Von der Heiligkeit des Mutes

Das Wunder von England

Vatican Magazin
Titel-Thema Vatican 10/2010 von Paul Badde

In England hat Benedikt XVI. die Herzen und die Medien erobert. Es war keine poppige „magical mystery tour“. Und von einem „Mittelweg“ hat der Papst auch nichts gesagt. Er war einfach – er selbst.

„In Gefahr und grosser Noth/ Bringt der Mittel Weg den Tod.“
Friedrich von Logau (1605 – 1655)

“Nein“, sagte der Papst schon an Bord der “Citta di Fiumincino”, auf dem Weg nach Edinburgh, auf die Frage, ob die Kirche nicht dringend zusehen müsse, wie sie wieder anziehender gemacht werden könne. „Wer fragt, wie die Kirche attraktiver gemacht werden kann, hat den Weg verloren und sich schon mit der Frage verirrt.“ Die Kirche verkaufe nichts, am wenigsten sich selbst, sondern ihr sei eine Nachricht anvertraut, die sie unverkürzt weitergeben müsse. Benedikt XVI. schien heiser. Seine Augen blitzten, doch als er sich am Ende der kleinen Pressekonferenz über den Wolken umwandte, ging der 83-jährige Pontifex so gebeugt nach vorne zu seinem Platz zurück, als drücke ihn die Last des Amtes schon vor Beginn der Reise zu den Briten nieder. Kaum war er gelandet, richtete er sich von Stunde zu Stunde immer stärker auf. Die katholische Kirche machte er danach mit ihrer unverdünnten Botschaft so attraktiv wie vielleicht seit den Tagen der ersten Missionare bei den wilden Angelsachsen nicht mehr. Barmherzig wie ein Heiliger, sorgsam wie ein guter Hirt, doch ohne jeden Rabatt in Glaubens-, oder Wahrheitsdingen, oder ohne Abstriche am „Dogma“, wie John Henry Newman es wohl gesagt hätte. Die „unaussprechlichen Verbrechen“ der krankhaften Missbräuche verurteilte er deutlich wie noch nie. Darum jedoch war er nicht nach England gekommen – und das machte er bald noch viel deutlicher. Leise, bescheiden und heiter verkündete er in ständigen Variationen das Evangelium Christi neu – im Zeitalter einer galoppierenden Entfremdung der gesamten Gesellschaft von ihren christlichen Wurzeln.

