Kirche fordert kein Ehemartyrium

‘Trennung bei bleibendem Eheband’

Quelle

Müssen beispielsweise Frauen und Kinder die Tyrannei alkoholabhängiger, kriminell gewordener, gewalttätiger oder drogenkonsumierender Männer geduldig zu ertragen? Ein Gastkommentar von Michael Gurtner

Salzburg, kath.net, 31. März 2014

Es ist ein weitverbreiteter Irrtum unter der katholischen Bevölkerung, die Kirche würde von ihren Gläubigen gleichsam bedingungs- und unterschiedslos das Fortführen der Ehe verlangen, auch wenn diese unheilbar zerrüttet ist.

Mitunter ist man gar der Meinung, der Kirche wären dabei besonders auch die Frauen und Kinder gleichgültig, welche die Tyrannei beispielsweise alkoholabhängiger, kriminell gewordener, gewalttätiger oder drogenkonsumierender Männer geduldig zu ertragen hätten. Dieser Vorstellung begegnet man immer wieder, doch sie wirft nur ein Licht auf die traurige Situation dessen, wie es um das Wissen um die kirchliche Ehelehre bestellt ist. Um diesem Mangel, welcher aus Unwissen und Vorurteil die Kirche zu Unrecht einer Sache beschuldigt, welche sie gar nicht lehrt oder verlangt, ein wenig entgegenzuwirken, seien hier einige Worte auf die Thematik verwendet.

A. Die Kirche fordert kein Ehemartyrium

Die göttliche und von seiner Kirche getreulich umzusetzende Lehre von der Unauflöslichkeit der gültig geschlossenen und vollzogenen Ehe steht ausser Diskussion und ist nicht änderbar, weil der Herrgott über Papst und erst recht über einem Konzil steht. Von daher gibt es keine weltliche oder geistliche Institution auf Erden, welche die Ehedogmatik eine, “veränderten Empfinden der Zeit“ anpassen könnte. Innerhalb der göttlichen Vorgaben ist die Ehethematik jedoch reichlich komplex und besonders in den konkreten Einzelfällen ist sorgsam darauf zu achten, die Ehe nicht nur unter pastoralen oder (zivil)rechtlichen Aspekten zu bedenken, sondern bei dem Suchen nach konkreten Lösungen auch den dogmatischen Vorgaben zu entsprechen, welche im kirchlichen Eherecht in ihren Grundzügen zusammengefasst sind, und deren Umsetzung die eigentliche Pastoral darstellt.

Als Ausgangspunkt unserer nachfolgenden kirchenrechtlichen Überlegungen soll uns die einfache Feststellung dienen: “Die Kirche fordert von niemandem das Ehemartyrium!“

So sehr die Kirche auch an der Unauflöslichkeit des Ehebandes, sowie an der Unmöglichkeit bigamstischer Verbindungen festhalten muss, wie sie etwa beim Eingehen einer sogenannten “Zweitehe“ eintreten würde, so ist sie sich ebenso im Klaren darüber, wie unvorhergesehen und unabwendbar Situationen eintreten können, welche das konkrete Fortführen des ehelichen Lebens unmöglich oder unzumutbar machen. Das Eheleben kann für einen oder beide der beiden Eheleute unzumutbar werden, aber auch für die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder, welchen der Kirche eine besondere Sorge gilt. Das Eintreten einer derartigen Situation ist unter anderem im Katechismus der Katholischen Kirche eingeräumt. Unter Nummer 1649 steht geschrieben: “Es gibt jedoch Situationen, in denen das eheliche Zusammenleben aus sehr verschiedenen Gründen praktisch unmöglich wird. In diesen Fällen gestattet die Kirche, dass sich die Gatten dem Leib nach trennen und nicht länger zusammenwohnen. Die Ehe der getrennten Gatten bleibt aber vor Gott weiterhin aufrecht; sie sind nicht frei, eine neue Ehe zu schliessen. In dieser schwierigen Situation wäre, falls dies möglich ist, die Versöhnung die beste Lösung.”

Das Eheband bleibt also bestehen, doch die physische Trennung ist gestattet. Das Kirchenrecht nennt diese Situation eine “Trennung bei bleibendem Eheband“, besser bekannt ist jedoch der treffliche Terminus “Trennung von Tisch und Bett“. Diese kann entweder dauerhaft, oder vorübergehend sein.

B. Ehebruch ist ausdrücklich als ein Grund anerkannt, das eheliche Fortleben zu unterbrechen

Ehegatten haben nicht nur das Recht ein eheliches Leben zu führen, sondern auch die Pflicht. Das bedeutet, ein Ehegatte hat nicht nur die schwere Verpflichtung ein eheliches Leben zu führen, sondern auch das Recht, darin nicht gestört und nicht gehindert zu werden. Dieses Recht kann er gegenüber allen natürlichen und nichtnatürlichen Rechtspersonen geltend machen, auch gegenüber seinem eigenen Ehepartner, ja sogar gegenüber der Kirche und deren Vertretern.

