Die Banalisierung der Sexualität

Was der Papst im Seewald-Buch über Kondome wirklich sagt
Von Paul Badde / Die Welt 22. November 2010 

„In begründeten Fällen“ könne er auch den Gebrauch von Kondomen gutheißen, hat Papst Benedikt XVI. dem Münchener Publizisten Peter Seewald im Sommer in seiner Residenz in Castel Gandolfo im Verlauf von sechs Gesprächen anvertraut, die am kommenden Mittwoch gleichzeitig in acht Sprachen veröffentlicht werden. In Deutschland wird das Buch unter dem Titel „Licht der Welt“ erscheinen. Vierzehn Jahre nach ihrem ersten Gesprächsbuch („Salz der Erde“, 1996), das Seewald damals noch mit Kardinal Joseph Ratzinger führte, beschäftigen sich die beiden diesmal im Gegensatz zu damals jedoch weniger mit theologischen Fragen, sondern haken eine ganze Liste kritischer Anfragen ab, die nach einer Serie von Pannen und bekannt gewordenen Skandalen innerhalb der katholischen Kirche vor allem in den letzten beiden Jahren immer wieder aufgeworfen wurden. Die Geheimhaltung des Manuskripts bis zum Erscheinungstermin des Buches hätte kaum größer sein können. Dennoch sickerten im nicht allzu verschwiegenen Rom zuletzt immer mehr Details der Gespräche an die Öffentlichkeit. Benedikt XVI. aber wird sich, wie er in dem Buch zu Wort kommt, nun wohl kaum wundern, dass wieder einmal nicht seine Kernbotschaft von der Menschwerdung Gottes für Schlagzeilen sorgt, sondern einige beiläufige Bemerkungen (auf der Seite 146) darüber, wie er das Wohl und Wehe von Kondomen beim Geschlechtsverkehr einschätzt.

Kaum war die Nachricht in der Welt, wollte Michel Sidibe, Direktor des Unaids-Programm der UNO, schon wissen, dass der Papst damit einen „bezeichnenden und positiven Schritt vorwärts“ gegangen sei, wenn er nun anerkenne, dass verantwortliches Sexual-Verhalten und der Gebrauch von Präservativen „eine wichtige Rolle zur Vermeidung von HIV/AIDS“ spielen würde. Doch da sollte der UN-Direktor besser das ganze Buch am kommenden Mittwoch lesen, wo Seewald den Papst mit einer Frage zu seiner Afrika-Reise im März 2009 in dieses Thema hinein gelockt hat.
Diese Reise sei publizistisch völlig verdrängt worden durch einen einzigen Satz, antwortet ihm darauf der Papst schon beinahe leidenschaftlich. „Man hatte mich gefragt, warum die katholische Kirche in Sachen Aids eine unrealistische und wirkungslose Position einnehme. Daraufhin fühlte ich mich nun wirklich herausgefordert, denn sie tut mehr als alle anderen.“ Das behaupte er auch weiterhin. Sie sei „als einzige Institution ganz nah und ganz konkret bei den Menschen, präventiv, erziehend, helfend, ratend, begleitend.“ Keiner sonst behandle so viele Aidskranke, insbesondere an Aids erkrankte Kinder. „Die Kirche tut mehr als die anderen, weil sie nicht nur von der Tribüne der Zeitung aus redet, sondern den Schwestern, den Brüdern vor Ort hilft.“ Er habe deshalb in dem Zusammenhang auch nicht zum Kondomproblem generell Stellung genommen, „sondern – was dann zum großen Ärgernis wurde – nur gesagt: ‚Man kann das Problem nicht mit der Verteilung von Kondomen lösen.’ Es muss viel mehr geschehen.“

Tatsächlich sei es doch ohnehin so, dass die Kirche Präservative überhaupt nicht verbieten könne. „Wo immer sie jemand haben will“, ständen sie zur Verfügung. Nur lösten sie allein eben die Frage nicht. Auch im säkularen Bereich sei deshalb inzwischen schon das sogenannte ABC-Konzept zur Verhinderung einer HIV-Infektion entwickelt worden mit den Buchstaben ABC für „Abstinence –Be faithful – Condom“, also für Enthaltsamkeit – Treue – und Kondom. Auch dort mache sich also die Erkenntnis breit, dass der Gebrauch von Präservativen immer nur als letzter Ausweg hilfreich sein könne, wenn die beiden ersten Punkte nicht griffen. Demnach könne es „begründete Einzelfälle geben – etwa wenn ein Prostituierter ein Kondom verwendet – wo dies ein erster Schritt zu einer Moralisierung sein kann: ein Stück Verantwortung, um wieder ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass nicht alles gestattet ist und man nicht alles tun kann, was man will“.

Heißt das denn, fragt Seewald an diesem Punkt nach, dass die katholische Kirche „gar nicht grundsätzlich gegen die Verwendung von Kondomen“ sei. Sie sehe sie nicht als wirkliche Lösung an, antwortet ihm darauf der Papst. „Im einen oder anderen Fall kann es in der Absicht, Ansteckungsgefahr zu verringern, jedoch ein erster Schritt sein auf dem Weg hin zu einer anders gelebten, menschlicheren Sexualität.“ Dieser Passus ist die einzige Einschränkung, die der Papst hier zur bisher geltenden katholischen Sexualmoral macht. Die Fixierung auf das Kondom aber, wiederholt er gleich danach, bedeute „eine Banalisierung der Sexualität“ als „gefährliche Quelle dafür“, dass so viele Menschen die Sexualität nicht mehr als Ausdruck der Liebe begreifen, sondern nur noch als „eine Art von Droge, die sie sich selbst verabreichen“.

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