Alle haben Blut an den Händen
Auf den ersten Blick scheinen die Entwicklungen in Ägypten und in Syrien gegenläufig
Die Tagespost, 26. August 2013, von Stephan Baier
Auf den ersten Blick scheinen die Entwicklungen in Ägypten und in Syrien gegenläufig: In Kairo hat die alte Militär-Clique den demokratisch gewählten islamistischen Präsidenten weggefegt; in Damaskus ringt die alte Militär-Clique um Assad mit den grossteils eingeschleusten Islamisten seit zweieinhalb Jahren um die Macht. Die USA setzen im Fall Ägyptens auf ihre bewährte Allianz mit der Armee; im Fall Syriens setzen sie auf den Sturz des von der Armee getragenen Establishments, ohne Rücksicht darauf, was folgen könnte. Israel hält in Ägypten die Armeeherrschaft für das geringere Übel, setzt im Fall Syriens aber auf den Sturz Assads. Saudi-Arabien, die reichste Regionalmacht, zahlt in Ägypten für die Wiederherstellung des säkularen Regimes und den Sturz der Islamisten, in Syrien für den Sieg der Islamisten und den Sturz des säkularen Regimes.
Gleichzeitig gibt es erstaunliche Parallelen: Die ortsansässigen Christen bevorzugen in beiden Fällen die säkulare Diktatur gegenüber einem islamistischen Regime – mit oder ohne Wahlen. Ohne sich als Minderheit in einer muslimischen Mehrheitsgesellschaft Illusionen zu machen, ziehen die Christen in Ägypten wie in Syrien die ihnen seit langem vertrauten Beschränkungen und Nachteile einer politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Revolution vor, die von einem islamischen System – ob demokratisch legitimiert oder nicht – zu erwarten sind. In Ägypten wie in Syrien kann von einem “Arabischen Frühling” keine Rede sein: “Die Revolution ist gestohlen worden”, meinte ein koptisch-katholischer Bischof schon im April 2011 – in Ägypten von der Muslimbruderschaft, in Syrien von ausländischen Dschihadisten.
Und dann ist da noch eine folgenschwere Tatsache, die in Washington, London und Paris allzu gerne ignoriert wird: Der Westen kann durch eine militärische Intervention den Ausschlag für eine Seite geben, aber er hat keinen wirklichen Einfluss auf die weitere innere Entwicklung dieser Länder. Kein Wunder, dass jene Politiker und Kommentatoren, die mit moralgeschwellter Brust für ein militärisches Eingreifen im Irak und später in Libyen warben, uns das alltägliche Chaos, die Rechtsunsicherheit und den täglichen Terror in diesen Staaten heute nicht zeigen wollen. Sie müssten zugeben, dass sich für die Menschen im Irak wie in Libyen wenig verbessert und sehr viel verschlechtert hat.
Dasselbe gilt für Syrien: Eine von Amerika geführte “Koalition der Willigen” kann das unendliche Ringen um Syrien natürlich militärisch entscheiden. Doch beim Aufbau eines friedlichen, geordneten Rechtsstaates werden sich die Willigen von heute nicht nur als Unwillige, sondern auch als Unfähige erweisen.
Anders als in Ruanda einst versäumt und im Kosovo erfolgreich vollstreckt, geht es denen, die in Syrien militärisch intervenieren wollen, gar nicht darum, einen Völkermord zu verhindern. Es geht auch nicht darum, den “Guten” gegen einen Bösen zum Sieg zu verhelfen, denn alle Akteure haben Blut an den Händen – und keiner hat einen demokratischen Rechtsstaat europäischer Prägung im Sinn. Jenen, die heute zum Krieg gegen Assad trommeln, geht es nicht um Rechtsstaatlichkeit und Gemeinwohl in Syrien, sondern um einen geostrategischen Schachzug: Das Comeback der Generäle in Ägypten und der Sturz Assads in Syrien erweitern den Machtraum Saudi-Arabiens.
Schreibe einen Kommentar