Das eigentliche Geheimnis dieses Mannes….
Ist seine enorme Nähe zu Gott
Von der Volks- zur Entscheidungskirche, 23. November 2010
Kath.net-Exklusiv-Interview mit Peter Seewald über das Bestsellerbuch “Licht der Welt”
Von Roland Noé
Kath.net: Herr Seewald, in diesen Stunden erscheint ein Buch, das weltweit ein Bestseller werden wird: Im Vorwort sprechen Sie davon, dass der Papst am Ende ein dramatischer Appell an Kirche und Welt, an jeden Einzelnen richten werde. Wir können unmöglich weitermachen wie bisher, ruft er aus. “Die Menschheit stehe an einem Scheidepunkt”, schreiben Sie dann weiters. Was ist der Appell des Papstes? Um was geht es in dem dramatischen Appell?
Peter Seewald: Es gib ja in jeder Epoche die Bestrebung, Gott für tot zu erklären; sich dem vermeintlich Greifbareren zuzuwenden; und wenn es goldene Kälber sind. Heute müssen wir uns fragen: Was haben wir aus dieser Schöpfung, diesem Traum von einem Planeten gemacht? Und was aus uns selbst? Wir sehen ja, wie eine Gesellschaft, die sich ihrer Wurzeln beraubt, in die Schieflage gerät. Wie sie in ihrer Werte- und Orientierungslosigkeit nicht nur an Erkenntnis verliert, sondern regelrecht verkommt. Das betrifft unsere ökologische, unsere wirtschaftlich-gesellschaftliche, aber eben insbesondere auch unsere geistige und geistliche Situation. Immer deutlicher wird auch die Gefahr einer antichristlichen Meinungsdiktatur, vor der Ratzinger schon als Kardinal warnte.
Die Botschaft Benedikt XVI. ist in der Tat ein Appell an Kirche und Welt, an jeden Einzelnen: Es ist Zeit für den Wechsel, ruft er aus, Zeit für Umkehr. Das ist nicht im politischen Sinne gemeint, sondern geht weit darüber hinaus. „Es gibt so viele Probleme“, sagt der Papst, „die alle gelöst werden müssen, die aber alle nicht gelöst werden, wenn nicht im Zentrum Gott steht und neu sichtbar wird in der Welt.“
Kath.net: Am Beginn des Buches geht es um den Rückblick auf die Papstwahl. Der Heilige Vater sagt hier: “Was tust Du mit mir? Jetzt hast Du die Verantwortung. Du musst mich führen! Ich kann es nicht. Wenn Du mich gewollt hast, dann musst Du mir auch helfen!” – Das waren doch sehr
ehrliche Gedanken von Papst Benedikt. Hat man in diesem Moment Mitleid mit dem Heiligen Vater?
Peter Seewald: Ja, in gewisser Weise schon. Gerade wenn man miterlebt, was dieser Mensch zu schultern hat. Andererseits sagt Edith Stein, dass Gott nichts von einem verlangt, wenn er einem nicht auch die Kraft dazu gibt. Und wir sehen ja aus den vergangenen fünf Jahren, wie groß die Kraft ist, die dieser Brückenbauer in seinem Pontifikat an den Tag legt.
Der Papst ist jemand, der sich ganz ausschöpft, ein großer Gebender. Aber auch jemand, der aus einer großen, schier unendlichen Quelle schöpfen kann. Und er weiß, dass er diese gigantische Aufgabe, die auf seinen Schultern liegt, gar nicht alleine schaffen kann, aber dass er sie auch nicht alleine schaffen muss, sondern dass da nicht nur die Gemeinschaft der Gläubigen da ist, sondern jemand, der diese Kirche, der den Papst hält, und der größer ist als wir alle zusammen.
Kath.net: Der Heilige Vater sagt in dem Buch: “Unter den 1,2 Milliarden sind viele, die innerlich nicht mit dabei sind. Der heilige Augustinus hat schon zu seiner Zeit gesagt: Es sind viele draußen, die drinnen zu sein scheinen; und es sind viele drinnen, die draußen zu sein scheinen. Bei einer Sache wie dem Glauben, der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche, ist Innen und Außen geheimnisvoll miteinander verwoben.” – Was meint der Papst hier genau? Und ist der Papst hier ehrlicher als viele deutschsprachige Diözesen, wo oft die Mehrheit nur mehr aus Taufscheinkatholiken besteht?
