Jetzt geht es um Kirche, Amt und Eucharistie
Interview mit Kardinal Kurt Koch
Ein Gespräch mit Kurienkardinal Kurt Koch über den Stand der Ökumene und die Theologen mit ihren Erklärungen.
Die Tagespost, 25.02.2011, von Guido Horst
Hinter dem vor sechzig Jahren im Kanton Luzern geborenen Theologen Kurt Koch liegt ein bewegtes Jahr. Von seinem Bischofssitz Basel abberufen, trat er im vergangenen Sommer die Nachfolge von Kardinal Walter Kasper als Präsident des Rats zur Förderung der Einheit der Christen an. Dazu kamen die Erhebung in den Kardinalsstand und der Beginn zahlreicher Reisen, die den Kardinal wohl auch in Zukunft zu den verschiedensten Baustellen der Ökumene führen werden. Bald steht ein Besuch im Moskauer Patriarchat der Orthodoxen auf dem Programm.
In Rom aber ist Kurt Koch jetzt der einzige Kardinal aus dem deutschsprachigen Raum, der an der Spitze einer vatikanischen Einrichtung steht.
-Romkritische Theologen-Erklärungen sind nichts Neues. Im Jahr 1989 wurden Sie Professor für Dogmatik und weitere Fächer an der Theologischen Fakultät in Luzern. Damals haben 220 Kolleginnen und Kollegen die “Kölner Erklärung” unterzeichnet. Wie erinnern Sie sich daran?
Ich habe damals die “Kölner Erklärung” auch zur Unterschrift bekommen und habe dann so reagiert: Wenn in dieser Erklärung nicht nur über die Bischofsernennungen, sondern auch ein selbstkritisches Wort über die Professorenernennungen an den theologischen Fakultäten enthalten wäre, könnte man sich das ja überlegen. Das hat mir dann einigen Ärger eingebracht. Es ist irgendwie typisch, dass solche Theologenerklärungen immer andere kritisieren, aber man sucht vergebens ein selbstkritisches Wort über die Aufgabe der Theologie heute. Die protestierenden Theologen scheinen davon auszugehen, dass das, was sie tun, alles in Ordnung sei, der Fehler liege bei den anderen. Ich habe das auch erlebt, als Papst Johannes Paul II. das grossartige Schuldbekenntnis abgelegt hat. Da habe ich von Theologenseite nur Kritik gehört, was er alles nicht gesagt und hätte sagen sollen. Aber ich habe noch nie ein Schuldbekenntnis von Theologen gehört.
-Heute stehen Sie als einziger Kardinal aus dem deutschsprachigen Raum an der Spitze eines vatikanischen Dikasteriums. Was sagen Sie zu dem dort jetzt erschienenen Memorandum Ihrer einstigen Kolleginnen und Kollegen?
Das Memorandum trägt den Titel “Ein notwendiger Aufbruch”. Wenn man bedenkt, was “Aufbruch” biblisch heisst, ist man nachher enttäuscht über das, was drin steht. Denn ein Aufbruch geht alle an, er hat biblisch immer mit “metanoia”, also mit Reue und Umkehr, zu tun und müsste Antwort geben auf das, was die Kirche heute wirklich braucht. Da erstaunt es mich schon, dass man auf die ganze kulturelle Krise, in der wir heute leben, mit keinem Wort eingeht. Man wirft der Kirche vor, sie beschäftige sich immer nur mit sich selber, aber dann ist es doch wieder ein Aufruf an die Kirche zur Selbstbeschäftigung, der in diesem Papier drinsteht.
-Zwischen beiden Theologen-Erklärungen liegen ganze 22 Jahre. Die Theologie verharrt in einer Anspruchshaltung, aber ist es wirklich so, dass in dieser Zeit nichts geschehen ist?
