Gott mag keine Kopien

Papst Benedikt XVI. ist nicht wie Johannes Paul II.
Gott mag keine Kopien: Georg Gänswein

Rom (kath.net)
Papstsekretär Georg Gänswein hat vergangene Woche in Capri bei der Entgegennahme eines Preises für sein letztes Buch eine Rede gehalten. Die Rede im Wortlaut in voller Länge:

Ein Lustrum ist viel, ein Lustrum ist nicht viel; eine Zeitspanne von fünf Jahren ist lang, eine Zeitspanne von fünf Jahren ist nicht sehr lang. Über die Frage könnte man lange diskutieren und Argumente dafür oder dagegen finden. Am vergangenen 19. April waren es fünf Jahre, daß Kardinal Joseph Ratzinger zum Papst gewählt wurde und den Namen Benedikt XVI. annahm. Der fünfte Jahrestag seiner Wahl war der konkrete Anlaß für diese Veröffentlichung. Der tiefere Grund aber liegt in der Einladung, den Spuren des Heiligen Vaters zu folgen: an seinem Bischofssitz in Rom (urbi), auf seinen Apostolischen Reisen in Italien und in die verschiedenen Länder und Kontinente der Welt (orbi), und die Botschaft wahrzunehmen, die hinter den Ansprachen, Predigten, Schreiben und Katechesen steht. Aus dieser Sicht kann und muß die weltliche Zeit, chrònos, für alle zum chairòs, zu einer Zeit der Gnade, werden. Dann öffnet sich das Nachdenken über den temporalen Wert eines Zeitraums von fünf Jahren einer vollkommen neuen Dimension, die der Logik des mathematischen Rechnens entgeht.

Wer persönlich auf dem Petersplatz anwesend war oder über das Fernsehen den Moment verfolgte, als der weiße Rauch aus dem Kamin der Sixtinischen Kapelle der Welt einen neuen Papst ankündigte, wird niemals die Gefühle und die Aufregung vergessen, als der gerade gewählte Papst sich auf der Mittleren Loggia zeigte und in freier Rede die folgenden unvergeßlichen Worte an die Gläubigen richtete: »Nach dem großen Papst Johannes Paul II. haben die Herren Kardinäle mich gewählt, einen einfachen und bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn. Mich tröstet die Tatsache, daß der Herr auch mit ungenügenden Werkzeugen zu arbeiten und zu wirken weiß. Vor allem vertraue ich mich euren Gebeten an. In der Freude des auferstandenen Herrn und im Vertrauen auf seine immerwährende Hilfe gehen wir voran. Der Herr wird uns helfen, und Maria, seine allerseligste Mutter, steht uns zur Seite. Danke.«

Wasser ist auf der ganzen Welt immer dasselbe: es handelt sich immer um dieselbe Zusammensetzung von Wasserstoff und Sauerstoff. Und dennoch ist das Wasser überall anders. Warum? Weil das Wasser jedesmal von dem Boden, der es filtert, einzigartige Charakteristika annimmt. Das gilt auch für die Päpste. Sie erfüllen dieselbe Sendung und antworten auf denselben Ruf Jesu. Aber jeder antwortet mit der ihm eigenen Persönlichkeit und der eigenen einmaligen Sensibilität.

All das ist wunderbar schön: es ist ein Zeichen der Einheit in der Verschiedenheit; es ist ein Wunder der Neuheit in der Kontinuität; es ist das größte Zeichen für das, was im ganzen Leib der heiligen Kirche Christi geschieht, wo Neuheit und Kontinuität zusammengehen und unaufhörlich in Einklang gebracht werden. Papst Benedikt XVI. ist nicht wie Johannes Paul II., Deo gratias: Gott mag keine Wiederholungen und Fotokopien. Und Johannes Paul II. war nicht wie Johannes Paul I., Deo gratias, so wie Johannes Paul I. nicht genauso war wie Paul VI., Deo gratias, und Paul VI. war nicht so wie Johannes XXIII., Deo gratias. Und doch haben alle Christus leidenschaftlich geliebt und seiner Kirche treu gedient: Deo gratias quam maximas!