Allerdings kann es rechtmässige Gründe geben, welche von der prinzipiell bestehenden Pflicht entbinden, während das Recht freilich unangetastet bleibt, solang es nicht mit einem entstandenen Recht auf Trennung des anderen Ehepartners in Konkurrenz tritt. Es können nämlich Situationen eintreten, in welchen die Suspension des ehelichen Zusammenlebens zu einem wirklichen Recht wird. Das Kirchenrecht sagt dazu: “Die Ehegatten haben die Pflicht und das Recht, das eheliche Zusammenleben zu wahren, ausser ein rechtmässiger Grund entschuldigt sie davon“ (Can. 1151).

Bezüglich dem “gerechten Grund“ ist in besonderer Weise freilich an jene Situationen zu denken, welche mit einer Gefahr an Leib oder Seele für den anderen Ehepartner oder die Kinder verbunden sind. Dies kann etwa sein, wenn ein Ehepartner schlägt, gewalttätig wird, sich in seinem Charakter gefährlich ändert, Drohungen ausspricht (besonders wenn dies wiederholt vorkommt) oder tätlich bedroht, ein schlechtes Beispiel gibt welches auf die Gesundheit der Seele und der Entwicklung negativ wirkt, sexuelle Gewalt oder Ausbeutung, auch Feindseligkeit gegen den Glauben und Verhinderung der religiösen Praxis etc. Dies sind sicherlich die vorrangigen Gründe, welche willentlich oder unwillentlich gegen das Wohl physischer Personen gerichtet sind. Die Kirche anerkennt die Unmöglichkeit des Fortdauerns eines weiteren Zusammenlebens, weil sie nicht das Wohl des Menschen gefährdet, indem sie ein “Eheleben um jeden Preis“ bis zum Martyrium fordert.

Neben den Delikten gegen physische Personen anerkennt die Kirche jedoch auch die Delikte, die direkt gegen das Eheband gerichtet sind. Damit ist auch Ehebruch ein Grund, den man für eine Trennung von Tisch und Bett geltend machen kann. Die Kirche empfiehlt zwar eine Versöhnung, aber sie verpflichtet nicht dazu und räumt dem betrogenen Partner die Möglichkeit ein, ein Verzeihen und Fortführen des Ehelebens zu verweigern. Im Fall eines Vergehens gegen das Eheband kann dies jedoch dann nicht als Trennungsgrund gelten, wenn der betrogene Ehepartner dem Ehebruch entweder zugestimmt hat, oder selbst ehebrecherisch geworden ist. In diesem Fall ist eine Aussetzung des ehelichen Zusammenlebens nicht gerechtfertigt. Can 1152 §1 besagt dazu: “Mag es auch nachdrücklich empfohlen sein, dass ein Ehegatte, bewogen von christlicher Nächstenliebe und aus Sorge um das Wohl der Familie, dem ehebrecherischen Partner Verzeihung nicht verweigert und das eheliche Zusammenleben nicht abbricht, so hat er doch das Recht, wenn er dessen Schuld nicht ausdrücklich oder stillschweigend verziehen hat, das eheliche Zusammenleben aufzuheben, ausser er hat dem Ehebruch zugestimmt oder dazu Anlass gegeben oder auch selbst Ehebruch begangen.“

Weil die Ehe als solche niemals eine rein private Angelegenheit ist, sondern als sakramentaler Stand immer auch die Kirche als solches betrifft, muss auch die Kirche zumindest in einem zweiten Moment in den Entscheid über eine (auf längere oder endgültige Dauer hin angelegte) Trennung mit einbezogen werden. Der unschuldige Ehegatte kann zwar sofort das eheliche Zusammenleben beenden und eine Trennung herbeiführen, muss aber innert Halbjahresfrist die erfolgte Trennung unter Angabe von Gründen bei der Diözese melden. Letztlich obliegt es nämlich der kirchlichen Autorität die Legitimation zu prüfen und gegebenenfalls zu billigen. In Paragraph 3 desselben Kanons heisst es hierzu: “Wenn der unschuldige Gatte von sich aus das eheliche Zusammenleben aufgehoben hat, soll er innerhalb von sechs Monaten der zuständigen kirchlichen Autorität den Trennungsgrund mitteilen; sie hat nach Prüfung aller Umstände zu erwägen, ob der unschuldige Gatte bewogen werden kann, die Schuld zu vergeben und die Trennung nicht auf immer fortzusetzen“.

