Verbindung zwischen Himmel und Erde

Der Fotograf Ludwig Watteler lichtet seit 15 Jahren Gipfelkreuze ab. Sein Motto: “Ich fotografiere das Kreuz so, wie es mich empfängt.”

Quelle
Ein Künstlerpaar auf dem Weg zu Gott | Die Tagespost

29.09.2025

Esther von Krosigk

Man könnte es als Europas Bekenntnis zum Christentum auf höchster Ebene bezeichnen, doch das stimmt nur halb. Denn das Gipfelkreuz fungierte ursprünglich auch als Landmarke, die den höchsten Punkt eines Berges kennzeichnet. Manchmal zeigte das Kreuz auch Alm- und Gemeindegrenzen an oder diente als Erinnerung an überstandene Gefahren. Wie viele Gipfelkreuze es heutzutage in den Alpen gibt, ist nicht bekannt. Die Schätzungen gehen weit auseinander. Allein in Österreich sind es wohl 4. 000, alpenweit könnten es insgesamt etwa 10. 000 sein.

Wer das Kreuz bei einer Bergtour erreicht, weiß, dass er das Ziel erreicht hat, dass er angekommen ist. Manch ein Wanderer öffnet hier den Rucksack für eine kurze Brotzeit, trägt sich ins Gipfelbuch ein oder zückt das Handy für ein Foto von diesem ungewöhnlichen, himmelnahen Standpunkt aus.

Seit 15 Jahren fotografiert er Kreuze

Ludwig Watteler macht auch Fotos, aber nicht von der Landschaft, nicht von den Tälern und den umgebenden Bergspitzen, die bei guter Fernsicht ins Unendliche verlaufen. Das alles interessiert ihn nicht so sehr, denn seine Kamera ist immer nur auf ein Motiv gerichtet: das Gipfelkreuz. Er nennt es eine Verbindung zwischen Himmel und Erde, und so heißt auch sein Fotoprojekt, das er vor über 15 Jahren begonnen hat.

Der gelernte Grafiker und Fotograf hat vielfach ausgestellt und auch Preise für seine Fotokunst erhalten, doch die Passion fürs Kreuz kam völlig ungeplant und unbeabsichtigt während einer Bergwanderung auf ihn zu. Watteler kletterte hoch zur Brecherspitze im bayerischen Mangfallgebirge, nahe Schliersee und Spitzingsee. Auf 1 .700 Meter machte er nach dem Aufstieg eine Pause am Gipfel und schildert es im Rückblick so: “Ich saß auf dem Sockel unter dem Kreuz und habe dann links über die Schulter geschaut nach oben, hoch zum Kreuz. Dieser Moment war der Auslöser: Was für eine Perspektive! Für mich tat sich plötzlich eine ganz neue Sehweise auf, es hat bei mir wie der Blitz eingeschlagen.” Den Rucksack verwandelte er rasch in ein Stativ und drückte auf den Auslöser seiner Kamera, die er immer bei sich trägt.

“Zwei Balken, die immer anders aussehen”

Das Bergabenteuer mit den Kreuzen begann. Watteler, ein gebürtiger Rheinländer, der seit Jahrzehnten in Bayern beheimatet ist, geht häufig ins Gebirge. Er war in Südtirol, Tirol, Bayern, Kärnten, Steiermark und im Allgäu unterwegs. Außerdem in den Kitzbüheler Alpen, im Karwendel, im Ötztal, in den Dolomiten und im Trentino. Doch er legt es bei seinen Touren nicht darauf an, mit tollen Foto-Ergebnissen nach Hause zurückzukehren. Er ist kein Motivjäger. „Ich fotografiere das Kreuz so, wie es mich empfängt“, sagt er. Was konkret bedeutet: Er schaut sich vorab eine bestimmte Route aus, plant und bereitet sie vor, zieht Erkundigungen bezüglich des Wetters ein. Aber er denkt nicht vorher schon über das Kreuz nach und wie er es ablichten könnte. Er wartet ab, wie es sich ihm zeigt.

Womöglich aus dieser Zufälligkeit heraus entstehen beeindruckende schwarz-weiße Porträts von zwei Balken, die immer anders aussehen. Nicht nur, dass die Kreuze so unterschiedlich sind wie die Berge, auf denen sie stehen. Manche sind aus Holz, glatt oder mit Schnitzereien versehen, einige haben eine Christusfigur, andere nicht. Manche Kreuze sind aus Metall gefertigt und wieder andere sind Mischformen aus verschiedenen Materialien. Auf der 2 339 Meter hohen Schartwand bei Werfenweng im Tennengebirge befindet sich sogar ein 200 Kilogramm schweres Glaskreuz.

