Atom: Raus aus den Ideologien

Energiepolitik ist keine Glaubensfrage

Tagespost, 13.04.2011, von Markus Reder

Energiepolitik ist keine Glaubensfrage. Das war vor Fukushima so, daran hat sich auch nach der Reaktorkatastrophe nichts geändert. Und doch: Über Jahrzehnte wurde die Auseinandersetzung um die Atomkraft wie ein “Glaubenskrieg” geführt. Bei der Kernenergie prallten die politischen Lager mit voller Wucht aufeinander. An der Atomkraft schieden sich nicht nur die Geister, sie markierte – wie nur wenige andere Themen – die ideologische Bruchlinie zum politischen Gegner. Strauss, Wackersdorf, der tobende grüne Protest: Es ging um Kernkraft, in Wirklichkeit aber um viel mehr, um den Kampf zweier Weltbilder. Das alles ist Jahrzehnte her. Das Thema Atomkraft aber ist bis heute ideologisch verstrahlt – auf beiden Seiten. Das macht die sachliche Auseinandersetzung so schwierig und belastet die Debatte um den Ausstieg. Wie sehr das der Fall ist, wird sich in den Auseinandersetzungen der kommenden Jahre noch deutlich zeigen. Je mehr Ideologie im Spiel ist, umso schwerer hat es die Stimme der Vernunft.

Energiepolitik ist keine Glaubensfrage, wohl aber eine Frage von Vernunft und Verantwortung. Darum ging es den bayerischen Bischöfen, als sie jüngst auf ihrer Frühjahrsvollversammlung formulierten: Die Atomkraft sei keine dauerhafte Perspektive für die Energieversorgung. “Der Ausstieg aus dieser Technologie muss so schnell wie möglich vollzogen werden, die Phase des Einsatzes von Nuklearenergie als sogenannte Brückentechnologie muss so kurz als möglich sein”. Das bedeutet kein Einknicken vor grünem Zeitgeist, das ist ethisch konsequent.

Wer nach Fukushima so tut, als könne man weiter machen wie gehabt, betreibt Wirklichkeitsverweigerung. Die Lehre aus dieser Katastrophe heisst nicht: Wie gut, dass es bei uns keine Erdbeben gibt und wir die sichersten Kraftwerke haben. Sie lautet: Auch das Undenkbare kann eintreten. Statistische Wahrscheinlichkeiten sind kein verlässlicher Schutz. Das Restrisiko der Kernenergie ist unkalkulierbar. Das alles konnte man bereits vor Fukushima wissen, aber dieser GAU hat die Gefahren erneut dramatisch vor Augen geführt. Eine Hochrisikotechnologie, die keine Fehler toleriert und kommenden Generationen atomaren Wohlstandsmüll aufbürdet, lässt sich nicht verantworten.

Aussteigen so schnell wie möglich, muss freilich auch bedeuten, so vernünftig wie nötig. Deutsche Reaktoren herunterzufahren, um Atomstrom dann aus anderen Ländern und weniger sicheren Reaktoren zu importieren, ist keine Lösung, sondern Teil des Problems. Energiepolitik ist eine Zukunftsfrage der Menschheit, sie taugt nicht zum Spielball für Ideologen gleich welcher Couleur. Voraussetzung für einen verantwortungsvollen Ausstieg aus der Kernkraft ist daher der Ausstieg aus deren ideologischen Altlasten.

Diese Zeitung druckt heute auf Seite 9 ein Interview mit dem Philosophen Robert Spaemann. Der Text erscheint zum zweiten Mal. Ein ungewöhnlicher Vorgang, aber dieses Interview hat hohen dokumentarischen Wert. Das Gespräch wurde bereits vor einem Jahr geführt. Heute wirkt es noch aktueller als damals und es dokumentiert: Spaemanns überlegtes “Nein” zur Atomkraft ist keine Panikreaktion auf Japan, sondern rational begründet. Vernunft und Verantwortung sind jetzt gefragt: Die Atom-Debatte muss zur ideologiefreien Zone werden.

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