosexualität und Pädophilie her. Der Gesamtzusammenhang macht klar, dass Bertone über Zustände im Klerus sprach, aber er sagt es nicht explizit. Homosexuellen-Lobbys weltweit überschlagen sich mit Empörung. Vatikansprecher Federico Lombardi im Stresstest.

Das alles ist gerade einmal ein Jahr her. Es hat noch Monate gedauert, bis die fiebrige Erregung der Medien auf das Normalmass einer objektiveren Berichterstattung zurückging. Auch innerkirchlich produzierte die “schwarze Woche” einigen Unmut, so etwa den Streit zwischen den Kardinälen Sodano und Christoph Schönborn wegen der Verwendung des Wortes “Geschwätz”. Noch im Sommer fantasierten humanistische und atheistische Anwälte beziehungsweise Autoren, man müsse den Papst bei seiner Ankunft in England verhaften lassen. Es sollte genau umgekehrt kommen: Während des überaus erfolgreich verlaufenen Besuchs Benedikts VI. auf der Insel gaben die angelsächsischen Medien den deutschen Papst endlich frei. Das Echo der Reise war gut. Der Medienkrieg, der mit dem Missbrauchsskandal in Irland begonnen hatte, in der “schwarzen Woche” seinen Höhepunkt fand und in den folgenden Monaten erst langsam abklingen sollte, war beendet. Die kircheninterne Debatte über den Zölibat und vermeintliche Reformen, die sich etwa in Deutschland an die Missbrauchskrise anschloss, findet so gut wie unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit statt. Den gewöhnlichen Medienkonsumenten interessiert das nicht mehr.

Einen Tag vor Palmsonntag wird Benedikt XVI. jetzt 84 Jahre alt. In hohem Alter hat er einen Mediensturm erlebt, wie ihn noch nie ein Papst ertragen musste. Was ist von der “schwarzen Woche” geblieben? In Deutschland, Irland und anderswo arbeitet die Kirche den Missbrauchskandal auf – mit mässigem Medieninteresse. Im päpstlichen Rom ist es in diesen Tagen ungewöhnlich ruhig. Ganz anders als vor einem Jahr. Doch die Feindseligkeit bleibt sprungbereit.

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