Diese Theologen reden immer von einem Reformstau. Das verrät, dass man offensichtlich nicht zur Kenntnis nimmt, was die Päpste zu diesen Fragen in der Zwischenzeit gesagt haben. Nehmen wir den Zölibat, zu dem sich Papst Benedikt immer wieder geäussert hat. Die Weltbischofssynode von 2005 hat sich mit dieser Frage beschäftigt und es ist kein einziges Votum an den Papst in diese Richtung gegangen. Die Frage der Frauenordination ist vom Lehramt entschieden worden. Insofern kann man nicht von einem Reformstau reden, da wir klare Entscheidungen haben. Aber die werden offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen oder man setzt sich nicht mit ihnen auseinander.
-Was die Theologinnen und Theologen in dem jüngsten Memorandum fordern, ist in den protestantischen Kirchengemeinschaften nördlich der Alpen weitgehend Wirklichkeit. Sie haben als ehemaliger Bischof von Basel die Affinität des deutschsprachigen Katholizismus für das Protestantische aus nächster Nähe miterlebt. Ist das gelebte Ökumene oder mangelnde Unterscheidung der Geister?
Wenn man den Vergleich mit den protestantischen Kirchen nimmt, die das alles erfüllt haben, was in dem Memorandum steht, dann müssten diese Kirchen blühen und sie müssten einen Neuaufbruch erleben – und das kann man ja nun wirklich nicht sagen. Und von daher greift dieses Dokument der Theologen viel zu kurz, es geht nicht auf den Grund der Krise des Christentums in unserer Gesellschaft und ist deshalb in weiten Teilen anachronistisch.
-“Wir müssen endlich in den Dialog über diese Frage eintreten: Was ist das Wesen der Kirche?”
Als Bischof in deutschsprachigen Ländern bekommt man diese latente Anspruchshaltung, es müssten endlich “Reformen” her, immer wieder zu spüren. Haben Sie darunter gelitten?
Das Bistum Basel ist natürlich viel mehr als das. Ich habe viele gute Pfarreien gesehen, ich habe viele engagierte Laien gesehen, denen die Kirche wirklich ein Anliegen ist, auch viele gute Seelsorger. Diejenigen, die in der Öffentlichkeit von einem Reformstau reden, darf man nicht für das Ganze nehmen, sonst bekommt man ein falsches Bild.
-Trotzdem: Wie steht ein Bischof als Mensch in dieser steten Auseinandersetzung? Geht einem das nicht nahe?
Ja sicher, am meisten hat mich beschäftigt, dass die Kommunikation zwischen dem Bistum und der Universalkirche höchst problematisch ist. Dass man das Gute immer bei sich und dass man das Schlechte immer bei den anderen sucht und nicht bereit ist, einzugestehen, dass es auch bei uns schlechte Entwicklungen und dass es in der Gesamtkirche sehr viel Gutes gibt. Diese Schwarz-Weiss-Malerei halte ich eigentlich nicht für eine Attitüde, die einem vernünftigen, mündigen Menschen entspricht.
-Sind Sie froh, mit Ihrer neuen Aufgabe in Rom diese Schwarz-Weiss-Malerei hinter sich gelassen zu haben?
Ich lese natürlich weiter deutsche und schweizerische Zeitungen und darum verfolgt mich das weiter. Ich möchte zweierlei sagen. Erstens ist es nicht ganz einfach, eine Diözese nach fünfzehn Jahren zu verlassen. Man ist ja nach altkirchlichen Vorstellungen verheiratet mit seiner Diözese und trägt einen Ring. Auf der anderen Seite bin ich froh, für die nächsten fünfzehn Jahre nochmals eine andere Aufgabe zu haben. Ich sehe meine Aufgaben auch wesentlich darin, die Kommunikation zu verbessern. Aber da sind die Reaktionen schon typisch, die ich erhalten habe: Ja, erklären Sie bitte in Rom die Schweiz, aber nicht umgekehrt. Diese permanenten Einbahnstrassen haben die Leute zwar im Verkehr nicht so gerne, sie bevorzugen Gegenverkehr; aber in der Kirche gibt es immer wieder nur diese Einbahnstrassen.
-Kommen wir zu dieser Ihrer neuen Aufgabe. Der Staatssekretär und die Präfekten einiger vatikanischer Kongregationen sind regelmässig beim Papst. Dann werden Entscheidungen besprochen und die Chefs dieser Dikasterien können auch Rechtsakte vollziehen. Als Präsident des Einheitsrates haben Sie eher beratende Funktion. Sehen Sie da einen Unterschied?