Peter Seewald: Das ist ein großes Thema. Es berührt die Frage, die inzwischen unausweichlich geworden ist: die Entwicklung von der Volks- zur Entscheidungskirche. Die Kirche in der säkularisierten Welt hat eine andere Stellung als die Volkskirche des vergangenen Jahrhunderts. Sie hat nicht nur wertvolle Strukturen und viele Mitglieder verloren, sondern da ist im Grunde eine ganze Glaubenskultur im Begriff, zusammenzubrechen. Glaubenswissen versiegt. Und da ist vor allem auch diese entsetzliche Bekenntnismüdigkeit. Wie kann es sein, dass in der Öffentlichkeit ein Bild entstand, als sei Christentum eine Minderheitengeschichte geworden?
Der Papst verschließt hier nicht die Augen. Er geht diese Aufgabe sehr offensiv an, etwa mit dem soeben neu gegründeten Rat für Neuevangelisation. Wir haben alle zusammen zu lange nur zugesehen. Wir haben uns mit einem Wir-tun-nur-noch-so-als-ob-Christentum begnügt. Nehmen wir beispielsweise den Religionsunterricht, die ganze Katechese, die am Boden liegt.
Von seiner Kirche will der heutige Papst deshalb, dass sie sich nach den schrecklichen Missbrauchsfällen und Verirrungen einer Art Grundreinigung unterzieht. Dass sie, nach vielfach so fruchtlosen Diskussionen und einer lähmenden Beschäftigung mit sich selbst, endlich wieder Jesus ins Zentrum zu stellt.
Gleichzeitig sagt er auch: Das Zeitalter des Relativismus mit seiner Weltanschauung, die als letzten Maßstab nur das eigene Ich und seine Wünsche gelten lässt, neigt sich dem Ende zu. Und wir sehen ja im Moment, wie die falschen Götter reihum in sich zusammenstürzen. Zweifellos befindet sich die Kirche in einer großen Krise.
Aber auch wenn viele draußen sind, die drinnen zu sein scheinen, gibt es ja immer auch das Potential jener, die draußen zu sein scheinen, aber drinnen sind. Alles ist miteinander verwoben. Hier ist, alles zusammengenommen – drinnen wie draußen – ein sehr wertvolles Potential, das nicht verloren ist. Nichts muss bleiben, wie es ist.
Wir können die Dinge immer auch verändern. Im globalen Maßstab betrachtet befindet sich die katholische Kirche ohnehin nicht unbedingt im Niedergang, im Gegenteil, sie war in Wahrheit noch nie so groß und noch nie so verbreitet wie heute.
Kath.net: In dem Buch findet man auch sehr viel private Aussagen über das Leben von Benedikt. So erfährt man, dass der Papst gerne die “Don Camillo und Peppone”-Filme sieht und das Trimmrad meidet. Ist der Heilige Vater auch ein “wahrer Mensch”?
Peter Seewald: Wie sollte er das nicht sein? Mit allem, was zum Menschsein dazugehört. Aber zweifellos bleibt ihm für Privates sehr wenig Zeit. Er hat einen geregelten, sehr systematisierten Rhythmus zwischen Arbeit, Gebet und Regeneration, das hilft ihm, sein enormes Pensum zu bewältigen und ein enorm effizienter Arbeiter zu sein. Er weiß eben, dass zum Leben auch Muße gehört. Er ist ja selbst ein großer Musikliebhaber und begeisterter Pianist. Aber vieles bleibt auf der Strecke. Häufigere Begegnungen mit alten Freunden zum Beispiel, die er sehr schätzt, weil er ein sehr treuer Mensch ist.
Kath.net: “Was den Papst angeht, so ist auch er ein einfacher Bettler vor Gott – mehr noch als alle anderen Menschen.” und “Ich bin mit Augustinus, mit Bonaventura, mit Thomas von Aquin befreundet”, sagt Benedikt dann in einem Abschnitt über das Gebet. Kommt der Heilige Vater eigentlich angesichts der vielen Verpflichtungen zum Gebet? Wie geht er damit um?