Aber – eine wahrlich einzigartige und erhebende Tatsache – Papst Benedikt XVI. wollte zuallererst vor der Welt seinem Vorgänger Verehrung erweisen; es ist ein Akt tiefer Demut, der erstaunt und gerührte Bewunderung hervorruft. Am 20. April 2005, am Tag nach der Wahl in das oberste Hirtenamt, sagte Benedikt XVI. in seiner Ansprache an die Kardinäle in der Sixtinischen Kapelle: »In diesen Stunden ist mein Inneres von zwei gegensätzlichen Empfindungen erfüllt. Einerseits ein Gefühl der Unzulänglichkeit und menschlichen Unruhe wegen der großen Verantwortung (…). Andererseits empfinde ich eine tiefe Dankbarkeit gegenüber Gott, der seine Herde nicht im Stich läßt, sondern sie die Zeiten hindurch unter der Führung derer leitet, die er als Stellvertreter seines Sohnes erwählt und als Hirten eingesetzt hat. Meine Lieben, trotz allem überwiegt in meinem Herzen diese tiefe Dankbarkeit für ein Geschenk der göttlichen Barmherzigkeit. Und ich betrachte diese Tatsache als eine besondere Gnade, die mir von meinem verehrten Vorgänger Johannes Paul II. erwirkt wurde. Mir scheint es, seine feste Hand zu fühlen, die meine Hand drückt; mir scheint es, seine lächelnden Augen zu sehen und seine Worte zu hören, die in diesem Augenblick besonders mir gelten: ›Hab keine Angst!‹«

Wie ehrlich und zugleich von Demut durchdrungen sind diese Worte! Es ist wirklich wunderbar, daß ein Papst der Fürbitte seines Vorgängers die erste Gnade seines Pontifikates zuschreibt: der Frieden des Herzens inmitten des unerwarteten Sturms der Gefühle. Papst Benedikt XVI. hat der Kirche und der Welt ein lehrreiches Beispiel eines pastoralen Stils gegeben: Wer einen kirchlichen Dienst beginnt – das ist seine Ermahnung –, darf die Spuren dessen, der vor ihm gearbeitet hat, nicht auslöschen, sondern er muß seine eigenen Fußstapfen demütig in die Spuren dessen setzen, der vor ihm gegangen ist und sich abgemüht hat. Wenn das immer so wäre, dann würde ein reiches Erbe an Gutem gerettet, das dagegen oft zerstört und verschwendet wird. Der Papst hat dieses Erbe angenommen und ist dabei, es mit der ihm eigenen demütigen und zurückhaltenden Art auszuarbeiten, mit seinen ruhigen und tiefen Worten, mit seinen abgewogenen, aber wirkungsvollen Gesten.

Benedikt XVI. hat bei seiner Amtseinführung am 24. April 2005 sehr klare Worte gebraucht: »Das eigentliche Regierungsprogramm aber ist, nicht meinen Willen zu tun, nicht meine Ideen durchzusetzen, sondern gemeinsam mit der ganzen Kirche auf Wort und Wille des Herrn zu lauschen und mich von ihm führen zu lassen, damit er selbst die Kirche führe in dieser Stunde unserer Geschichte.« Seit jenem Tag sind fünf Jahre vergangen. Für ein Pontifikat ist das sicher keine lange Zeit, aber doch ausreichend, um eine erste Bilanz zu ziehen. Wofür setzt sich Benedikt XVI. ein? Welche Botschaft will er den Menschen bringen, in Rom und in der Welt? Was bewegt ihn, und was hat er selbst zu bewegen vermocht?

Vor allem muß unterstrichen werden, wie sehr dieser Papst uns alle überrascht hat: zuallererst durch die Leichtigkeit, mit der er das Amt seines Vorgängers Johannes Paul II. übernahm und neu, aber ebenso kraftvoll interpretierte. Johannes Paul II. war der Papst der großen, unmittelbar ansprechenden Bilder; Benedikt XVI. ist der Papst des Wortes, der Macht des Wortes: Er ist mehr Theologe als Mann der großen Gesten; er ist ein Mann, der von Gott »spricht«.