Als im Dämmerlicht die Sturmglocken der Westminster Abbey über jubelnden Menschenmassen im Herzen der Londoner City zu seinem Abschied läuteten, hatte er nicht nur seine ureigenen Themen zurück erobert, und die Herzen von Millionen, sondern auch die Anerkennung einer überwältigenden Mehrheit der Medien. 
Er hatte sie schon am Anfang in Edinburgh vor der Queen überrascht: Mit einer Schlüsselrede über „die ernüchternden Lektionen“, die ein „atheistischer Extremismus“ der Welt im zwanzigsten Jahrhundert erteilt habe, und dass er nicht daran denke, in diesem kosmischen Ringen um die Seele der Gesellschaft auch nur einen Schritt zurück zu weichen. Als er in der Westminster Hall vor der Elite der britischen Gesellschaft sprach, hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Es war der gleiche Raum, in dem der Lordkanzler Thomas More im Jahr 1535 zum Tode verurteilt worden war. Es war keine poppige „magical mystery tour“, es war lebendige Geschichte, als der Papst diesen katholischen Märtyrer nun eben hier als einen Kronzeugen der Souveränität des Gewissens rühmte, dem er „auch auf die Gefahr hin gefolgt war, seinem Souverän, den König, zu erzürnen, als dessen ‚guter Diener’ er sich begriff.“ Es war eine Lehrstunde über die Grundpfeiler der Demokratie, die der Papst den stolzen Briten hier erteilte, bis hin zu der Verteidigung des Weihnachtsfestes in der Agenda des öffentlichen Kalenders. Der Marginalisierung der Religion aus dem öffentlichen Raum wird er bis zu seinem letzten Atemzug widerstehen.
So lange wird er auf jeden Fall auch weiter an dem Siegel seines Pontifikats feilen: dem für alle Welt unerlässlichen Dialog und Austausch zwischen Glauben und Vernunft, wenn der Menschheit ihre Zukunft lieb und teuer ist.
Da ist er sich mit Rowan Williams einig, dem Erzbischof von Canterbury, den er so herzlich umarmte wie kaum jemanden sonst auf dieser Reise. Nach einer ökumenischen Vesper (und paradiesisch schönem Gesang) in der Westminster Abbey ließ er sich von dem obersten Anglikaner wie von einem Freund am Arm die Treppe hinunter geleiten, nachdem der ihn zuvor an seinen Vorgänger Gregor den Großen erinnert hatte, der einmal den Begriff der Päpste als „Knechte der Knechte Gottes“ prägte, und an Benedikt den Großen, dessen abendländische Vision der Papst heute wieder aufgreift, um die Schönheit und den Glanz neu über der Welt aufleuchten zu lassen, die zuerst „in dem Gesicht Jesu Christi offenbart“ worden sei.
Es war die vielleicht schönste Antwort auf das intellektuelle und liturgische Gesamtkunstwerk dieser Reise. Es war ergreifend. Von diesem Moment an, spätestens, gehen beide nun weiter voran auf einem Weg, den vor ihnen noch keiner beschritten hat. Da ist es schon längst, als wäre Benedikt XVI. nicht mit dem Flieger und dem Papamobil nach England gekommen, sondern auf den Schultern John Henry Newmans, dem prophetischen Giganten des Denkens und Glaubens, dessen Werk er in diesen Tagen in die Mitte der Kirche katapultierte. Weil er auf dessen Schultern sitzt, überragt er ihn nun aber auch in seiner Übersicht der Horizonte der modernen Welt – in der die Konstanten genuin katholischen Lebens sich dennoch selbstverständlich erhalten haben. In Birmingham erinnerte er die Bischöfe des vereinigten Königreichs deshalb daran, dass „wir ein Leben höchster Integrität, Demut und Heiligkeit leben müssen, wenn wir überzeugende christliche Führungspersonen sein sollen.“ Der selige John Henry Newman habe einmal geschrieben: „Ach, dass Gott den Geistlichen gewährte, ihre Schwäche als sündige Männer zu spüren, und den Menschen, mit ihnen zu fühlen, sie zu lieben und für ihre Zunahme in allen guten Gnadengaben zu beten“ So bete auch er darum, dass die christlichen Führungskräfte sich verstärkt ihrer prophetischen Berufung und ihrer Heiligung widmen. Das Gebet um Berufungen werde dann wie von selbst aufsteigen, „und wir können darauf vertrauen, dass der Herr antworten wird, indem er Arbeiter sendet, um die reiche Ernte einzubringen, die er im ganzen Vereinigten Königreich vorbereitet hat.“ Gott habe jeden für eine ganz besondere Aufgabe geschaffen, ruft er die Erkenntnis Newmans in Erinnerung: „Er hat mir ein Werk anvertraut, das er keinem anderen anvertraut hat. Immer wieder hatte er auch vorher schon dessen radikale Zurückweisung jeder relativen Beliebigkeit variiert und dass es für die Kirche keinen „Mittelweg“ mit einer Welt angeblich vieler gleich gültiger „Wahrheiten“ geben könne.
Das aber wird im wieder vereinigten Deutschland wohl offensichtlich noch ganz anders  gesehen, wie er bei seiner Rückkehr lesen musste: Der Tutzinger Unternehmensberater Thomas von Mitschke-Collande habe der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda empfohlen, bei einer nächsten Konferenz dringend über Fragen wie der Kontrolle und Legitimation innerkirchlicher Machtausübung zu reden, ferner über „die Kommunion für Wiederverheiratete, die Sexualmoral, die Rolle der Frau, der Zugang zum Priesteramt“. Et cetera. Diese Debatten dürften nicht als Angriff verstanden, sondern sollten als Wirken des Heiligen Geistes betrachtet werden. Kurzum, in ihrer „tiefen Identitätskrise“ müsse die Kirche, die angstvoll dabei sei, ihre Chancen zu übersehen, wieder „kampagnenfähig“ werden.
Unter den deutschen Bischöfen fand seine Empfehlung offensichtlich offene Ohren, wie es erste Aussagen des früheren Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, nahe legen, der nach den Missbrauchsskandalen nun wohl die Zeit für gekommen hält, die Empfängnisverhütung, die Zulassung verheirateter Männern zum Priesteramt, die Stellung geschiedener Wiederverheirateter oder die Zulassung nichtkatholischer Christen zur Eucharistie endlich „mit Mut anzugehen“.
Dass die Kirche dabei am besten auch noch ihr Umwelt-Profil verschärfen sollte, soll hier nicht vertieft werden. Denn es stimmt ja wirklich, Mut braucht die Kirche wirklich, gerade in Deutschland (oder Belgien). Sie ist in großer Not, wer wollte das bezweifeln. Sie liegt im Krankenbett. Doch nur wer ihr den Tod wünscht, kann ihr vorschlagen, in dieser Lage auf Unternehmensberater und andere Profis aus der Werbeindustrie zu hören statt auf Papst Benedikt XVI., den seligen John Henry Newman und andere todesmutige Heilige – oder auch nur auf den schlesischen Barockdichter Friedrich von Logau, der schon zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges erkannte: „In Gefahr und grosser Noth / Bringt der Mittel Weg den Tod.“

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