Alle Mitarbeiter in der Kurie müssen sich dessen bewusst sein, dass sie nicht im eigenen Namen arbeiten, sondern im Namen und Auftrag des Papstes. Auch wenn die Glaubenskongregation Rechtsakte setzt, dann tut sie das, weil der Papst das delegiert hat. In der Ökumene ist es so, dass wir im Grunde genommen Voraussetzungen schaffen, damit Rechtsakte möglich werden können. Aber die kann nur der Papst setzen oder in seinem Auftrag setzen lassen, wenn es zu gemeinsamen Vereinbarungen kommt, wie wir das etwa 1999 in Augsburg erlebt haben, bei der Erklärung zur Rechtfertigungslehre, zu der der Lutherische Weltbund und Rom gemeinsam Stellung genommen haben und das vom Papst auch so gutgeheissen wurde.
-Ganz praktisch gefragt: Sie fahren bald nach Moskau. Sind Sie da vorher zum Mittagessen beim Papst? Oder schickt man sich Akten hin und her? Wie kann man sich Ihre Zusammenarbeit mit dem Papst vorstellen?
Im Sommer hat mich der Papst zum Mittagessen eingeladen in Castel Gandolfo. Wir haben auch über meine Aufgabe gesprochen. Er hat mir sehr grosse Freiheit gegeben. Meine Hauptaufgabe besteht darin, mich einzufühlen in seine Situation und zu überlegen: Was will der Papst? Ich habe deshalb im Sommer nochmals die beiden Bände über die Kirche gelesen, die in den “Gesammelten Schriften” Joseph Ratzingers herausgegeben sind, von denen fast ein ganzer Band von der Ökumene handelt. Dann sehe ich den Papst relativ oft, weil ich, wenn es nur irgendwie möglich ist, alle ökumenischen Gäste zu ihm begleite und ihn dann kurz wieder sehe. Manches geht auch schriftlich. Nach der jüngsten Konferenz mit den Orthodoxen in Wien habe ich dem Papst in einem Brief geschrieben, wie ich die Konferenz erlebt habe, wie ich meine, dass man weitergehen soll, und dann kann er darauf reagieren.
-Kommen wir zu einigen aktuellen Fragen der Ökumene. Hat es seit 1999, dem Jahr des katholisch-lutherischen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, weitere ökumenische “highlights” gegeben?
Es hat sicher verschiedene “highlights” gegeben, aber nicht in diesem Rang. Es ist ein Grundproblem der Ökumene, dass es sehr viele Konsenstexte auf der Ebene der Kommissionen gibt, die aber nicht kirchenamtlich rezipiert werden, wie das beispielsweise bei der gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre der Fall war. Wir müssen gerade mit den aus der Reformation hervorgegangenen kirchlichen Gemeinschaften darauf hinarbeiten, dass wir zu einer weiteren gemeinsamen Erklärung über Kirche, Eucharistie und Amt kommen können.
-Ist da in absehbarer Zeit etwas zu erwarten?
Nein, damit rechne ich nicht. Ich sehe meine jetzige Aufgabe darin, die ökumenischen Partner mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass wir diese Fragen nicht immer wieder einfach beiseite schieben können. Dann kommt es nur wieder zu einem grossen Wirbel, wenn unsere Kirche eine Erklärung herausgibt, wie das bei “Dominus Iesus” der Fall war, in der es hiess, dass die aus der Reformation hervorgegangenen kirchlichen Gemeinschaften nicht Kirchen im eigentlichen Sinn sind. Der Papst hat das jetzt in seinem Interview-Buch mit Peter Seewald so präzisiert, dass sie nicht Kirche in einem katholischen Sinne, sondern in einem anderen Sinn Kirche sind. Es liegt nicht an uns, dieses “andere Kirche-Sein” zu beschreiben, das müssen die Reformierten uns sagen, was sie nun unter Kirche verstehen. Es hat keinen Sinn, jetzt dreissig Jahre lang über “Dominus Iesus” traurig zu sein. Wir müssen endlich in den Dialog über diese Frage eintreten: Was ist das Wesen der Kirche?