Genauso haben wir bewundert, wie es dem ehemaligen Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre mit seiner Herzlichkeit und seiner spontanen und wahren Einfachheit mühelos gelingt, die Herzen der Menschen zu gewinnen. Unerwartet war auch der Mut, der das Pontifikat des deutschen Papstes ganz klar auszeichnet. Benedikt XVI. schreckt nicht vor Auseinandersetzungen und Debatten zurück. Er nennt die Defizite und Irrtümer der westlichen Welt beim Namen und kritisiert vorgeblich religiös begründete Gewalt. Er hört nicht auf, uns daran zu erinnern, daß man sich mit Relativismus und Hedonismus genauso von Gott abwendet wie mit dem Aufzwingen der Religion durch Drohungen und Gewalt. Im Zentrum seines Denkens steht die Frage nach der Beziehung zwischen Glaube und Vernunft, zwischen Religion und Gewaltlosigkeit.

Aus seiner Sicht wird die Neuevangelisierung Europas und der ganzen Welt nur dann möglich, wenn die Menschen begreifen, daß Glaube und Vernunft keine Gegensätze, sondern aufeinander angewiesen sind. Glaube, der nicht an der Vernunft Maß nimmt, wird selbst unvernünftig und unsinnig. Auf der anderen Seite reicht ein Vernunftbegriff, der nur das Meßbare anerkennt, nicht aus, um die gesamte Wirklichkeit zu verstehen. Die Vernunft muß Raum lassen für den Glauben, und der Glaube muß vor der Vernunft Rechenschaft ablegen, damit beide sich im begrenzten Horizont ihrer eigenen Ontologie nicht gegenseitig herabsetzen. Im Grunde geht es dem Papst darum, erneut den Kern des christlichen Glaubens zu betonen: die Liebe Gottes zu den Menschen, die im Kreuzestod Jesu und in seiner Auferstehung ihren unüberbietbaren Ausdruck findet. Diese Liebe ist das unveränderliche Zentrum, auf den das christliche Vertrauen in der Welt gründet, aber auch die Verpflichtung zur Barmherzigkeit, zur Nächstenliebe, zum Gewaltverzicht. Nicht ohne Grund trägt die erste Enzyklika von Papst Benedikt XVI. den Titel Deus caritas est, »Gott ist die Liebe«. Das ist ein klares Signal, ja mehr noch, ein programmatischer Satz seines Pontifikats. Benedikt XVI. will das Faszinosum der christlichen Botschaft hell erstrahlen lassen. Dies charakterisiert mehr als alles andere das Pontifikat des Theologen-Papstes. Aus seiner Sicht liegt hier die Kraft und auch die Zukunftsperspektive für den Glauben. Die Botschaft des Nachfolgers Petri ist ebenso einfach wie tief: Der Glaube ist nicht ein Problem, das man lösen müßte, sondern ein Geschenk, das es Tag für Tag neu zu entdecken gilt. Der Glaube schenkt Freude und Erfüllung.

Aber der Glaube hat ein menschliches Gesicht: Jesus Christus. In ihm ist der verborgene Gott sichtbar, berührbar geworden. Gott in seiner unvorstellbaren Größe schenkt sich selbst in seinem Sohn. Es drängt den Papst, den menschgewordenen Gott »urbi et orbi« zu verkünden, den Großen und den Kleinen, den Mächtigen und den Ohnmächtigen, in der Kirche und darüber hinaus, sei es gelegen oder ungelegen. Und auch wenn alle Augen und Kameras auf ihn gerichtet sind, geht es nicht um ihn. Der Heilige Vater stellt nicht sich in den Mittelpunkt; er verkündet nicht sich selbst, sondern Jesus Christus, den einzigen Erlöser der Welt.

Wer mit Gott im Frieden lebt, wer sich mit ihm versöhnen läßt, der findet auch den Frieden mit sich selbst und mit den Menschen und der Schöpfung um ihn herum. Der Glaube hilft leben, der Glaube schenkt Freude, der Glaube ist ein großes Geschenk: Das ist die tiefste Überzeugung von Papst Benedikt. Für ihn ist es eine heilige Pflicht, Spuren zu legen, die zu diesem Geschenk führen. In Wort und Bild gibt das preisgekrönte Buch davon Zeugnis: Es soll ein Zeichen der Verehrung und der Liebe zum Heiligen Vater sein, ein kleines Werkzeug, ein ebenfalls bescheidenes, unvollständiges, aber durch die Macht der Bilder eindrückliches Instrument der Evangelisierung und der Dokumentation eines Zeugnisses, das »in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde« (Apg 1,8) zum Ausdruck kommt.

“Ein sanfter Papst Benedikt XVI., aber felsenfest in der Sache”

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