Islamexperte P. Samir
Islamexperte P. Samir: “Ist das noch Islam?”
Päpstlicher Rat für den Interreligiösen Dialog
Die Gräueltaten der Anhänger des “Islamischen Staat” im Irak markieren einen Tiefpunkt in der Geschichte des Islam. Das sagt der Islamexperte und Vatikanberater Samir Khalil Samir SJ im Interview mit Radio Vatikan.
“Wir haben jetzt die grausamste Bestialität in der Geschichte des Islam erreicht. Wir waren noch nie an einen solchen Punkt der Barbarei. Die Frage ist: Ist das der Islam? Oder ist das eine Abweichung? Sicher liegt der Ausgangspunkt in der islamischen Tradition. Auf der anderen Seite kann man sicher nicht sagen, dass das der Islam sei.”
Für die IS-Extremisten seien freilich jetzt alle Menschen, die nicht dem angeblich “wahrhaftigen Islam” angehörten, zur Zielscheibe geworden. Die Rede von den “Ungläubigen” sei im Islam nichts Neues, so Samir. Sie werde von den Dschihadisten aber nun missbraucht. Diese Tendenz habe man schon im Syrien-Krieg beobachten können.
“Der Krieg in Syrien war am Anfang ein Krieg von Syrern, die gegen ein diktatorisches Regime protestierten. Doch sehr schnell – schon zwei Monate später – sind Protagonisten aus der ganzen islamischen Welt hinzugekommen, insbesondere von der arabischen Halbinsel, um als Schiiten Krieg zu führen gegen die machthabenden Alawiten. Das Problem liegt also von Anfang an innerhalb des Islam, denn was immer wiederkehrt: ‘Wer nicht dem authentischen Islam angehört, muss entfernt werden‘. Das ist der (arabisch-islamische Rechtsbegriff) ‘Kafir‘, ein Begriff, der für ‘Ungläubige‘ benutzt wurde, doch jetzt ausgeweitet wurde. Den anderen mit ‘Kafir‘ zu bezeichnen, zu sagen, dass ein anderer kein echter Moslem ist und entfernt werden muss, ist eine der Plagen des modernen Islam.”
Der Traum von einem islamischen Gottesstaat, den die Dschihadisten jetzt Länder übergreifend verwirklichen wollen, sei ein Irrweg, der auch in der islamischen Welt auf Kritik stosse, so der ägyptische Jesuit weiter:
“Die grossen Denker sind dagegen. Das Drama ist, dass die Muslime es nicht wagen, Selbstkritik zu üben: Das Volk folgt schweigend.”
Für Pater Samir liegen die Ursachen des rücksichtslosen Willens der Extremisten zur kulturellen und politischen Macht und die verfälschenden Interpretation des Islam in einer tiefen Krise der islamischen Welt: Armut und Unkenntnis leisteten einer Verfälschung religiöser Dogmen Vorschub. Hier braucht es einen Prozess der Reifung innerhalb des Islam: Hin zu einer “Universalistischen Sichtweise“, wie Samir formuliert, in der die Menschenrechte als schützenswert erkannt und verteidigt würden – und zwar von der islamischen Mehrheit: Die breite Masse müsse jetzt klar gegen Fanatismus und Gewalt Position beziehen, fordert der Experte. Dies habe auch der Vatikan in seiner jüngsten Anklageschrift gegen den islamistischen Terror im Irak rigoros eingefordert, lobt Samir. Der Päpstliche Rat für Interreligiösen Dialog hatte am 12. August zu einer einstimmigen Verurteilung der “unsäglichen“ Verbrechen im Irak aufgerufen und dabei keinen Blatt vor den Mund genommen. Dazu der Jesuit:
“Das ist das deutlichste Dokument, das ich kenne. Es verwendet keine diplomatischen Ausdrücke: Es ist ausgewogen, aber stark. Es sagt: Bis wann wollt ihr schweigen? Und dass die Imame sprechen sollen! Und nicht nur die Imame: die Masse, das islamische Volk, muss auf die Strasse gehen, wenn es um eine politische Sache geht, die sich gegen andere wendet.”
rv 23.08.2014 pr
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