Die Chance der Kirche:

Unverkennbar katholisch sein

Matthias Matussek, Journalist in Diensten des “Spiegel”, hält das Memorandum der Theologieprofessoren für ein “gezieltes Abrissunternehmen”. Die wirklich nötigen Reformen sehen anders aus, meint er und fordert von den Bischöfen klare Positionen statt Dialoggesumse. Ein Gespräch über professorale Peinlichkeiten, Kampagnen vor dem Papstbesuch und das Leben auf Wanderdünen.

Tagespost, 11.02.2011, mit Matthias Matussek sprach Markus Reder.

Herr Matussek, “vor dem Papstbesuch bereiten Theologen und Politiker den Abriss der katholischen Kirche vor”, war in einem “Spiegel”-Beitrag von Ihnen zum Memorandum zu lesen. Ist das nicht zu dick aufgetragen? Im Memorandum werden Reformen gefordert. Von Abriss ist nicht die Rede.

Wenn man sich die Forderungen der Theologen ansieht, rühren sie doch an den Kern des katholischen Selbstverständnisses. Der Zölibat ist ein wesentliches Zeichen des Priesteramts. Das hat der Papst immer wieder betont. Der Zölibat als Lebensbekenntnis ist eines der Hauptunterscheidungsmerkmale von den protestantischen Kollegen. Auch die Weihe von Frauen gibt es bei den Protestanten wie selbstverständlich, in der katholischen Kirche eben nicht. Die Wahl von Pfarrern durch die Gemeindemitglieder und synodale Strukturen gibt es ebenfalls auf der evangelischen Seite. Stehen die Protestanten damit heute besser da als die Katholiken? Nicht im Geringsten. Zölibat, Frauenweihe, demokratische Strukturen: Das mögen zunächst Formalien sein, aber die Verbissenheit des Kampfes darum zeigt, dass es doch um mehr geht. Hier sollen katholische Kernbestände aufgegeben werden. Ich halte das für ein gezieltes Abrissunternehmen.

Sie fürchten eine Protestantisierung des Katholischen?

Genauso ist es.

Nun gibt es aber immer weniger Priester und die Kirchen werden leerer. Warum sollten „viri probati“ da nicht hilfreich sein, pastorale Probleme zu lösen?

Mit dem tatsächlich beklagenswerten Rückgang von Priestern und Seminaristen gibt es einen noch viel dramatischeren Rückgang der Gottesdienstbesucher. Das ist das Problem. Der Kirchgang wird offensichtlich uninteressant. Er wühlt nicht mehr auf. Ich glaube, der Ernst ist verlorengegangen. Das ist das Problem. Bei den Protestanten ist der Rückgang der Gottesdienstbesucher noch dramatischer. Und die Protestanten haben verheiratete Pfarrer. Das löst das Problem des Glaubensverlustes offensichtlich überhaupt nicht. Wer an dieser Schraube dreht, ignoriert die Realität.

Sie sehen keinen Reformbedarf in der Kirche?

Nicht in diesen Fragen.

Wo dann?

Die Kirche sollte nicht dem Zeitgeist hinterherlaufen. Sie sollte sich auf den Kern des Glaubens besinnen und viel offensiver und selbstbewusster klarmachen, wofür sie steht.

Was heisst das konkret?

Sie sollte mehr Wert auf Glaubensverkündigung, Sakramente, Spiritualität und die Liturgie legen. Man kann dem Papst oder auch seinem Vorgänger ja alle möglichen Vorwürfe machen, aber sie haben beide – jeder auf seine Weise – immer wieder die Wesenszüge des Katholischen betont. Die Marienandachten, die Feste des Kirchenkalenders, das meditative Rosenkranzbeten, Selig- und Heiligsprechungen, die ja Vorbildfunktionen haben. Der Kirche geht es um das Heil des Menschen. Das hervorzuheben finde ich viel wichtiger als Thesenpapiere in einem Soziologendeutsch zu verfassen, das ohnehin keiner mehr spricht. Ich wünsche mir eine selbstbewusste katholische Kirche, die das herzeigt, was sie hat.

Konzentration auf Glaube, Sakramente, Liturgie: Wer heute so etwas fordert, dem wird vorgehalten, er betreibe Ästhetisierung des Glaubens. Das sei schnöder “Feuilleton-Katholizismus”, heisst es dann.

Das hat weder mit Feuilleton, noch mit Ästhetisierung zu tun. Ritual ohne Glauben ist leer, aber ein Glaube ohne Ritual ist gestaltlos. Die Eucharistiefeier ist wesentlicher Glaubensvollzug, der einen selbst verwandelt. Das ist viel ungeheuerlicher und überzeugender, als irgendwelche Schaubilder an die Wand zu werfen. Mit modischer PR-Sprache erreicht man nichts. Im Gegenteil: Man verliert das Wesentliche. “Wer es fassen kann, der fasse es”, sagt Jesus. Das ist seine Basta-Politik. Die Chance der katholischen Kirche liegt darin, katholisch zu sein und eben nicht modern, angepasst, protestantisch ängstlich, irgendjemandem im mainstream auf die Füsse zu treten. Der Glaube oder die Kirche soll den Leuten auf die Füsse treten. Es soll klar sein: Das ist nicht zum Null-Tarif zu haben. Man muss sich anstrengen. Dann wird es spannend. Ich glaube, die Leute wollen sich anstrengen. Wir leben in einer Zeit, die so profanisiert, so gewöhnlich und trivialisiert ist, dass das Heilige als aufregend empfunden wird – wenn man es ernst meint und wirklich dazu steht. Vor allem die Jugendlichen sind dafür offen.

