Das fünfte Gebot Gottes

Das Heilige Gesetz Gottes
“Wenn du das Leben erlangen willst, halte die Gebote” (Mt 19.17): Evangelium und Gebot

“Es kam ein Mann zu Jesus und fragte: Meister, was muß ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen?” (Mt 19.16) Jesus antwortete: “Wenn du das Leben erlangen willst, halte die Gebote” (Mt 19.17) Der Meister spricht vom ewigen Leben, das heißt von der Teilhabe am Leben Gottes selbst. Dieses Leben erlangt man durch die Einhaltung der Gebote des Herrn, also einschliesslich des Gebotes “du sollst nicht töten”. Genau dieses ist denn auch das erste der Zehn Gebote, an das Jesus den jungen Mann erinnert, der ihn fragt, welche Gebote er einhalten müsse: “Jesus antwortete: Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht stehlen…” (Mt 19.18)

Gottes Gebot ist niemals getrennt von seiner Liebe: es ist stets ein Geschenk zu Wachstum und Freude des Menschen. Als solches stellt es einen wesentlichen Aspekt und ein unverzichtbares Element des Evangeliums dar, ja, es nimmt selbst Gestalt an als “Evangelium”, das heißt als frohe Botschaft. Auch das Evangelium vom Leben ist für den Menschen ein grosses Gottesgeschenk und zugleich eine verpflichtende Aufgabe. Es weckt beim freien Menschen Staunen und Dankbarkeit und erfordert, mit lebendigem Verantwortungsbewusstsein angenommen, bewahrt und erschlossen zu werden: Gott fordert vom Menschen, dem er das Leben schenkt, dass er es liebt, achtet und fördert. Auf diese Weise wird das Geschenk zum Gebot, und das Gebot selbst offenbart sich als Geschenk.

Der Mensch, lebendiges Abbild Gottes, war von seinem Schöpfer als König und Herr gewollt. “Gott hat den Menschen so gemacht — schreibt der hl. Gregor von Nyssa —, dass er seine Rolle als König der Erde erfüllt… Der Mensch ist nach dem Bild dessen geschaffen worden, der der Herrscher über das Universum ist. Alles weist darauf hin, dass sein Wesen von Anfang an vom Königtum gekennzeichnet ist… Auch der Mensch ist König. Geschaffen, um die Welt zu beherrschen, hat er die Ähnlichkeit mit dem universalen König empfangen, ist er das lebendige Abbild, das durch seine Würde an der Vollkommenheit des göttlichen Vorbildes teilhat”. Der Mensch, der aufgerufen ist fruchtbar zu sein und sich zu vermehren, sich die Erde zu unterwerfen und über die anderen Geschöpfe zu herrschen (vgl. Gen 1, 28), ist nicht nur König und Herr über die Dinge, sondern auch und vor allem über sich selbst und in gewissem Sinne über das Leben, das ihm geschenkt wird und das er durch den in Liebe und in der Achtung vor Gottes Plan vollzogenen Zeugungsakt weitergeben kann. Bei seiner Herrschaft handelt es sich jedoch nicht um eine absolute, sondern um eine übertragene; sie ist realer Widerschein der alleinigen und unendlichen Herrschaft Gottes. Darum muss sie der Mensch durch Teilhabe an der unermesslichen Weisheit und Liebe Gottes mit Weisheit und Liebe leben. Und das geschieht durch den Gehorsam gegenüber seinem heiligen Gesetz: ein freier und froher Gehorsam (vgl. Ps 119 1), der aus dem Bewusstsein erwächst und genährt wird, daß die Gebote des Herrn ein Gnadengeschenk sind und dem Menschen immer nur zu seinem Besten um des Schutzes seiner persönlichen Würde und der Erreichung seines Glücks willen anvertraut werden.

Wie schon in bezug auf die Sachwelt, so gilt noch mehr in bezug auf das Leben, daß der Mensch nicht absoluter Herr und unanfechtbarer Schiedsrichter ist, sondern — und darauf beruht seine unvergleichliche Größe — “Vollstrecker des Planes Gottes”.

Das Leben wird dem Menschen anvertraut als ein Schatz, den er nicht zerstreuen, als ein Talent, das er wirtschaftlich verwalten soll. Darüber muß der Mensch seinem Herrn Rechenschaft ablegen (vgl. Mt 25, 14-30; Lk 19, 12-27).
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