-Wenn man auf die protestantische Welt zumindest im deutschsprachigen Raum schaut, ist man von solch einer Art der Selbstfindung aber weit entfernt. Erwarten Sie eine Selbstdefinition der Kirchen im protestantischen Sinn?
Grundsätzlich erwarte ich es. Aber ob jetzt zurzeit konkret etwas zu erwarten ist, das weiss ich nicht. Ich hatte im Januar die Begegnung mit der VELKD hier in Rom. Da hatte ich einen sehr positiven Eindruck. Es gibt verschiedene Strömungen innerhalb der protestantischen Kirchengemeinschaften. Es ist wirklich an der Zeit, dass wir diese entscheidenden Fragen nach Kirche, Eucharistie und Amt zum Thema des Dialogs machen und nicht den Schwarzen Peter einfach immer Rom zuweisen.
-Wie sollte sich die katholische Kirche, vor allem der Vatikan, an dem Datum “Fünfhundert Jahre Reformation” beteiligen, das ins Jahr 2017 fällt? Der Papst hat angekündigt, dass man da nicht einfach zuschauen will. Wie können sich die katholische Kirche und der Vatikan, aber auch Ihr Einheitsrat da beteiligen?
In zweierlei Hinsicht. Wir werden natürlich von den ökumenischen Partnern gefragt, ob wir ein Wort zum Reformationsjubiläum sagen. Da muss ich zuerst zurückfragen, wie sie heute die Reformation verstehen: als Bruch mit der Tradition und als Fanal des Beginns der Kirche der Freiheit, wie Landesbischof Wolfgang Huber immer zu sagen pflegt, wobei diese Freiheit, wenn man sich die Kirchengeschichte anschaut, zum Teil mit Gewalt aufoktroyiert wurde. Oder verstehen sie sie so, wie die Reformatoren sie selber verstanden haben: Sie wollten keine neuen Kirchen gründen, sie wollten eine Erneuerung der Kirche. Der evangelische Ökumeniker Wolfhart Pannenberg hat deshalb immer wieder gesagt, das Entstehen neuer Kirchen sei eigentlich das Scheitern der Reformation, und erst das Wiedergewinnen der Einheit würde ihr Gelingen darstellen. Und das zweite: Ich möchte von den Protestanten nicht nur hören, wie sie die letzten fünfhundert Jahre verstehen, sondern wie sie die zweitausend Jahre verstehen, wie sie vor allem die 1 500 Jahre, die uns gemeinsam sind, verstehen. Erst dann gibt es eine gute Brücke, um etwas Gemeinsames sagen zu können. Darum hat es mich sehr gefreut, dass der neue Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds, Pfarrer Gottfried Wilhelm Locher, immer wieder sagt, die Protestanten seien nicht einfach reformiert, sondern reformierte Katholiken. “Auch im Zeitalter der Ökumene kann es Konversionen geben”
-Gut, während wir da wohl noch etwas warten müssen, könnte man meinen, dass die Beziehungen zu den orthodoxen Schwesterkirchen eine Baustelle der Ökumene sind, wo man bald ein schönes, gemeinsames Dach errichten könnte. Aber offensichtlich ist das nicht so einfach, oder? Manche werden ja schon ungeduldig: Warum kommen zum Beispiel nicht endlich der orthodoxe Patriarch und der römische Papst zusammen?