Ist die Anpassung an den Zeitgeist ein typisch deutsches Problem?

Wir haben in Deutschland eine grosse Tradition der Religionskritik. Das ist wichtig. Doch bisweilen wollen wir es nur anders machen als Rom. Zudem sind wir sehr intellektuell und haben eine unglaublich verkopfte Herangehensweise an den Glauben. Die emotionale Begeisterung und Lebendigkeit, die Glaube, Kirche und die Frömmigkeit in anderen Ländern auszeichnen, fehlt uns. Bei uns läuft Glaube zu viel über den Kopf und zu wenig durch das Herz. Und dann überlegt man dauernd: Wie kriegt man die Leute noch irgendwie dazu, diesen achtseitigen Vertrag mit dem Kleingedruckten zu unterschreiben. Das ist falsch. Wo Glaube begeistert gelebt wird, braucht man nicht ständig um drei Ecken denken, wie man die Leute wohl am besten anspricht.

Professoren sind Kopfarbeiter. Und Sie kommen mit Gefühlen…

Die sollten mal in die Religionsgeschichte schauen und den Augustinus durchlesen. Sie werden überrascht sein, wieviel Gefühl da ist. Religion muss auch mit dem Herzen verstanden werden. Religion heisst, dass es um etwas Unfassbares geht. Das hat mit Entgrenzung zu tun. Die Professoren dagegen basteln sich eine Kirche zurecht, die theoretisch einwandfrei sein soll, die aber ein Kunstgebilde, ein Konstrukt ist. Und was das Memorandum angeht, das zehrt natürlich von dem Aufregungskatholizismus, von der Empörungssucht, von dem, was wir aus den 1970er kennen: von der Pose der Rebellen und den antirömischen Aufständen. Der Aufstand gegen Rom ist etwas ganz medienträchtiges und ist so billig zu haben, furchtbar billig: Da nickt jeder mit dem Kopf. Alte Hüte und professorale Hybris, wie peinlich!

Sie haben geschrieben, das Memorandum sei als “Vorgeschmack auf den Besuch des Heiligen Vaters in Deutschland zu werten”. Wittern Sie eine Kampagne?

Ich vermute das. Es deutet doch alles darauf hin. Zuerst kommen die CDU-Abgeordneten und eine Woche später die Theologen. Ich kann dem Heiligen Vater nur wünschen, dass er Nervenkraft hat. Im Interview-Buch mit Peter Seewald spricht der Papst von gewissen Kreisen, die nur darauf warten, mit sprungbereiter Feindseligkeit auf ihn einzuschlagen. Diese Formulierung hat mich beängstigt. Das ist sein Heimatland. Da sind Leute, die erst Hosianna gerufen haben und “Wir sind Papst” und jetzt rufen sie “Kreuziget ihn”. Da läuft es einem schon eiskalt den Rücken runter.

Was erwarten Sie vom Besuch des Papstes im September?

Ich kann nur hoffen, dass es ihm gelingt, auch hier die Leute zu überzeugen und die Kirchenkritiker, wie in England, allein durch sein Auftreten zu neutralisieren und klarzumachen, wie wichtig die Stimme des Glaubens in unserer Zeit ist. Dieser Papst – das ist, glaube ich, sein Auftrag –, ist einer, der den Glauben nochmal konsolidiert. Heutzutage verrutscht ja alles. Wir leben auf Wanderdünen. Der Boden gibt nach, keiner ist mehr dogmatisch sicher, keiner weiss mehr so richtig, was nun gilt und nicht gilt. Es existiert eine grosse Glaubensunsicherheit, die durch die Erklärung der Theologen weiter angeheizt wird. Da ist es gut, dass der Heilige Vater gleichzeitig ein grosser Gelehrter und ein grosser Theologe ist, der Pflöcke einrammt und die Wege nochmal begradigt.

Wie sollten die Bischöfe auf das Memorandum der Theologen reagieren?

Die Bischöfe können am meisten gewinnen, wenn sie klar Position beziehen. Wenn sie anfangen, sich aus Angst vor der öffentlichen Meinung zu beugen und zu reformieren, sind sie Opportunisten. Das werden die Medien erst recht nicht respektieren. Die Medien respektieren denjenigen, der gerade steht und für seine Überzeugungen eintritt. Einer wie Erzbischof Dyba wurde in jede zweite Talkshow eingeladen. Warum? Weil die Medienleute wussten, der macht keine Kompromisse, der richtet sich nicht nach der Stimmung, sondern sagt das, was er zu sagen hat. Das macht interessant. Aus medialer Sicht ist ein solches Verhalten viel klüger als irgendwelches Dialoggesumse.

Memorandum-2011

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