Roncallis Doktrin und Montinis Vision

Friedens-Enzyklika “Pacem in terris” von Johannes XXIII.

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Vor genau fünfzig Jahren erschien die Friedens-Enzyklika “Pacem in terris” von Johannes XXIII.

Rom, Die Tagespost, 10. April 2013, von Guido Horst

Mit dem Koreaner Ban Ki Moon und dem Argentinier Jorge Mario Bergoglio sind vorgestern im Vatikan die höchsten Repräsentanten zweier Weltinstitutionen zusammengetroffen, von deren einvernehmlichem Zusammenwirken sich die Kirche vor Jahrzehnten noch viel erwartet hatte. Es war vor allem Paul VI., der die Vision hatte, die Vereinten Nationen und die katholische Weltkirche als eine Art “geistige UNO” könnten zu Führern der Menschheit auf dem Weg hin zu Friede und Entwicklung werden. Die Begegnung jetzt zwischen Papst Franziskus und dem Generalsekretär der Vereinten Nationen war herzlich, Ban Ki Moon sprach auch von “gemeinsamen Vorstellungen und Zielen” beider Seiten und lud den Papst zu einer Rede im Glaspalast der Vereinten Nationen in New York ein.

Aber allein schon die drei Konfliktgebiete, die während des vergleichsweise kurzen Treffen auf der Tagesordnung standen – Syrien, Nordkorea und die afrikanischen Unruhegebiete – zeigen die Bedeutungslosigkeit der Vision, die einst Papst Giovanni Battista Montini in den Nahen Osten reisen und ihn seinen historischen Besuch bei den Vereinten Nationen machen liess sowie Anstoss war für die vatikanische Ostpolitik in der Zeit des Kalten Kriegs.

Gerade der Fall Syrien hat soeben wieder gezeigt und zeigt es immer noch, wie ohnmächtig die Vereinten Nationen bei blutigen Auseinandersetzungen sein können. Das gilt auch für die katholische Kirche. Zwar kann sie durch ihre Bischöfe, ihre diplomatischen Dienste sowie einige Orden und Gemeinschaften vor Ort viel Gutes bewirken und Konfliktlösungen vorantreiben. Aber zu einer Führerin der Welt auf dem Weg zum Frieden ist sie nicht geworden. Doch Paul VI. war kein einsamer Visionär auf dem Papstthron. Seine Friedenspolitik hatte einen “geistigen Vater”. Und der war sein Vorgänger, Johannes XXIII., dessen grosse Friedens-Enzyklika “Pacem in terris” vor genau fünfzig Jahren, am 11. April 1963, erschienen ist.

Alle Päpste des zwanzigsten Jahrhunderts waren „Friedenspäpste“. Das gilt für Benedikt XV., der – erfolglos – den Ersten Weltkrieg zu verhindern suchte, das gilt auch für Pius XII., dessen Appelle – „Nichts ist mit dem Frieden verloren, mit dem Krieg kann alles verloren sein“ – vor und während des Zweiten Weltkriegs ebenfalls ungehört verhallten. Johannes Paul II. wurde sogar zu einem der Protagonisten in dem finalen Ringen zwischen den beiden Supermächten Vereinigte Staaten und Sowjetunion und trug bei zum Fall des Eisernen Vorhangs. Benedikt XVI. sah sich spätestens seit seiner Regensburger Vorlesung in die Unruhe in der islamischen Welt hineingestellt und es gelang ihm, einen dauerhaften katholisch-muslimischen Dialog zu installieren. Aber der selige Papst Angelo Roncalli war es, der mit „Pacem in terris“ so etwas wie die Friedens-Doktrin der katholischen Kirche entwickelt hat. Es war die letzte Enzyklika vor seinem Tod und die erste Enzyklika eines Papstes überhaupt, die sich nicht nur an den katholischen Erdkreis, sondern alle „Menschen guten Willens“ wandte.

Als „Pacem in terris“ erschien, hatten viele Zeitgenossen das Gefühl, nur sehr knapp einem Dritten Weltkrieg entgangen zu sein. Zwei Jahre zuvor hatte der Ostblock die Berliner Mauer hochziehen lassen. Und im Oktober 1962 hielt die Welt den Atem an und viele hatten Angst, dass die Kuba-Krise in einen atomaren Schlagabtausch münden würde. In dieser dramatischen Lage wollte der Papst in Rom nicht nur Appelle an die Weltpolitik richten, sondern eine Doktrin formulieren. Johannes XXIII. nahm die immer gültigen Normen des Naturrechts sowie die Prinzipien der katholischen Soziallehre und übertrug sie auf die politische Ordnung: zwischen den einzelnen Menschen, zwischen dem Staat und dem Einzelnen, zwischen den unterschiedlichen Staaten und zwischen dem einzelnen Staat und der internationalen Völkergemeinschaft. Die Enzyklika hatte grundsätzliche Passagen wie die über die unveräußerlichen Rechte und die Würde der einzelnen Person, stellte aber auch klare politische Forderungen, so die nach dem Ende des Rüstungswettlaufs zwischen Ost und West und der gebotenen Abrüstung und Zurückführung der Waffenarsenale.

„Pacem in terris“ spricht im vorletzten Kapitel von einer „Autorität der universalen politischen Gewalt“, die nach den Regeln des Subsidiaritätsprinzip dort eingreift, wo das „universale Gemeinwohl der Staatengemeinschaft“ auf dem Spiel steht, und weist diese Rolle den 1945 gegründeten Vereinten Nationen zu. Diese sollten „ihre Organisation und ihre Mittel immer mehr der Weite und dem hohen Rang ihrer Aufgaben anzupassen imstande sein, damit bald die Zeit komme, in der diese Vereinigung die Rechte der menschlichen Person wirksam schützen kann; Rechte, die deswegen allgemein, unverletzlich und unveränderlich sind, weil sie unmittelbar aus der Würde der menschlichen Person entspringen“. Das war die Hoffnung, die Johannes XXIII. erfüllte und die sich Paul VI. vehement zueigen machte.

„Pacem in terris“ ist Bestandteil der Verkündigung aller Päpste geworden und wurde immer wieder zitiert und weiter ausformuliert, so etwa in der dritten Enzyklika Benedikts XVI., „Caritas in veritate“. Als das grundsätzliche Wort der katholischen Kirche zu den Fragen von Krieg und Frieden wurde „Pacem in terris“ damals sehr zur Kenntnis genommen, nicht zuletzt vom sowjetischen Regierungschef Nikita Chruschtschow. Jetzt haben sich Ban Ki Moon und Papst Franziskus auf der Grundlage von „Pacem in terris“ getroffen: Die katholische Kirche hat mit dieser Enzyklika ein klares Wort zur nationalen und internationalen Friedensordnung gesprochen, das unveränderte Gültigkeit besitzt – so wie das auch für die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 gilt. Die Vision Pauls VI. von einer befriedeten Menschheit, die gemeinsam für Fortschritt und Entwicklung wirkt, ist in den zurückliegenden Jahrzehnten oft bitter und grausam enttäuscht worden. Und den Raubtierkapitalismus, der heute die Welt regiert, hätte sich Papst Montini wohl selbst im Traum nicht vorstellen können. Aber das Band hält noch zwischen Kirche und Vereinten Nationen, zwischen Papst und deren Generalsekretär, auch wenn es schwach und zart geworden ist.

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