Es wäre natürlich schön, wenn dieser Schritt gelingen würde zwischen Moskau und Rom. Ich kann hier keine Prognosen abgeben, weil ich erst im März nach Moskau gehe und gewiss hören werde, wie das von der Seite Moskaus aus gesehen wird. Ich bin auch in Kontakt mit Metropolit Hilarion, den ich schon seit längerer Zeit kenne. Es gibt in der Ökumene einen grundlegenden Unterschied: Mit den orthodoxen Kirchen haben wir eine sehr breite Basis an Gemeinsamkeiten im Glauben, aber wir haben eine ganz andere Kultur – im Unterschied zu den Reformierten, wo wir zwar nicht dieselbe Basis im Glauben haben, aber eine gemeinsame Kultur. Das Problem besteht dann darin, dass wir heute so etwas wie einen Kulturkatholizismus haben, dem die Kultur manchmal wichtiger zu sein scheint als der Glaube. Im Dialog mit den orthodoxen Kirchen konzentrieren wir uns stark auf das gemeinsame Glaubensfundament. Auch im Kirchenverständnis haben wir viel gemeinsam. Die Frage, die hier im Vordergrund steht, ist diejenige des Primates des Papstes.
-Aber hat nicht schon Johannes Paul II. die ökumenischen Partner darum gebeten, gemeinsam darüber nachzudenken, wie der Primat in Zukunft ausgeübt werden könnte?
Wir haben 2007 in Ravenna einen ganz grossen Schritt gemacht, als beide, die orthodoxe und die katholische, Kirchen gemeinsam erklären konnten, es brauche auf der lokalen, der regionalen und der universalen Ebene der Kirche einen “protos”, einen Ersten. Danach wollten wir untersuchen, wie der Primat des Papstes im ersten Jahrtausend gelebt worden ist. Wir haben uns in zwei Sitzungen mit dieser Frage beschäftigt. Die orthodoxe Seite hat dann gesagt, sie möchte nicht auf der historischen Ebene weiterarbeiten und zur theologischen Frage von Primat und Synodalität zurückkehren. Das wird jetzt Thema der nächsten Phase sein.
“Gerade im Dialog mit den Orientalen ist sehr viel geschehen“
-In den Beziehungen zu den Anglikanern spielt es sicher eine Rolle, dass es jetzt Personal-Ordinariate für anglikanische Pfarreien und Gemeinschaften gibt, die katholisch werden wollen. Dafür zuständig ist die Glaubenskongregation. Der Ökumene-Rat ist für das Gespräch mit den Anglikanern da, die anglikanisch bleiben wollen – und denen die “Abwanderung” von Schwestern und Brüdern zur katholischen Kirche sicherlich nicht gefällt. Bekommen jetzt Sie die Quittung dafür?
Nein. Natürlich wird das nicht nur mit Freude gesehen. Man muss aber zweierlei sehen: Wenn Menschen bei unserer Kirche anklopfen und in unsere Kirche kommen wollen, hat der Papst eigentlich keine andere Möglichkeit, als “Ja” zu sagen. Das muss man klar sagen, das ist unsere Seite. Ihre Seite ist natürlich eine schwierigere. Aber der Dialog muss weitergehen. Ich halte es für falsch, wenn man sagt, “Anglicanorum coetibus”, also die Konstitution zur Errichtung dieser Personal-Ordinariate, und Ökumene seien Gegensätze. Auch im Zeitalter der Ökumene kann es Konversionen geben. Das ist eine Frage der Gewissensentscheidung und die muss man respektieren. Und zweitens: Ich bin schon ein bisschen erstaunt, wenn man sieht, was die anglikanische Kirchengemeinschaft fast bis an den Rand des Bruchs durchmacht, und wenn dann Theologen von der katholischen Kirche dasselbe erwarten, ohne wahrzunehmen, was diese Postulate bei der anglikanischer Gemeinschaft alles ausgelöst haben.
-Etwas weniger bekannt sind die ökumenischen Kontakte zu den orientalischen Kirchen. Gibt es da einen fruchtbaren Dialog?
Von den orientalischen orthodoxen Kirchen sind wir noch länger getrennt, nämlich 1 500 Jahre. Aber es ist für mich immer wieder erstaunlich: Wenn ich ihnen begegne, fühle ich mich gleich zu Hause. Denn sie haben den apostolischen Glauben bewahrt und sie haben die Struktur der alten Kirche bewahrt… Gerade im Dialog mit den Orientalen ist sehr viel geschehen. Die ersten strittigen Fragen waren die des Christus-Bekenntnisses, weil einzelne orientalische Kirchen das Konzil von Chalkedon 451 nicht angenommen haben. Darüber sind intensive Dialoge geführt worden.
