“Niemand kann uns zum Hass zwingen”
Trotz des Gaza-Kriegs: Palästinensische Christen setzen sich für Frieden und Versöhnung ein
Tent of Nations
– Zu Besuch bei “Tent of Nations” . Von Oliver Maksan
Bei Bethlehem, Die Tagespost, 23. Juli 2014
Der Ausblick ist atemberaubend. Vom Kamm des judäischen Gebirges aus kann man über die abfallenden Ebenen weg bis hin zum Mittelmeer sehen. Das Heilige Land liegt einem zu Füssen. “Gaza und die umliegenden israelischen Orte wirken bei klarer Sicht so nah”, sagt Daoud Nassar, als er von der Terrasse seines Hauses aus die Gegend erklärt. “Es ist herzzerreissend sich vorzustellen, wie die Menschen dort derzeit leiden.”
Der Palästinenser in seinen Vierzigern ist evangelisch-lutherischer Christ. So entrückt sein Bauernhof mit seinen Olivenhainen und Weinbergen hoch auf einem Hügel südwestlich von Bethlehem zu liegen scheint: Er liegt dennoch inmitten des israelisch-palästinensischen Konflikts. Erst im Mai hat er das wieder zu spüren bekommen. Da rückte die Armee an und zerstörte über tausend seiner Obstbäume. “Wir sind hier von israelischen Siedlungen umgeben. Auf jedem umliegenden Berg liegt eine andere und wir mitten drin. Das stört die Israelis. Wir sind ein strategisches Hindernis”, so Daoud.
Sein Hof liegt im sogenannten C-Gebiet. So heisst die im Zuge der Oslo-Verträge eingerichtete Zone des besetzten Westjordanlandes, wo die israelische Armee anders als in den von der Palästinensischen Autonomiebehörde verwalteten A- und B-Gebieten vollständige militärische und zivile Kontrolle ausübt. “Seit Jahren wollen sie uns von hier weghaben. Sie versuchen es mit Geld, Gewalt und juristischem Druck.” Einmal seien Siedler gekommen und hätten ihm einen leeren Scheck vorgelegt. “Ich sollte für unser Land eine Summe meines Beliebens eintragen. Aber ich habe das natürlich abgelehnt.” Auch physische Gewalt wandten die Siedler schon an. Über 200 Obst- und Olivenbäume haben sie dabei zerstört. Doch Daoud liess sich auch davon nicht entmutigen. Mit Hilfe von Spendern setzte er daraufhin 250 neue Bäume ein.
Die Armee wiederum versucht, Daoud von allen öffentlichen Leistungen wie Anbindung an das Strom- und Wassernetz abzukoppeln. Anträge auf Baugenehmigungen werden von den Militärbehörden stets abgelehnt. Notgedrungen ohne Erlaubnis erbaute Gebäude wurden umgehend abgerissen. Immer wieder wurde auch versucht, Strassen durch den Grund der Familie zu ziehen, erfolglos bislang. Vor allem aber macht ihm zu schaffen, dass die Armee die Rechtmässigkeit der Besitzansprüche Daouds und seiner Familie anzweifelt. “Mein Grossvater hat dieses Gebiet hier 1916, also noch zu osmanischen Zeiten, erworben. Anders als viele andere Palästinenser hat er den Grund aber zum Glück ordentlich vermessen und registrieren lassen. Als die Israelis 1991 unseren Besitz konfiszieren wollten, weil er angeblich auf öffentlichem Land liegt, waren sie geschockt, als sie unsere Papiere sahen.” Doch die Militärgerichte begannen einen juristischen Abnutzungskrieg. “Sie zweifelten die Grundstücksgrenzen an, gaben uns aber nicht die Möglichkeit, das Gebiet neu vermessen zulassen. Seit 1991 prozessieren wir. Das hat uns bisher über 170 000 Dollar gekostet. Zum Glück werden wir von Spendern aus aller Welt unterstützt, sonst könnten wir uns das gar nicht leisten.”
Nach Jahren relativer Ruhe ging es jetzt wieder los. Ende Mai rollten Bulldozer an und zerstörten eine Woche vor der Aprikosenernte über tausend Bäume auf dem Grund Daouds. “Eine Woche zuvor hatten sie einen Erlass auf unseren Obstfeldern hinterlassen, wonach die Bäume illegal auf Staatsland stünden. Wir haben sofort Einspruch eingelegt. Als die Bäume zerstört wurden, lief das Verfahren noch. Die Zerstörung war also selbst nach israelischem Militärrecht illegal, denn auch das gestattet nicht, während eines laufenden Prozesses einzugreifen. Wir haben natürlich sofort auf Schadensersatz geklagt.”
