Homilie an der Abtsweihe vom 8. Dezember in Engelberg

Von Bischof Dr. Vitus Huonder der Diözese Chur

Lieber Abt Christian, Brüder und Schwestern im Herrn,

unser Leben ist sinnvoll. Unser Leben hat einen Sinn. Unser Leben bewegt sich auf ein Ziel hin. Der Mensch anderseits trägt in sich das Verlangen nach Erfüllung, die Sehnsucht nach Vollendung. Er trägt in sich das Verlangen und die Sehnsucht nach dem Ziel, nach dem Endgültigen. Der Mensch sucht deshalb auch nach dem, was zum Ziel führt, nach dem, was auf das Endgültige hinweist.

Der Abschnitt aus dem Epheserbrief der heutigen Lesung zum Festtag des 8. Dezember nennt uns das Ziel und den Sinn des menschlichen Lebens: “Durch ihn (Christus) sind wir … als Erben vorherbestimmt und eingesetzt nach dem Plan dessen, der alles so verwirklicht, wie er es in seinem Willen beschließt; wir sind zum Lob seiner Herrlichkeit bestimmt, die wir schon früher auf Christus gehofft haben” (Eph 1,11-12). Der Sinn des Lebens, die Erfüllung unserer Sehnsucht wird ausgesprochen mit der Feststellung, dass wir zum Lob seiner Herrlichkeit, der Herrlichkeit Gottes, bestimmt und auserwählt sind. Das bedeutet: Dadurch, dass Gottes Herrlichkeit an uns durch Jesus Christus offenbar wurde und immer wieder wird – dass wir Gottes Anteil, dass wir Kinder Gottes sind – bewirken wir das Lob Gottes, bewirkt Gott durch uns sein Lob. Gott wird unseretwegen gelobt. Er wird gelobt, weil er an uns durch Christus gnadenhaft handelt; er wird gelobt, weil sein gnadenhaftes Handeln an uns offenbar wird.
Heute steht jene Frau im Mittelpunkt unserer Feier, welche dieses große Lob Gottes ausgelöst hat, welche sozusagen am Anfang des Lobes seiner Herrlichkeit, der Herrlichkeit in Christus, steht; die Frau, welche dieses Lob eröffnet. Es ist die Mutter unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus. Für diese Frau, für die ohne Erbsünde empfangene Jungfrau und Gottesmutter Maria, preist die Menschheit den Herrn bis heute ohne Unterlass. Ihr sagt der Engel: “Du hast bei Gott Gnade gefunden” (Lk 1,30). Darauf antwortet Maria in ihrem Lobgesang mit den Worten: “Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter” (Lk 1,46-47). Als die Gnadenvolle lobt sie selber den Herrn und veranlasst das Lob der Herrlichkeit des Herrn. Sie lobt den Herrn, weil sie der Herr für eine besondere Aufgabe erwählt und für diese besondere Aufgabe so beschenkt hat, dass sie für die Menschheit zum Zeichen der Hoffnung wurde, und Gottes Handeln an Maria bewirkt bei den Menschen das Lob der Herrlichkeit Gottes. Die Menschen loben durch Maria und mit Blick auf Maria die Gnade Gottes (Eph 1,6). In Maria erfüllt sich aber auch unsere Sehnsucht nach Heil, unsere Sehnsucht nach dem Endgültigen und Ewigen. Durch Maria wird unser Ziel sicher und der Sinn unseres Lebens auf die Vollendung hin geöffnet. Was wir in Adam verloren haben – wenn wir auf die erste Lesung zurückblicken (Gen 3,9-15) – wird uns neu geschenkt, wird uns noch reichlicher gegeben.

Mein lieber Mitbruder und Abt Christian, der Herr hat auch Ihnen eine Aufgabe, eine neue Aufgabe zugedacht. Er hat damit auch Ihnen eine Stunde der Gnade geschenkt. Er hat Ihnen diese Klostergemeinschaft anvertraut. Es ist eine Aufgabe, welche auf der einen Seite eine Folge dessen ist, was an Maria geschah. Denn ohne das Gnadenwirken des Herrn an Maria gäbe es keine Mönchsgemeinschaft, jene Gemeinschaft, in welcher das Wort des heilige Benedikt gilt, man solle Christus nichts vorziehen. Maria hat uns Christus geboren, so dass er für uns jener wird, jener werden konnte, dem wir nichts vorziehen sollen, dem wir nichts – haben wir ihn einmal erkannt und entdeckt – nichts vorziehen können. So ist Maria für Sie, lieber Abt Christian, auch Ursache Ihres neuen Amtes, Ihrer neuen Aufgabe, Ihrer neuen Gnadengabe. Das soll auch Sie mit Dankbarkeit erfüllen und durch Maria Grund zum Lob seiner Herrlichkeit, der Herrlichkeit Gottes sein.
Sie dürfen auf der andern Seite einer Gemeinschaft vorstehen, die in einem ganz besonderen Sinn zum Lob der Herrlichkeit Gottes bestimmt ist, nämlich durch das tägliche Gotteslob, das unsere Welt verwandelt und immer auf das letzte Ziel hinführt. Sie dürfen einer Gemeinschaft vorstehen, die ausgerichtet ist auf die Verherrlichung Gottes im officium divinum, wie es der heilige Benedikt nennt, im Gottesdienst, oder, wie er es auch umschreibt, im opus Dei, im Werk Gottes. Das Tagzeitengebet ist das Werk Gottes, das Werk für Gott, das Werk, das Gott in uns bewirkt. Ja, diesem Dienst, diesem Werk soll nichts vorgezogen werden, sagt der Mönchsvater. Das bedeutet, dass dieser Dienst das monastische Leben ausmacht und der innerste, letzte Sinn – der ultimus finis – des monastischen Lebens ist. Interessanterweise steht der Hinweis des heiligen Benedikt zum officium divinum oder zum opus Dei in der Wortwahl parallel zur Ermahnung, Christus dürfe nichts vorgezogen werden (Regel 43,3 – 4,21): Nihil amori Christi praeponere – Nihil operi Dei praeponatur. Die Liebe zu Christus drückt sich geradezu in der Liebe zum Gottesdienst, zum Tagzeitengebet aus; die Liebe zum Tagzeitengebet ist höchste Liebe zu Christus.
Einer solchen Gemeinschaft dürfen Sie vorstehen, lieber Abt Christian. Seien auch Sie voll Dankbarkeit, wie Maria dankerfüllt war. Fördern Sie mit allen Kräften die Liebe zu Christus, und bestärken Sie Ihre Mitbrüder immer wieder darin. Sie sollen bei allen Schwierigkeiten, die es auch in einem Klosterleben gibt, noch und noch spüren, erkennen und wahrnehmen, dass die Liebe zum Gebet und die Liebe zu Christus, die sich im Gebet ausdrückt, ihre hohe Berufung ist. Sie sollen wissen, dass diese ihre Berufung ein unbezahlbarer Wert für die Welt und das Heil der Welt darstellt, und dass sie in dieser Berufung unendlich viel zum Lob der Herrlichkeit Gottes beitragen und so den Menschen helfen, den Sinn ihres Lebens zu entdecken und Christus näher zu kommen.
Zusammen mit Ihren Mitbrüdern dürfen Sie sich freuen und mit ihnen immer wieder die Worte des Epheserbriefes betrachten, beten und verkünden: “Gepriesen sei Gott, der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus” (Eph 1,3). Amen.

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