1984 ist zwischen dem Syrisch-Orthodoxen Patriarchen und Papst Johannes Paul II. sogar ein Pastoralabkommen zum gegenseitigen Sakramentenempfang in Notsituationen vereinbart worden. Darin steht ausdrücklich, dass die Substanz des Glaubens nie in Frage gestellt worden war, dass es eigentlich unterschiedliche theologische Ausdrucksweisen gewesen sind, die zur Spaltung geführt haben. Diese Fragen sind weitgehend gelöst und jetzt sind wir in der Phase, uns mit den ekklesiologischen Fragen und wiederum mit der Frage des Primates zu beschäftigen.
-Hinter Papst und Kurie liegen zwei unruhige Jahre. Es gab den “Fall Williamson” und den Missbrauchsskandal, aber auch manche Pannen in der innervatikanischen Kommunikation. Wie erleben Sie nun die römische Kurie von innen?
Die Kurie ist sehr vielfältig, sie ist nicht so einfarbig, wie das von aussen wahrgenommen wird. Es hat leider verschiedene Pannen gegeben, die den Papst in eine schwierige Situation gebracht haben. Aber daraus muss man lernen und ich spüre eigentlich dort, wo ich jetzt zu tun habe, den gemeinsamen Willen, den Dienst des Papstes zu unterstützen. Das ist das Entscheidende.
-Zu Beginn der Amtszeit Papst Benedikts soll es auch im Vatikan Stimmen gegeben haben, dieser Pontifikat werde zwei, drei Jahre dauern, dann sei es wieder vorbei. Das klingt so, als habe da jemand diesen Pontifikat einfach aussitzen wollen…
Mir gegenüber hat sich noch keiner so geäussert, aber das sind Äusserungen, die den Eindruck erwecken, man könnte auch die Vorsehung in die eigenen Hände nehmen. Papst Benedikt könnte ein so hohes Alter erreichen wie beispielsweise Papst Leo XIII. Und Papst Benedikt ist voller vitaler, geistiger Kraft. Ich ärgere mich, wenn ich Tendenzen spüre, die sich schon überlegen, wie der nächste Pontifikat sein muss. Ich finde das eine inadäquate Haltung. Es wäre besser, man würde die grossartigen Impulse aufnehmen, die von diesem Papst ausgehen, als über den nächsten Papst zu spekulieren.
-Können Sie mir einen dieser Impulse nennen, der für Sie besonders wichtig ist?
Es gibt eine grosse Kontinuität zwischen Papst Benedikt und Johannes Paul II. Aber Papst Benedikt hat nie den Versuch unternommen, irgendetwas von Johannes Paul II. nachzuahmen. Er ist ganz er selbst. Auch in der Kontinuität im Lehramt. Was ich für einen grossartigen Impuls halte, ist die Versöhnung zwischen Glauben und Kultur, zwischen Glaube und Denken. Das ist eine entscheidende Herausforderung, von der ich meine, die Theologie müsste hier wesentliche Impulse erhalten und an dieser Frage arbeiten. Denn der Papst steht in der Öffentlichkeit immer wieder unter dem Verdacht, er sei gegen die heutige Kultur. Dabei versucht er im Gegenteil, die heutige Kultur bis in den Grund zu verstehen und damit auch die Schmerzen, die Leiden dieser Kultur wahrzunehmen und einen Weg zu zeigen, wie sie geheilt werden können.