Trotz all der Jahre des Kampfes: Daoud will nicht aufgeben. “Sicher, die Lage ist schwierig und ungerecht. Aber ich sehe es als meine Lebensaufgabe an, das Land für mich und meine Kinder zu schützen.” Dabei verhehlt er nicht, dass ihm seine Probleme und die des Heiligen Landes insgesamt zu schaffen machen. “Es ist schrecklich, das unschuldige Leid in Gaza zusehen. Das deprimiert.” Aber er will dem Kreislauf der Frustrationen entkommen, wie er es nennt. “Der Hass wird eher uns als die anderen zerstören. Niemand kann uns zwingen zu hassen. Das Evangelium hilft mir, die Hoffnung auf ein Ende des dunklen Tunnels nicht zu verlieren.”
2004 entschied er sich, seine aus dem Glauben geborenen Visionen in die Tat umzusetzen. Das Begegnungs- und Verständigungsprojekt “Tent of Nations, Zelt der Völker” war geboren. “Ein Olivenbaum wächst nicht von oben nach unten. So ist das auch mit dem Frieden. Er kommt nicht durch einen Handschlag der Politiker. Er muss von unten wachsen, will er Wurzeln fassen.”
Zielstrebig hat er mit der Unterstützung ausländischer Spender seither seinen Bauernhof zu einem Ort der Begegnung ausgebaut. Lokale und internationale Gruppen treffen sich hier, um sich kennenzulernen. Volontäre aus aller Welt helfen dabei, die Einrichtung zu unterstützen. Auch die Konfliktparteien finden sich auf Daouds Hof ein. “Es waren schon auch Siedler aus den umgebenden Siedlungen hier. Sie waren erstaunt: Wie, ihr habt kein Wasser, während wir Swimming-Pools haben?”, erzählt er über den Besuch einer Siedlerin vom Hügel gegenüber. “Sie war auch ganz überrascht, als sie meine Kinder spielen und singen sah wie ihre eigenen. Sie hat offenbar geglaubt, dass wir Ausserirdische sind, obwohl uns nur ein paar hundert Meter Luftlinie trennen.” Einige Siedler hätten durch die Begegnung mit Daoud Zweifel an ihrer Lebensweise bekommen. “Ein Siedler aus einer Siedlung nahe Jerusalem hat seinen Ort sogar verlassen, weil er eingesehen hat, dass es unmoralisch ist, auf dem Land anderer Leute zu leben.”
Zur tätigen Busse quasi habe er dann, so Daoud, mobile Toiletten für die Begegnungsstätte gespendet. In Bälde kommt eine Gruppe amerikanischer Juden, um sich ein Bild von der Lage im Westjordanland zu machen. “Es kommen nicht nur solche, die ohnehin auf unserer Seite sind. Immer wieder sind auch Menschen darunter, die gerne ihre Vorurteile vom feindseligen Araber bestätigt sehen würden. Die Israelis und Juden sollen aber sehen, dass wir keine Hamaskämpfer mit furchterregender Maske sind, sondern Menschen mit Träumen.” Auch palästinensische Schulklassen, die Mehrheit Muslime, kommen auf den Hof, um sich zu erholen und von der Friedensvision Daouds und seiner Familie zu hören.
“Natürlich müssen beide Seiten aufeinander zugehen. Aber man darf nicht übersehen, wer Besatzer und wer Besetzter ist. Die Israelis müssen einsehen, dass sie den Palästinensern Unrecht antun. Ein moralisches Umdenken muss am Anfang stehen. Dann kann man kreativ und auf Augenhöhe über eine Lösung des Konflikts nachdenken. Derzeit wird das Pferd aber von hinten aufgezäumt. Wir beginnen falsch und enden daher auch falsch. Solange sich das nicht ändert, wird es auch immer wieder Konflikte wie derzeit in Gaza geben.”
Doch Daoud will es nicht nur bei Begegnungsprojekten belassen. Sein Traum ist es, auf seinem Hof eine Berufsschule für Palästinenser zu gründen. Alternative Landwirtschaft und erneuerbare Energien sollen dabei im Mittelpunkt stehen. “Das Land ist nichts wert ohne die Menschen, die darauf leben. Sie muss man entwickeln und ihnen eine Perspektive für die Zukunft geben. Wir wissen, dass es dafür einen langen Atem braucht. Aber der christliche Glaube steht im Zentrum unserer Arbeit. Er hilft uns, voranzuschreiten. Ohne Glaube, Hoffnung und Liebe wäre unmöglich, was wir machen.”
Wenn man sich wieder einmal die Ereignisse der letzten Jahrzehnte in Erinnerung ruft, z.B. mit Hilfe folgender Zusammenfassung http://www.journal21.ch/wohin-steuert-israel ,
dann kann man nur traurig an die vielen unglücklichen Menschen denken, welche im Hl. Land leben. Über die vielen traurigen Schicksale, Todesopfer auf palästinensischer Seite, und traurig darüber, dass das starke, übermächtige-dominierende Israel nicht in der Lage ist, eine gute Lösung für alle Bewohner im Hl. Land zu finden. Wer sollte sonst eine gute Lösung finden? Es gibt ja auch jüdische Personen, welche eine akzeptable Lösung für alle finden möchten. Hass bringt auf beiden Seiten nichts. Ich finde, dass heute fast alle Palästinenser verzweifelt sind.