C. Trennung bei Gefahr für Leib und Seele

Die Delikte gegen das Eheband sind also wie gesagt auch ein prinzipiell legitimer Trennungsgrund für die Kirche, doch der noch akutere und eigentliche Bereich ist wohl jener der potentiellen oder aktuellen leiblichen, geistigen oder geistlichen Schädigung eines der Ehegatten oder aber der Kinder. Darunter fällt auch die Unerträglichkeit des ehelichen Zusammenlebens, wobei jedoch unbedingt zu prüfen ist, ob eine solche wirklich und objektiv gegeben ist, oder ob es nur ein Vorwand ist: die schlechten Kochkünste der Frau oder die Fussballbegeisterung des Mannes sind sicherlich nicht als hinreichende Gründe zu erachten.

Besteht eine Gefahr für Leib oder Seele, so kann auch hier legitimer Weise sofort auf eigene Initiative eines der Ehegatten die Trennung vollzogen werden. Das Kirchenrecht nennt hierbei ausdrücklich auch die Kinder: nicht nur wenn das Wohl eines Ehegatten in Gefahr ist kann eine Trennung erfolgen, sondern auch falls für die Kinder Gefahr im Verzug ist. Handelt es sich nicht um eine unmittelbar gefährliche Situation, so soll die kirchliche Autorität bereits im Vorfeld konsultiert werden, da eine ordentliche Trennung von Tisch und Bett per Dekret des Ortsordinarius erfolgt. Doch auch hier gilt: aus gerechten Gründen, etwa bei einer akuten oder anhaltenden Gefährdung, kann die Entscheidung einstweilig auch selbst gefällt werden, bevor das Ansuchen um das entsprechende Dekret bzw. die vorangehende Prüfung des Falles gestellt wird. Kanon 1153 § 1 sagt hierzu: “Wenn einer der Gatten eine schwere Gefahr für Seele oder Leib des anderen Gatten oder der Kinder herbeiführt oder auf andere Weise das gemeinschaftliche Leben unerträglich macht, gibt er dem anderen einen rechtmässigen Grund, sich zu trennen, und zwar auf Grund eines Dekrets des Orts Ordinarius und, wenn Gefahr im Verzug ist, auch kraft eigener Entscheidung“.

Fällt der Trennungsgrund weg, so ist für gewöhnlich auch keine Basis mehr gegeben für die Legitimität der Trennung, wobei es Situationen geben kann, in welchen auch nach Wegfall des Trennungsgrundes dieser derart nachhaltige Folgen hat, dass die Nachwirkungen die Trennungslegitimation weiterhin aufrecht erhalten, sei es auf Zeit oder auf Dauer. Deshalb sagt Paragraph 2 des Kanons: “In allen Fällen ist nach Wegfall des Trennungsgrundes das eheliche Zusammenleben wiederherzustellen, wenn nicht von der kirchlichen Autorität etwas anderes verfügt ist.“

“Nach erfolgter Trennung der Ehegatten muss immer in geeigneter Weise für den nötigen Unterhalt und die Erziehung der Kinder gesorgt werden“ (Can 1154).

D. Abschliessende Anmerkungen

Zum Abschluss müssen wir noch einige Aspekte hervorheben. Besonders ist darauf zu bestehen, die Trennung (auch wenn sie dauerhaft ist) nicht mit einer Scheidung zu verwechseln, die es nicht gibt. Das Rechtsinstitut der Trennung von Tisch und Bett ist vielmehr als eine besondere Form der Eheführung für eine besondere Ehesituation zu sehen. Das leibliche Zusammenleben ist auf Grund der Umstände vielleicht nicht möglich ohne ein hohes Ehegut, nämlich jenes des Gattenwohles, nicht zu gefährden. Deshalb “dispensiert“ die Kirche unter besonderen, legitimen Umständen von diesem einen, wenngleich zentralen Aspekt der Eheführung, aber nicht von der Ehe als solches. Die Ehe wird bei der Trennung von Tisch und Bett freilich nicht aufgelöst sondern bleibt bestehen und wird in den anderen Aspekten fortgeführt, auch wenn es kein Zusammenleben mehr gibt. Deshalb kann es auch keine neue Ehe geben, weder kirchlich noch zivil, und selbstverständlich auch kein Zusammenleben mit einem anderen Partner. Ansonsten bleibt alles wie es ist: auch wer getrennt lebt darf zur Hl. Kommunion gehen, auch die übrigen Sakramente empfangen und Patenämter oder kirchliche Ämter übernehmen. Er führt seine Ehe in den Augen der Kirche gleichsam auf Distanz, weil es die Umstände so erfordern, aber er führt dennoch die Ehe weiter und muss auf diese Weise auch dem eigenen Ehepartner treu bleiben, selbst wenn dieser untreu ist – denn die Treue gegenüber dem untreuen Partner spiegelt das Verhalten des treuen Gottes gegenüber dem untreuen Menschen wieder.

Mag. theol. Michael Gurtner ist katholischer Theologe aus der Erzdiözese Salzburg

kath.net-Buchtipp

Sauerteig der Welt. Zwischenrufe aus dem Herzen der Kirche
Von Michael Gurtner
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