„Christen leben anders, weil sie glauben“

Die lebensgestaltende Kraft des Glaubens hat abgenommen

Das sagt der neue Bischof von Eisenstadt (Burgenland) und langjährige Generalsekretär der Österreichischen Bischofskonferenz, Ägidius Zsifkovics.

Tagespost-Interview. Von Stephan Baier, 12.01.2011

Bei Ihrer Bischofsweihe Ende September sagten Sie, Ihre vordringliche Aufgabe sei es, “den Menschen heute Gott zu bringen”. In den innerkirchlichen Debatten wie in der Berichterstattung der meisten Medien über die Kirche kommt aber Gott kaum vor, sondern die immer gleichen sogenannten “heissen Eisen”. Braucht die Kirche einen Themenwechsel?

Ich meine, dass nicht nur die Kirche, sondern der Mensch von heute einen solchen Themenwechsel benötigt. Die sogenannten “heissen Eisen” sind natürlich Problemfelder der Kirche und des Menschen – nicht nur von heute. Diese Problemfelder sind aber nicht das Ganze von Kirche, genauso wenig, wie Probleme im alltäglichen Leben von uns Menschen unser Leben als Ganzes ausmachen. Medien sind wohl nicht der geeignete Ort, um über Gott zu reden, da er keine Schlagzeile hergibt. Aber gerade deshalb würde ich mir wünschen, dass Gott auch in den Medien mit Respekt begegnet wird, ebenso wie dem Glauben als Ganzen. Diese positive Scheu vor dem Göttlichen ist heute schon ein grosses Manko, das sich nicht nur in den Medien zeigt, sondern auch im allgemeinen öffentlichen wie privaten Umgang mit Gott und Religion. 

Der persönliche Umgang mit Gott und Glauben ist ein erstes, was ich in diesem Zusammenhang nennen möchte, was es bedeuten kann, den Menschen von heute Gott zu bringen. Findet Gott Einlass in unsere Herzen oder ist da kein Platz für ihn? Er will in unseren Herzen – in den Herzen der Menschen aller Zeiten – immer wieder neu geboren werden, bei uns ankommen. Den Menschen Gott zu bringen bedeutet für mich, Gott zur Sprache zu bringen und ihn zur Sprache kommen zu lassen. Ihn zur Sprache zu bringen in der Verkündigung, im Nachdenken über das Beschreiten des Weges in die Zukunft. Gleichzeitig aber auch ihn zur Sprache kommen zu lassen: Es ist ja immer der Weg Gottes mit seiner Kirche und mit den Menschen und da braucht es für mich, für uns alle in der Kirche, immer wieder die Frage nach dem, was Gott eigentlich von und mit uns möchte. Ich wünsche mir, dass die Frage nach Gott in unserem je persönlichen Leben sich die Menschen wieder neu stellen. Letztlich möchte ich versuchen, durch mein Glaubenszeugnis Gott zu den Menschen zu bringen, indem ich im gläubigen Vertrauen auf ihn und in einem lebendigen Glauben an ihn mein Leben zu gestalten suche.

Wie “säkularisiert” oder wie “katholisch” erleben Sie als Bischof und als langjähriger Generalsekretär der Bischofskonferenz Österreich? Wie sehr prägt der Gottesglauben das private und öffentliche Leben in diesem Lande noch?

Österreich hat viele Facetten. Es wäre nicht gerecht, wenn ich eine “Generaldiagnose” über dieses Land legen möchte. Österreich ist zunächst einmal so “säkularisiert” oder “katholisch” wie die Summe der Einzelnen. Zweifelsohne hat sich auch in Österreich ein tiefgreifender Wandel vollzogen: Die lebensgestaltende Kraft des Glaubens in der Öffentlichkeit hat sicherlich abgenommen. Die religiöse Landschaft ist bunter geworden. Das Leben des Einzelnen ist nicht mehr uneingeschränkt kirchlich, die Dimension öffentlich gelebten Glaubens nimmt ab, Glaube verkommt immer mehr zur “Privatsache” und verliert damit automatisch etwas von seiner bindenden und prägenden Kraft. Der Gottesglaube prägt das private Leben Einzelner durchaus noch stark. Wir dürfen nicht übersehen, dass der Glaube für viele Menschen in unserem Land Richtschnur für ihr Handeln darstellt, weil sie sich um ein Leben nach und aus dem Glauben bemühen. Diese sind vielleicht nicht mehr eine uneingeschränkte Mehrheit und dadurch wird dieser gelebte Glaube in der Öffentlichkeit auch weniger wahrnehmbar. Das öffentliche Leben in diesem Land wird dann und dort wieder stärker vom Gottesglauben geprägt sein, wenn und wo der Einzelne seinen Glauben lebt und bezeugt.

Seit Jahren diagnostizieren Beobachter eine Respiritualisierung und steigende Nachfrage nach Religiosität. Warum profitiert die Kirche davon nicht beziehungsweise nicht mehr?

