Ein Abenteuer des Geistes

“Benedikt XVI. ist nach wie vor sehr an der Entwicklung der Kirche interessiert”

Die Tagespost, 10. Februar 2014, von Guido Horst

Benedikt XVI. ist nach wie vor sehr an der Entwicklung der Kirche interessiert, verfolgt besonders die Lage in Deutschland – und gibt hin und wieder Franziskus einen Rat. Der Nachfolger sieht in seinem Vorgänger so etwas wie einen “Grossvater”, der ihm – abgesehen vom Gebet – mit seiner ganzen Erfahrung zur Verfügung steht. Wie schätzt der emeritierte Papst heute jenen 11. Februar vor einem Jahr ein, als er die sensationelle Ankündigung seines baldigen Rücktritts verlas?

Benedikt XVI. dürfte zufrieden, ja sogar ein wenig glücklich sein, dass sich die Stimmung sehr zugunsten der Kirche gewandelt hat. Man denke jetzt nicht an Deutschland, wo die Bischöfe mit Weltbild, dem Fall Limburg, der anstehenden Wahl eines Konferenzvorsitzenden und der Erregung über den Ausgang der Befragung zu Ehe und Familie eher ein düsteres Panorama vor sich haben. Man denke an die Weltkirche, die in Franziskus einen Papst des Aufbruchs sieht. Das ist unverkennbar. Die düsteren Wolken, die Vatileaks und die Missbrauchsskandale hatten heraufziehen lassen, sind wie weggeschoben. Da stört es auch kaum, dass eine Einrichtung der Vereinten Nationen nochmals alte ideologische Vorurteile gegen die römische Kirchenführung aus der Schublade zieht. Franziskus kann einfach auf einen Stimmungs-Bonus setzen, den sein Vorgänger nicht hatte. Der Lateinamerikaner setzt alles daran, der Kirche wieder ein gewinnendes Gesicht zu geben. Diesen Aufbruch hat Benedikt XVI. mit seinem Rücktritt möglich gemacht. Darüber kann er sich freuen.

Franziskus hat im ersten Jahr seines Pontifikats eine ungeheure Aktivität entwickelt. Viel verändert hat er nicht. Aber er hat Baustellen eröffnet. Vor allem in Rom hat man das Gefühl, dass die gesamte Kurie auf dem Prüfstand steht – und keiner ahnt, was dabei herauskommen wird. Da man bei einem Jesuiten nie im Letzten weiss, was er im tiefsten Inneren denkt, weiss auch niemand, wie die Reform der Kurie enden wird, die sich schon längst zu einer Reform der ganzen Kirche ausgewachsen hat: Heraus aus den verkrusteten Strukturen, hin zu den Menschen, hin zu den Armen und Notleidenden in den Randgebieten der menschlichen Existenz. Für Franziskus ist die Kirche ein Feldlazarett, wo die Sorge um die Seelen vor Ort auch einmal dazu führen kann, dass ein kleiner Unfall geschieht. Diese Unsicherheit wird auch Benedikt XVI. spüren – und die Gefahr, dass die Stimmung kippen wird, wenn die Medien erleben, dass Franziskus genau jene “Reformen” nicht anpackt, die die Welt und auch manche Kirchenleute von ihm erwarten. Franziskus wird das Katholische nicht neu erfinden. Im Grunde will er das, was auch Joseph Ratzinger wollte: Zurück zum Kern, zurück zum Wesentlichen des christlichen Glaubens. Dennoch ist es ein Abenteuer des Heiligen Geistes, in das Benedikt XVI. die Kirche vor genau einem Jahr gestürzt hat. Für Reformen und Neuaufbrüche gibt es keine Gebrauchsanweisung oder einen Masterplan. Da muss der Geist die Herzen erfüllen, vor allem die der Bischöfe – sonst endet alles in innerkirchlichem Aktivismus. Doch eines ist klar: Die Kirche lebt, und zwar ganz gewaltig.

Auch ein Verdienst von Papst Benedikt.

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