-Aber wir reden hier von einem Mann, der bald seinen 84. Geburtstag feiert. Der jeden Tag ein volles Arbeitsprogramm hat. Der laufend Entscheidungen zu fällen hat. Wie schafft es Papst Benedikt, das alles zu schultern? Sie erleben ihn ja häufig aus der Nähe…
Er schafft es wohl vor allem aus zwei Gründen. Rein äusserlich gesehen ist die Aufgabe des Präfekten der Glaubenskongregation eine sehr schwierige und meistens auch undankbare Aufgabe, weil alles, was dort entschieden wird, ja sofort zerrissen wird. In seinem Amt als Papst hat er jetzt eher die Aufgabe, Impulse zu geben, neue Wege zu zeigen. Das ist eine ganz andere Aufgabe. Das ist etwa, wie wenn ein Justizminister Bundespräsident wird. Ich glaube, das hat ihn beflügelt. Und das Zweite: Er schafft es natürlich nur mit seiner tiefen Gläubigkeit und seinem grossen Vertrauen: Ich bin gewählt worden und dahinter steht auch der Wille Gottes und ich versuche, das so gut zu machen, wie ich kann, in dem Bewusstsein, auch ich bin nur ein Knecht Christi und tue meine Pflicht.
-Papst Benedikt lässt aber auch keine Herausforderung aus. Berlin im September dieses Jahres, das wird nicht das leichteste Parkett sein. Vom Bundestagspräsidenten, der ihn ins deutsche Parlament eingeladen hat, bekam er kürzlich schon einmal gesagt, die Kirche “gehöre” nicht dem Papst…
Wenn ich deutsche Politiker manchmal reden höre, bekomme ich auch den Eindruck, der Staat gehöre nicht dem Volk, sondern den Politikern. Deutschland kann nun wirklich zeigen, welche Kultur dieses Land hat. Es hat eine grosse Kultur und es wäre schön, das auch in einer gastfreundschaftlichen Atmosphäre zu zeigen, und nicht den Papstbesuch zu benutzen, um sich selber zu profilieren. Im Flugzeug nach England ist der Papst gefragt worden, ob er keine Angst habe angesichts dessen, was alles im Vorfeld geschehen ist. Er hat dann gesagt, Ähnliches habe man auch im Vorfeld des Besuchs in Frankreich und in der Tschechei gesagt, und es seien dennoch gute Besuche gewesen. Was in England überzeugt hat, ist ein Doppeltes: die Demut des Papstes, er stellt sich nicht in den Vordergrund, und die Klarheit seiner Botschaft. Und da bin ich überzeugt, dass auch die heftigen Kirchenkritiker in Deutschland eine ähnliche Erfahrung machen können. In England haben mir Journalisten gesagt, sie seien vom Papst überrascht. Ich pflegte dann zu antworten, ich sei nicht überrascht, weil ich ihren Artikeln im Vorfeld nicht geglaubt hätte.
“Die Progressiven und die Konservativen sind manchmal im selben Spital krank”
-Und wir haben noch ein Jubiläums-Datum, das uns in den kommenden Jahren beschäftigen wird: “Fünfzig Jahre Zweites Vatikanum”. Könnte es Anlass sein, den Spalt zwischen der Hermeneutik des Bruchs und der Hermeneutik der Kontinuität bei der Interpretation des letzten Konzils zu schliessen?
So wie ich die Situation momentan sehe, befürchte ich eher, dass es wieder Streit geben könnte. Es wäre natürlich schön, man würde sich darauf zurückbesinnen, was das Konzil gewollt hat, und dass man das Konzil in seiner Ganzheit ernst nimmt und nicht wie einen Supermarkt betrachtet, in dem man Produkte auswählen kann. Diesbezüglich sind die Progressiven und die Konservativen manchmal im selben Spital krank. Sie holen das aus dem Konzil heraus, was sie wollen. Ich würde gerne mehr Ehrlichkeit und auch Bescheidenheit erwarten, indem man auf das zu hören bereit ist, was der Papst wirklich will. Leider steht es bei einzelnen Theologen diesbezüglich nicht besser. Wenn ich beispielsweise von einer Theologischen Fakultät höre, dass man in Abschlussarbeiten Joseph Ratzinger nicht zitieren darf, wenn man die Examen bestehen will, dann hat das mit Wissenschaft nichts mehr zu tun, sondern ist reine Ideologie und zeigt, wie tief auch die Theologie sinken kann.
Dominus-Iesus: Erklärung über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche
Pfarrer-Dr.G.W.Locher: Präsident des Schweizerisch Evangelischen Kirchenbundes
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