Als würde das Kreuz ihn begrüßen

Materialien, Ornamente, künstlerische Gestaltung – das alles ist für Ludwig Watteler eher nebensächlich. Was seine Bilder auszeichnet, ist der Blickwinkel, aber auch der Moment, in dem der Fotograf das Kreuz aufnimmt. Er meint, der senkrechte und der waagerechte Balken hätten eine klare Struktur, die seinem Blick durch die Kamera entgegenkäme. Für ihn wirke es so, als würde er oben am Gipfel vom Kreuz begrüßt.

Erstaunlich, wie vielgestaltig die Fotos sind, die diese besonderen Momente abbilden: Da gibt es Kreuze, die sich winzig auf einem fernen Berggipfel zeigen, andere füllen das ganze Foto aus, als handelte es sich um monumentale Holzriesen. Auf einigen Bildern ist ein kleines Stück Almwiese zu sehen oder sonnendurchleuchtete Wolken akzentuieren die Balken.

Nur das Kreuz, kein Alpenpanorama

Ludwig Watteler gelingt es, den Zauber der Vergänglichkeit einzufangen – und das zu jeder Jahreszeit: “Man kommt oben an im Regen oder im Schnee. Das Kreuz ist gänzlich mit einer Schneekruste überzogen und es braucht nur ein paar Grad wärmer zu werden … Dann schmilzt der Schnee und das Foto existiert so nicht mehr,” sagt er.

Nicht jeder versteht diese Perspektive – von Einheimischen, die ihn bei seiner Tätigkeit beobachteten, wurde er schon mal gefragt, ob er das eigentlich könne, das Fotografieren. Sie wunderten sich, dass er nicht das schöne Alpenpanorama aufnahm, das doch für so viele Bergsteiger das Motiv schlechthin ist. Nein, Ludwig Watteler hat das Kreuz im Blick. Es spielt auch keine Rolle, ob es sich in alpiner Umgebung befindet oder auf einer Anhöhe im Bayerischen Wald. “Es geht mir nicht um Höchstleistungen, Gipfelstatistiken und To-do-Listen”, so Watteler.

Früher waren es Wetterkreuze

Die Fotos stellt er im speziellen Fine-Art-Print-Verfahren her, sie haben verschiedene Formate – von 30 × 40 bis 70 × 100 cm – und sind fachgerecht gerahmt. Die Bilder selbst waren auch schon auf Wanderschaft: Sie wurden unter anderem in der Thomas-Morus-Akademie in Bensberg, im Kapuzinerkloster Imst und in einer Galerie in Miesbach ausgestellt. Außerdem hat der Fotograf eine digitale Werkschau mit 90 Motiven zusammengestellt, die durch Texte, Musik und Soundeffekte ergänzt wird.

In Mitteleuropa gibt es Gipfelkreuze übrigens schon seit Hunderten von Jahren, vor allem im 16. Jahrhundert nahm das Aufstellen der Kreuze zu. Der religiöse Bezug verstärkte sich wohl erst während des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648). Damals wurden vor allem Holzkreuze, meist aus vor Ort gefundenen Ästen, errichtet und mit Hauskruzifixen ausgestattet. Nach altem Volksglauben sollten sie Unwetter, Sturm und Hagel fernhalten, bekannt waren sie als Wetterkreuze.

Sticker abknibbeln ist aufwendig und zwecklos

Seit 1851 steht auch auf Deutschlands höchstem Berg, der Zugspitze (2 962 m), ein Kreuz. Es wurde seinerzeit in 28 Einzelteilen hoch auf den Gipfelpunkt getragen und war von Beginn an vergoldet. Inzwischen ist es bei Gipfelstürmern Trend geworden, sich mittels Anbringens von Stickern darauf zu verewigen. Das Reinigen des Kreuzes ist aufwendig und letztlich zwecklos, da es bald wieder zugeklebt wäre. Ludwig Watteler kennt das Problem mit den Aufklebern, er sagt, es sei auch schon vorgekommen, dass Leute Gipfelkreuze abgeschlagen oder beschädigt hätten.

Die Menschen stören sich eben nicht nur an Kreuzen in Schulen, sondern auch auf Bergen. Selbst der katholisch aufgewachsene Bergsteiger Reinhold Messner äußerte vor einigen Jahren in einem Interview: “Die Berge, die doch der ganzen Menschheit gehören, sollten nicht mit einer bestimmten Weltanschauung verknüpft oder besetzt werden.”

Ludwig Watteler meint, eine kritische Einstellung zum christlichen Glauben sei noch lange kein Grund, ein Kreuz gewaltsam zu entfernen oder zu demolieren. Was ihn persönlich angeht, zeigt er sich glücklich und dankbar, wenn er es auf die Bergspitze geschafft hat und unterm Kreuz steht. Häufig spricht er dann ein Gebet.

Das Fotoprojekt ist unter https://gipfelkreuze.myportfolio.com abrufbar.

Die Verfasserin ist Journalistin, Buchautorin und Texterin für internationale Unternehmen.

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