Gastkommentar: Was zur DNA der Kirche gehört

Von Generalvikar Martin Grichting

Die Tagespost, 14. Januar 2013

Mit der “Pfarrei-Initiative” bekennen sich 490 katholische Kirchenmitarbeitende in der Deutschschweiz zu Verhaltensweisen, die der weltkirchlichen Lehre widersprechen. Laien, nicht geweihte Personen also, wollen Sakramente spenden und fordern das Frauenpriestertum sowie die Abschaffung des Zölibats. Auch wenn diese Initiative als Basisbewegung dargestellt wird: Sie kommt nicht aus dem Kirchenvolk, sondern von Mitarbeitern, die ein Problem haben mit theologischen Vorgaben der Weltkirche. Es geht also weniger um Reform als um Kompetenzen.

In der Schweiz leiden innerkatholischen Debatten seit langem an einer Engführung. Stets wird die Kirche auf die von den Geweihten gebildete Hierarchie verkürzt. Weil das die Laien ausschliesst, versucht man dann, die Hierarchie durch Gremien und Beauftragungen gewissermassen wieder “auszuweiten”, so dass Laien trotzdem an der – verkürzt verstandenen – Sendung der Kirche teilnehmen können. So entsteht das falsche Bild, dass der Grad des Kircheseins zu messen sei am Ausmass der amtlichen Mitbestimmung. Das führt zum Gerangel um mehr Einfluss – Zölibat, Frauenpriestertum und Staatskirchenrecht eingeschlossen.

Demgegenüber hat die Kirche stets und durch das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) neu hervorgehoben, dass nicht nur die Priester an der Sendung der Kirche teilhaben, sondern auf ihre Weise auch die Laien. Die Kirche hat unterstrichen, dass alle Gläubigen an der Sendung der Kirche teilhaben, aber sie hat immer auch an der wesensmässigen Unterscheidung von Priester und Laie festgehalten. Das gehört zur DNA der Kirche und wird sich nicht ändern.

Es sind also auch die Laien Kirche, auch ohne Aufgabe innerhalb der Hierarchie. In allen drei Vollzügen der Sendung der Kirche – verkündigen, heiligen und leiten – haben sie ihre spezifische Form der Teilhabe. Gekennzeichnet ist diese durch den Weltbezug: Verkündigen kann man nicht nur (als Priester) auf der Kanzel, sondern gerade auch (als Laie) durch Wort und Tat in Familie, Beruf, Politik und Freizeit. Heiligen kann man nicht nur vom Altar aus, sondern auch als Laie, indem man sein privates und gesellschaftliches Leben christlich prägt und so Gott darbringt. Und leiten kann man nicht nur im Zeichen der Mitra, sondern auch als Laie, indem man die Dinge, die man privat und gesellschaftlich beeinflussen kann, christlich gestaltet. Die Laien nehmen so nicht im Schlepptau der Hierarchie an der Sendung der Kirche teil. Sondern sie tun es selbstverantwortet, in einem ihnen eigenen Bereich, auf der Basis ihres christlich geprägten Gewissens.

Neben dieser allen Laien aufgetragenen Sendung können einige von ihnen von der Hierarchie eingeladen werden, an deren Auftrag mitzuwirken. Diese Laien sind damit aber nicht mehr in dem ihnen eigenen Bereich tätig, weshalb sie dann nur Mitarbeitende sein können. Die Problematik der “Pfarrei-Initiative” besteht darin, dass sich solche Laien nicht mehr damit zufrieden geben, als Mitarbeiter der Hierarchie eine untergeordnete Rolle zu spielen. Sie verlangen gleiche Kompetenzen und tendieren damit dazu, die Unterscheidung von Priester und Laie aufzuheben.

Da den Laien das Engagement in der Welt aufgetragen ist, beschränkt sich der Dienst der Hierarchie darauf, den Glauben zu lehren sowie durch Verkündigung und Sakramente die Laien für diese Aufgabe zu stärken. Nur wo es um Menschenwürde und Lebensschutz geht, muss die Hierarchie direkt Stellung nehmen. Das Zweite Vatikanische Konzil ermahnt deshalb die Hierarchie: “Die gerechte Freiheit, die allen im irdischen bürgerlichen Bereich zusteht, sollen die Hirten sorgfältig anerkennen” (Lumen gentium 37). Je mehr also die Hierarchie politisierend in den Sendungsbereich der Laien übergreift, umso weniger wird verständlich, warum die Forderungen der “Pfarrei-Initiative” theologisch verfehlt sind.

Die vom Zweite Vatikanischen Konzil den Laien zugewiesene Aufgabe sieht auf den ersten Blick weniger spektakulär aus als das kirchenamtliche Hineinsprechen in die Welt. Aber es ist gerade der Weg, wie in einer freiheitlichen und pluralistischen Welt Kirchesein heute gelebt werden kann – in einer Gesellschaft, welche die Kirche auch deshalb ablehnt, weil sie ihr klerikalistisch erscheint und als belehrendes Gegenüber.

Die Vision ist also nicht der Christ, der sich am Arbeitsplatz nicht als solcher zu erkennen gibt, dann aber abends im Kirchgemeindevorstand sein Christsein zu verwirklichen meint, indem er dem Pfarrer dreinredet. Sondern es ist der Christ, der gerade sein privates, berufliches und gesellschaftliches Engagement als Teilhabe an der kirchlichen Sendung versteht. Das ist sein unersetzlicher Dienst, den kein Priester leisten kann.

Paulus hat die Kirche mit dem menschlichen Leib verglichen, in dem jedem Organ seine Aufgabe zukommt. In der Kirche in der Schweiz ist es oft leider so, dass alle Haupt sein wollen. Doch wie weit kommt ein Organismus ohne Herz und Lunge, ohne Hände und Füsse? Es wird Zeit, das II. Vatikanische Konzil zu verstehen und umzusetzen.

Der Verfasser ist Generalvikar des Bistums Chur

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