„Die wichtigste Stadt der Welt“

Der Bürgermeister von Bethlehem über Weihnachten in der Geburtsstadt Jesu und die Nöte ihrer Bewohner

Tagespost, 22.12.2010, von Johannes Zang

Herr Bürgermeister, wie wird Weihnachten in Bethlehem gefeiert?

Weihnachten ist die Zeit zum Feiern für Bethlehem. Bethlehem ist ja die Wiege der Christenheit. Die Straßen sind geschmückt. Präsident Mahmoud Abbas hat den Christbaum entzündet. Wie jedes Jahr feiern wir Weihnachten, obwohl wir immer noch unter Belagerung hinter dieser Mauer der Trennung leben.

Feiern alle einheimischen Christen Weihnachten gemeinsam?

Wir feiern dreimal Weihnachten in Bethlehem: Am 25. Dezember ist Weihnachten für die römisch-katholische Kirche sowie für die Protestanten. Am 7. Januar feiern die Griechisch-Orthodoxen, und am 18. Januar die armenische Kirche. Am jeweiligen Vorabend, dem Heiligen Abend, ist ein Gottesdienst in der Geburtsbasilika und unser Präsident besucht dreimal die Messe, an allen drei Weihnachtsfesten.

„Wir müssen diese Mauer der Trennung abbauen. Wir müssen Brücken der Liebe und des Verstehens errichten“

Was ist das Besondere an Weihnachten in Bethlehem?

Es ist der Geburtsort unseres Herrn Jesus Christus. Wenn es um das Feiern von Weihnachten geht, ist Bethlehem die wichtigste Stadt in der Welt.

Kann die von Ihnen erwähnte israelische Trennmauer die Weihnachtsfeierlichkeiten behindern?

Ich hoffe nicht. Wir hoffen, dass Israel die Grenzen öffnet, damit die Pilger und Touristen nach Bethlehem ohne Schwierigkeiten einreisen können. Das ist meine Hoffnung. Manchmal erschwert Israel nämlich die Einreise.

Im Herbst dieses Jahres konnte man in Bethlehem eine Rekordzahl an Pilgergruppen erleben. Reiseveranstalter sprachen davon, dass man kein freies Hotelbett in Bethlehem oder Jerusalem finden konnte. Erwarten Sie auch an Weihnachten viele Pilger?

Dieses Jahr war in punkto Tourismus das beste Jahr für Bethlehem. Wir hatten pro Monat im Durchschnitt 120 000 Pilger in Bethlehem. Für die Weihnachtsfeiertage sind alle Hotels ausgebucht.

Als Jesus vor 2 000 Jahren geboren wurde, litt das Land unter römischer Besatzung. Seit 1967 leben mittlerweile fast vier Millionen Palästinenser unter israelischer Militärbesatzung. Es scheint sich gar nicht so viel geändert zu haben.

Letzten Endes ist es Besatzung, damals wie heute. Die israelische Besatzung müssen wir zum Ende bringen. Wir müssen diese Mauer der Trennung abbauen. Wir müssen Brücken der Liebe und des Verstehens zwischen den Völkern errichten.

Wie wirkt sich die israelische Militärbesatzung auf den Alltag in Bethlehem aus?

Diese Besatzung beeinträchtigt jede Sekunde unseren Alltag in Bethlehem. Niemand kann die Stadt verlassen, um nach Jerusalem zu fahren, es sei denn, er hat eine spezielle Genehmigung, einen Passierschein von den israelischen Behörden. Das betrifft das Erreichen des Arbeitsplatzes oder die Konsultation eines Facharztes oder medizinische Behandlung wie etwa Neurochirurgie. Auch für das Gebet in der Grabeskirche in Jerusalem oder in einer Moschee braucht man eine besondere Reisegenehmigung. Auch Kinder können zum Beispiel nicht an Sportwettkämpfen in Jerusalem teilnehmen. Das alles hat seelische Folgen und auch wirtschaftliche Konsequenzen. Es gibt keine Bewegungsfreiheit, nicht einmal für das Gebet. Diese Trennmauer beeinträchtigt uns massiv.