Peter Seewald: Der Papst hat, wie jeder Priester, Bischof oder Ordensmann, feste Gebetszeiten. Ohne das Gebet, ohne die Hinwendung zu Gott und die Hilfe, die er daraus schöpft, so weiß er, könnte er diesen Job gar nicht machen, ja, er wäre ohne die Priorität des Gebetes, das in diesem Amt, wie er sagt, so häufig ein regelrechtes Betteln sei, ganz verkehrt.
Papst Benedikt ist bestens informiert und stets auf der Höhe der Zeit. Er verfügt über ein unglaubliches Gedächtnis, eine einzigartige Bildung und Gelehrsamkeit und die Kraft der Formulierung. Aber ich glaube, das eigentliche Geheimnis dieses Mannes ist seine enorme Nähe zu Gott. Er hat das Licht der Welt gesehen und wurde selbst ein solches Licht. Deshalb ist er bei aller Intellektualität einfach ein wirklich frommer Mensch geblieben. Diese Frömmigkeit, die Tiefe und Einfachheit des Glaubens, die er vorlebt, wird ja regelrecht zu einem der Siegel dieses Pontifikats.
Kath.net: Im Zusammenhang mit der Williamson-Sache spricht der Papst ganz offen, dass hier die Pressearbeit versagt hat. Denken Sie, dass der Vatikan und auch Papst Benedikt aus dem Vorgang gelernt haben oder wie schätzen Sie jetzt die Medienarbeit des Vatikans ein?
Peter Seewald: Gelernt hat man sicher daraus. Vieles funktioniert jetzt besser. Ich kann das nicht gut beurteilen, weil ich zu wenig darüber weiß. Verbesserungswürdig ist vermutlich auch in der Zusammenarbeit mit aufrichtigen, papstfreundlichen Journalisten und Redaktionen. Aber Medienarbeit für den Papst zu machen, ist ein große, sehr umfassende und schwierige Aufgabe, gerade in einer Medienumgebung, die besonders papstkritisch, um nicht zu sagen, offen papstfeindlich ist und vor Manipulation und Nachrichtenverfälschung oder –unterdrückung nicht zurückschreckt. Da wird dann natürlich der geringste Fehler der päpstlichen Medienarbeit gnadenlos ausgenutzt. Über den Fall Williamson hätten „Spiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“ allerdings nie in dieser verheerenden Form berichten können, wenn sie selbst eine kleine Anstrengung unternommen hätten, die Zusammenhänge zu recherchieren.
Man wollte sich eben die Story nicht kaputtmachen lassen – die Diffamierung des Papstes, diplomatische Irritationen und eine Zerrüttung des katholisch-jüdischen Verhältnisses wurden billigend in Kauf genommen.
Kath.net: Spannend ist auch die Frage nach einem möglichen Rücktritt eines Papstes. Hier sagt Benedikt: “Ja. Wenn ein Papst zur klaren Erkenntnis kommt, dass er physisch, psychisch und geistig den Auftrag seines Amtes nicht mehr bewältigen kann, dann hat er ein Recht und unter Umständen auch eine Pflicht, zurückzutreten.” Wie fit ist Papst Benedikt Ihrer Einschätzung nach und dürfen wir uns noch auf viele weitere “Benedikt-Jahre” freuen?
Peter Seewald: Dieses Amt bringt eine ungeheure Belastung mit sich. Manchmal mag der Papst deshalb ein wenig müde wirken. Aber er kann sich von heute auf morgen regenerieren, wie durch einen Jungbrunnen. Ratzinger war schon als Schüler ein besonders ausdauernder, disziplinierter, fleißiger und vor allem effizienter Arbeiter. Er macht keinen Sport, aber er hält einen bestimmten Rhythmus ein zwischen Arbeit, Gebet und Regeneration. Und er befolgt einen Ratschlag Jesu: Die Sorge für einen Tag genügt; was am nächsten Tag ist, wird man sehen. Wenn ich ehrlich bin, kenne ich wenige Menschen, die so fit, so leistungsstark, so wach, so neugierig und im gewissen Sinne eben auch so jung und so modern sind wie dieser scheinbar alte Mann auf dem Stuhl Petri. Sein Leben ist in Gottes Hand, wie das eines jeden Menschen. Aber ich kann mir gut vorstellen, auch in den nächsten fünf Jahren einen weiterhin sehr energischen, wegweisenden und insbesondere prophetischen Papst zu erleben.
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