Ein Blick in die Menschheitsgeschichte zeigt, dass es die “Gottesidee” immer gegeben hat. Wir Christen sagen, dass Gott sich seinem Volk geoffenbart hat und dies in unüberbietbarer Weise in Jesus Christus. Gott wird in Jesus Christus Mensch. Aus den Evangelien und der Lehre der Kirche erfahren wir mehr über Gott und wird unser Glaube definiert. Darin liegt mitunter eine Schwierigkeit, warum die Kirche davon nicht “profitiert”, weil sie die “Wurzel des Glaubens” nicht abschneiden lässt. Der Glaube der Kirche wurzelt in Gott selbst. Ein Gott jedoch, der Person ist, mich anspricht, mich kennt, mich herausfordert und fordert, der mir Bestimmtes sagt und mich zur Antwort ruft. Es geht also nicht um ein unverbindliches religiöses Gefühl, sondern um einen persönlichen Glauben, der mir von der Kirche dargeboten wird. Diese Verbindlichkeit ist für viele Menschen kaum verstehbar, nachvollziehbar oder erträglich.

Papst Benedikt XVI. hat, wie sein Vorgänger, zur Neuevangelisierung des Westens aufgerufen. Wie kann diese hier Frucht bringen?

Ich meine, dass “Neuevangelisierung” schon ein grosses Wort ist. Ein Wort, das unterschiedliche Aktionen in Diözesen Österreichs und Deutschland aufgegriffen haben. Es geht um eine neuerliche Verkündigung des Evangeliums: an Getaufte, an Nichtgetaufte, auch an anders Glaubende und Nichtglaubende. Das im – positiven Sinne – Selbstverständliche des Glaubens und im Glauben ist uns abhanden gekommen. Der Glaube an den lebendigen Gott ist nicht mehr in dieser Kraft und Deutlichkeit da wie früher. Genauso hat der Glaube seine das alltägliche, private wie öffentliche Leben prägende Kraft zum Teil eingebüsst. Für eine Generaldiagnose ist hier weder die Zeit noch der Raum, aber ich glaube, dass Neuevangelisierung sich über das persönliche Lebenszeugnis des Einzelnen ereignet. Der gelebte Glaube sucht dann Gemeinschaft und erreicht ein grösseres Mass an Verkündigungskraft. Ich meine, dass es deshalb notwendig ist, auch in diesem Bereich ein katholisches “sowohl als auch” zu leben: Wir müssen, sowohl – wo noch vorhanden und tragfähig – vorhandene Strukturen nützen, als auch nach neuen Wegen in der Verkündigung und Seelsorge suchen. Das Entscheidende jedoch ist, dass der Einzelne wieder beginnt, den Glauben zu leben. Glaubensverkündigung, Glaubensvertiefung wird nur erreicht werden, wenn der Glaube wieder eine lebensbestimmende Kraft erhält. Das ereignet sich im alltäglichen Leben: im Gebet, im Besuch der Sonntagsmesse, im Umgang mit Wahrheit, Krankheit, Tod, Behinderung. Christen leben anders, weil sie an Gott glauben.

Haben Sie praktische Ideen, wie eine rückläufige Zahl von Priestern mehr seelsorgliche und missionarische Effizienz erzielen kann?

Bleiben wir bitte beim biblischen Wort vom “Frucht bringen”. Ich persönlich bevorzuge dies gegenüber nicht-biblischen Termini wie “Effektivität” oder “Effizienz”. Zuerst vertraue ich sehr darauf, dass vieles – auch von einer rückläufigen Anzahl – von Priestern geleistet werden kann, weil sie für diese Kirche, für die Menschen in ihren Pfarrgemeinden beten. Bei ihrer Weihe haben sie versprochen, aus dem Geist der Innerlichkeit zu leben, Männer des Gebetes zu werden und stellvertretend und gemeinsam mit dem Volk das Stundengebet zu verrichten. Ich vertraue auf die Treue im Gebet von den Priestern und darauf, dass dies der Grundstein für alles Nachdenken und Tun darstellt. Zum anderen hängt unser Glaube immer auch mit Umkehr und Bekehrung zusammen. Nur durch Bekehrung werden wir immer wieder neu Christen – das gilt für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft der Kirche. Ich glaube, dass in der Hinkehr zu Gott, zu Jesus Christus, zu seinem Wort, zu seinem Auftrag die Fruchtbarkeit seelsorglicher Arbeit auch heute liegt. Wir haben – Gott sei Dank – noch eine Reserve an Kräften, damit wir Vieles in unseren Pfarren leisten können. Diese Reserven könnten aber auch aufgebraucht werden und dann geht es – auch für die Priester – primär darum, das zu tun, was der Grundauftrag der Kirche ist: liturgia, diakonia und martyria.

Worin sehen Sie die Aufgabe der Laien in der Neuevangelisierung?

Die Aufgabe der Laien und der Kleriker ist dieselbe: den Glauben leben! Die Neuevangelisierung hängt nicht nur von den Priestern oder gar dem Bischof ab, sondern davon, ob er im Alltag gelebt wird. Daher ist der Beitrag der Laien im tiefsten Sinn des Wortes “fundamental”. Der Glaube muss für uns alle das Fundament unseres Lebens darstellen. Auf dem Fundament des Glaubens Leben zu gestalten, dem Leben Richtung zu geben. Von daher ist die Aufgabe der Laien gleich gross, wenn nicht sogar grösser als jene der Priester. Allen gemeinsam ist, dass der Glaube gelebt werden will.

Diözese-Eisenstadt

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