Rückeroberung des Heiligen

O Gott, komm mir zu Hilfe! / Herr, eile mir zu helfen!

Welt online,  Autor: Paul Badde, 08.07.2007

Die Zahlen sind deutlich, dass in den letzten Jahrzehnten viele heimatlos wurden in der katholischen Kirche. Aber auch, wie es bei allen guten Absichten dazu kam, wird vielleicht ein Geheimnis bleiben.

Der aufreizende Entscheid Papst Benedikt XVI., der tridentinischen Liturgie ab dem 14.September wieder volles Heimatrecht in der katholischen Kirche zu gewähren, lässt sich vielleicht am ehesten an einem kleinen Beispiel erläutern. Jeden Sonntag um 17 Uhr wird im Chor des Petersdoms die alte gregorianische Vesper mit den Worten des 70. Psalms begonnen: “Deus, in adiutorium meum intende! / Domine ad adiuvandum me festina! (O Gott, komm mir zu Hilfe! / Herr, eile mir zu helfen!)” Es ist eine ergreifende Stunde.

Bis vor Kurzem scharrten dabei hinter dem Chor aber gleichzeitig die Füsse Tausender Touristen in der Basilika, die Kunstschätze bestaunten, Fotos machten oder mit ihren Liebsten telefonierten. Denn das Gotteshaus ist ja auch ein Schatzhaus ohnegleichen, das Besucher aus der ganzen Welt wie ein Magnet anzieht. Als Benedikt XVI. im letzten Oktober jedoch Erzbischof Angelo Comastri zum Erzpriester der Basilika bestellte, war es eine von dessen ersten Massnahmen, Besucher während der Vesper fortan nur noch bis vor den Bernini-Altar kommen zu lassen, fast 100 Meter von den Betern im Chor entfernt.

Die Verfügung lässt sich auch symbolisch lesen: als Ausweitung und Rückeroberung des heiligen Raums innerhalb der Kirche vor dem Ansturm der Säkularisierung. Denn für die meisten Menschen ist der Petersdom ja längst auch ein Museum geworden, in dem die Kirche ihre Kunstschätze der Welt nicht vorenthalten kann. Es ist der gleiche Raum, in dem das Zweite Vatikanische Konzil von 1962 bis 1965 tagte. Hier wehte der viel beschworene Geist des “aggiornamento” (einer “Verheutigung” der katholischen Kirche), den der gute Papst Johannes XXIII. prägte. Doch hier wurde in der Zeit des Konzils und darüber hinaus natürlich auch noch die alte tridentinische Liturgie nach dem Missale von 1962 gefeiert, als “Kraftquelle” für alle Väter des Konzils, wie Bischof Hanke aus Eichstätt heute sagt. Dass der Papst diese Liturgie nun wieder ganz freigibt, darf man sich zwar nicht ganz so vorstellen wie die kleine technische Massnahme des Erzpriesters von Sankt Peter, doch sie atmet denselben Geist. Sie ist keine Infragestellung des Konzils oder etwa der neuen Liturgie nach der Reform von 1970. Doch auch dieser Schritt ist der Versuch einer Rückeroberung des Heiligen: einer Ausweitung für das Geheimnis der Kirche vor dem Zugriff der Banalisierung. “Daheim sein kann man nur, wo das Geheimnis wohnt”, hat Karl Rahner, der grosse Konzilstheologe, noch gesagt. Die Zahlen sind deutlich, dass in den letzten Jahrzehnten viele heimatlos wurden in der katholischen Kirche. Aber auch, wie es bei allen guten Absichten dazu kam, wird vielleicht ein Geheimnis bleiben.

Papst Paul VI., der die radikale Änderung der Liturgie im Jahr 1970 verfügte, gestand schon am 29.Juni 1972 sein Empfinden, dass “durch irgendeinen Spalt der Rauch des Satans in den Tempel Gottes eingedrungen” sei. Der rätselhafte “Rauch” war aber vielleicht auch nur eine Überdosis des Zeitgeistes, dem sich die Kirche damals geöffnet hat. Es war ein Geist, der viele Namen hatte. Unter Studenten brachte er Wohngemeinschaften und andere Utopien hervor, in der Dritten Welt totalitäre kommunistische Bewegungen, und in der Kirche wurde damals “Communio” zum Zauberwort: Gemeinschaft! Darum musste sich der Priester nun umdrehen, um sich mit der Gemeinde um den Altar zu sammeln wie Pfadfinder um ein Lagerfeuer. Darum wurde das Latein abgeschafft, darum wurden neue Lieder gedichtet, der Friedensgruss eingeführt.

Es war viel Gutes dabei, noch mehr guter Willen, aber auch ein Geist, der von ideologischer Verblendung und Willkür nie ganz frei war. Kardinal Ottaviani, der Vorgänger Kardinal Ratzingers im Heiligen Offizium, hat das schon damals beklagt. Dafür wurde der Bäckersohn aus Trastevere, der dickköpfig war wie der alte Cato, schon in den Tagen des Konzils zum Buhmann der Kirche. Wahre Gemeinschaft, daran hielt er dennoch unverdrossen fest, müsse zuerst in der Gemeinschaft mit Gott begründet sein. Das sah er sinnfällig besonders in der alten Liturgie ausgedrückt, in der gemeinsamen Ausrichtung auf den Altar, in den zahllosen Heiligen, denen die alte Messe als Heimat gedient hatte, in einem Geheimnis, das immer wieder zur Quelle vieler Bekehrungen geworden war. Zur “Communio” und der Kollegialität der Bischöfe meinte Ottaviani damals sarkastisch, dass gemeinschaftliches Handeln der Apostel in der Bibel nur einmal erwähnt werde, nämlich: “Und sie flohen alle!” Nun lässt der Papst aber auch ihm mehr Gerechtigkeit angedeihen – in einem Zeitgeist, dem er nun ganz allein wieder neuen Raum abringt: für die würdige Feier aller Gottesdienste.

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