“Das Mittelalter kehrt in grossen Schritten zurück”

Avignon: Angriff auf die umstrittene Fotografie “Piss Christ”

Die Südostschweiz, 19.04.2011, von Stefan Brändle

Katholiken haben in der einstigen französischen Papststadt Avignon die seit Jahren umstrittene Fotografie “Piss Christ” des amerikanischen Künstlers Andres  Serrano attackiert. Das Museum stellt das zerstörte Werk weiter aus

Avignon. – Sie kamen am Sonntag, zu viert, mit Messern, Hämmern und Sonnenbrillen. Nachdem sie wie andere Besucher der Sammlung Lambert in Avignon ihr Eintrittsgeld bezahlt hatten, inszenierten zwei von ihnen einen Streit, um die Wächter abzulenken. Die beiden anderen schlugen die Plexiglasscheibe des Exponats “Immersion – Piss Christ” ein, zerschnitten und verwüsteten es. Herbeieilende Wächter bedrohten sie; dann machten sie sich über eine weitere Fotografie namens “Soeur Jeanne Myriam” her. Nach getaner “Arbeit” verschwand das Kommando.

Die Polizei machte gestern keine Angaben zu den Tätern. Doch sie ermittelt ausschliesslich in Kreisen katholischer Fundamentalisten. Die beiden vandalisierten Fotos gehören zum Werk des New Yorker Künstlers Andres Serrano, der sich vorzugsweise mit dem Spannungsfeld von Religion und Sexualität auseinandersetzt.  “Immersion – Piss Christ” deutet ein in Urin und Blut getauchtes Kruzifix an; das zweite zerstörte Bild beschränkt sich auf den Schoss und den Oberkörper einer meditierenden Ordensschwester.

Seit 1987 in der Kritik

Vor allem die 60 mal 40 Zentimeter grosse Christus-Fotografie ist seit ihrer Entstehung im Jahre 1987 Gegenstand heftiger Kritik. 1989 kritisierten konservative US-Kongressabgeordnete wie Jesse Helms die Unterstützung Serranos mit öffentlichen Geldern; darauf traten schärfere Subventionierungsregeln in Kraft. 1997 bemühte sich die katholische Kirche Australiens vergeblich um die Schliessung einer Ausstellung mit dem Urin-Bild in Melbourne. Zwei Jugendliche, die das Bild mit Hämmern traktierten erreichten schliesslich, was die Kirche nicht geschafft hatte.

In Avignon ist die Fotografie Teil einer Gesamtschau namens “Ich glaube an Wunder” des französischen Kunsthändlers Yvon Lambert. Sie steht seit drei Monaten offen. Der als konservativ geltende Erzbischof von Avignon, Jean-Oierre Cattenoz, forderte als einer der Ersten den Rückzug des seinen Worten zufolge “abscheulichen Bildes”. Eine Petition gegen die “antichristliche Diskriminierung” und die “gemeine Schändung Christi” vereinte darauf 35 000 Unterschriften; das katholische Institut Civitas sandte sie in einzelnen E-Mails an die Sammlung sowie an die Bürgermeisterin von Avignon, Marie-Josée Roig. Die Generalallianz gegen Rassismus und für den Respekt vor der französischen und christlichen Identität verlangte zudem vor Gericht – erfolglos – den Rückzug der Serrano-Fotos.

Minister beklagt Intoleranz 

Letzten Samstag folgten etwa 1000 Demonstranten dem Protestaufruf des Civitas-Institutes. Unter ihnen auch Lokalabgeordnete des rechtsextremen Front National. Zum Schluss der Veranstaltung beteten sie einen Rosenkranz. Tags darauf folgte der Überfall auf die Serrano-Fotografien. Der französische Kulturminister Frédéric Mitterand meinte, jede Art von Gewalt oder Intoleranz sei inakzeptabel: “Auch wenn man anerkennen kann, dass eines der beiden Werke ein gewisses Publikum schockieren kann, verurteile ich einen solchen Angriff auf ein Grundprinzip”,  meinte Mitterand mit Verweis auf die Kunst- und Meinungsäusserungsfreiheit.

Der Sammler Lambert, der in seinem Kunstzentrum derzeit über 100 zeitgenössische Werke von Cy Twombly, Miquel Barcelè oder Anselm Kiefer zeigt, meinte, die Verfolgung per Telefon und Internet werde “unerträglich”. “Das Mittelalter kehrt in grossen Schritten zurück”, fügte er an. Die beiden Serrano-Werke will Lambert in der noch bis 8. Mai dauernden Ausstellung in ihrer verwüsteten Form weiter ausstellen.

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