Ein Bericht der Vereinten Nationen vom vergangenen Jahr hat die Folgen des Barrierenbaus für Bethlehem so zusammengefasst: „Die fertiggestellte Barriere dringt zwei Kilometer nach Bethlehem-Stadt ein, umgibt Rachels Grab und durchtrennt die historische Verbindung nach Jerusalem. Das einst blühende Geschäftsviertel in der Nähe des Rachel-Grabes ist ausgestorben, da die meisten Geschäfte und Firmen entweder geschlossen haben oder umgezogen sind.“ Im Bezirk Bethlehem, so der Report, lasse der Barrierenverlauf nur 13 Prozent des palästinensischen Landes für zukünftige Erschließung, also für Wohn- und Industriegebiete, übrig.

Israel hat das meiste an Grund und Boden der Stadt Bethlehem beschlagnahmt. Die Stadt hatte einmal 31 Quadratkilometer Fläche, nun sind es nur noch 5,7 Quadratkilometer. Diese acht Meter hohe Zementmauer, die die Stadt umgibt, hat alle unsere landwirtschaftlichen Flächen aufgefressen. Das hat Bethlehem zu einem großen Gefängnis für seine Bürger gemacht. Die erwähnten 13 Prozent beziehen sich aber auf die Fläche des Landkreises Bethlehem, der 650 Quadratkilometer groß ist. Davon können wir nur 13 Prozent nutzen. Dazu kommt, dass Israel im gesamten West-Jordanland circa 1,5 Millionen Oliven- und Obstbäume entwurzelt oder zerstört hat. Das ist beschämend. Wie kann die Welt das akzeptieren? Wie kann sie da zusehen? Ich weiß es nicht.

Die Botschaft von Weihnachten ist die des Friedensfürsten. Tun sich die Christen in Bethlehem schwerer, an Frieden zu glauben als Christen in Berlin, Birmingham oder Barcelona?

Das ist sicher so. Wir als Christen im Heiligen Land glauben grundsätzlich an Frieden. Aber leider sehen wir ihn hier in unserer Region nicht kommen. Israel will keinen Frieden, sondern Land. Wir Palästinenser akzeptieren die Zwei-Staaten-Lösung, Israel leider nicht. Israel baut weiter Siedlungen. Selbst die Vereinigten Staaten haben es aufgegeben, Israel zum Siedlungsstopp zu drängen. Das ist sehr schlimm. Obama hat sich einfach gebeugt. Dabei sollten die USA Israel zwingen, Resolutionen der Vereinten Nationen umzusetzen. Wir brauchen Frieden in Bethlehem, in Jerusalem, im Heiligen Land und in der Tat in der ganzen Welt.

Welche Folgen hat die US-amerikanische Entscheidung, Israel nicht weiter zu einem Siedlungsstopp bewegen zu wollen?

Wenn Israel weiter diese Siedlungen baut, können wir unter keinen Umständen einen lebensfähigen palästinensischen Staat haben. In ein bis zwei Jahren wird kein Land mehr da sein, um einen existenzfähigen palästinensischen Staat zu errichten.

Haben Sie eine persönliche Weihnachtsbotschaft?

Wir in Palästina wollen Frieden. Wir wissen, dass wir Frieden nicht mit Mauern erreichen werden. Dazu hat Israel die mächtigste Kriegsmaschinerie. Wir wollen Frieden, wir jagen ihm nach, wir benötigen ihn – und das mit friedlichen Mitteln. Meine Weihnachtsbotschaft ist immer die unseres Friedens- und Liebesfürsten, unseres Herrn Jesus Christus. Der Stern von Bethlehem schickt immer eine Botschaft des Friedens und der Liebe an jeden.

Bethlehem ist eine palästinensische Stadt vor den Toren Jerusalems mit 32 000 Einwohnern. Waren vor der Staatsgründung Israels 1948 etwa 90 Prozent der Einwohner Christen, so ist deren Anteil auf etwa ein Drittel geschrumpft – infolge von Kriegen und dem damit einhergehenden Zustrom überwiegend palästinensisch-muslimischer Flüchtlinge, auch aufgrund der schon immer bestehenden Tendenz palästinensischer Christen zur Auswanderung sowie der höheren Geburtenrate unter der muslimischen Bevölkerung. Dr. Victor Hanna Jubrail Batarseh (geboren 1934), ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt, ist seit fünf Jahren Bürgermeister der Geburtsstadt Jesu Christi. Der unabhängige Politiker steht einem Stadtrat mit acht Christen und sieben Muslimen vor. Batarseh ist römisch-katholischer Palästinenser.

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