Prag – Ein unwiderstehliches Christuskind
Es soll als Vorlage für den kleinen Prinzen gedient haben: Das Prager Jesuskind, gerade mal 47 Zentimeter groß, lockt Gläubige und Besucher aus aller Welt zu sich
Ein unwiderstehliches Christuskind | Die Tagespost
Apostolische Reise in die Tschechische Republik: Besuch des “Prager Jesulein” (Kirche St. Maria “vom Siege” in Prag, 26. September 2009)
Die Verehrung des Jesuskind | Die Tagespost
Kirche Maria vom Siege: Barockjuwel als Erinnerung an die Schicksalsschlacht | Radio Prague International
Prager Jesuskind
24.09.2025
Andreas Drouve
Der typische Prager Sound klingt bis in den Kirchenraum nach: das Gebimmel der Straßenbahnen. Gleich unterhalb der Hauptfassade rattern die Trams vorbei. Beim Eintritt in die frühbarocke Kirche Maria vom Siege wird der Besucher von einem Weihwasserbecken in Form einer riesigen Silbermuschel empfangen. Der Blick im langen, einschiffigen Innern fällt auf den Hauptaltar, der mit gedrehten Säulen und in Form eines Triumphbogens gestaltet ist. Die meisten, die hier eintreten, suchen aber vor allem eines: eine Statuette, 47 Zentimeter klein, feierlich gekleidet.
Gemeint ist das Prager Jesuskind. Es hat seinen Ehrenplatz rechts in einer Seitenkapelle, weit über Kopfhöhe hinter Glas, umgeben von silbernen Engelchen. Gesonderte Bänke stehen nicht davor. Manche Gläubige gehen auf einer Steinstufe neben dem hüfthohen Törchen zum kleinen Altarraum auf die Knie. Dahinter warnt ein Schild vor Alarm.
Ein Winzling, der Güte und Zuversicht ausdrückt
Das Jesuskind, dargestellt im Alter von etwa drei Jahren, ist wirklich ein Winzling, fast puppengleich. Aus dem Gewand schauen lediglich der Kopf und die Hände hervor. Mit seiner Rechten vollzieht es die Segensgeste. So fühlen sich die Prager Bürger und alle Besucher gut beschützt. Die Wände hinter dem Altar sind mit Dankestafeln in vielen Sprachen überzogen. Betrachtet man das Kind im Detail, erkennt man ein rundliches Gesicht mit extrem roten Lippen und weit geöffneten Augen. Über dem blonden Lockenköpfchen schwebt eine Krone. Der Blick drückt Güte und Zuversicht aus.
Blumengebinde duften auf dem Altar des Jesuskinds, darunter stehen Blumentöpfe. Über den aus dem 18. Jahrhundert datierenden Altar und dessen Symbolik gibt die Kirchenbroschüre treffend Aufschluss: “Der Altar hat zwei Achsen, die sich überschneiden. Auf der vertikalen Achse ist die ‘himmlische’ Trinität dargestellt: Gott Vater, über ihm der Heilige Geist in Gestalt einer Taube und unten Jesus, Gottes Sohn. Diese senkrechte Achse schneidet die horizontale Achse mit der ‘irdischen’ Trinität: links die Statue der Jungfrau Maria, rechts der heilige Josef und zwischen ihnen wieder Jesus, diesmal als Mensch, als Kind. Den Altar in seiner Gesamtheit können wir als Einladung lesen, ‘Gottes Vertikale’ auch unsere ‘irdische, lebensweltliche Horizontale’ durchschneiden zu lassen. Mit anderen Worten: dass unser menschliches Leben sich mit Gottes Leben überschneidet, wie es in der Menschwerdung Jesu geschah.” Diese Sätze kann man tief in sich einwirken lassen.
Ursprung vermutlich in Spanien
Das Jesuskind hat eine lange, bewegte Geschichte hinter sich. Die Statuette besteht aus Holz, ist mit Stoff und Wachs überzogen und stammt mutmaßlich aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Zum Künstler und zur genauen Herkunft sind keine Angaben überliefert, doch eine Hypothese lautet, dass Spanien das Ursprungsland sein soll. Die Geschichte dazu liest sich laut lokalen Quellen wie folgt:
Ursprünglich befand sich die Statuette im Besitz der spanischen Adligen Isabel Briceño. Diese schenkte sie ihrer Tochter María Maximiliana Manrique de Lara, die 1556 den böhmisch-mährischen Adeligen Vratislav von Pernstein heiratete. Das Jesuskind sollte sie in einem fernen, fremden Land beschützen. Lara gab es als Hochzeitspräsent an ihre Tochter Polyxena weiter, die es 1628 den Prager Karmeliten überließ, um die Bürger mit wundertätigen Kräften vor allem Bösen zu beschützen. 1631 besetzten die Sachsen Prag und plünderten das Kloster. Für die Eindringlinge war die Statuette wertlos. Kein Gold, kein Silber, keine Edelsteine. Sie warfen sie weg. Wie durch ein Wunder wurde sie von den entkommenen Ordensbrüdern aufgefunden, allerdings mit gebrochenen Armen. 1655 erlebte das Bildnis seine feierliche Krönung durch den Prager Bischof.
Auch von Nicht-Katholiken hoch angesehen
Im angeschlossenen Klosterbereich leben heute vier Unbeschuhte Karmeliten. “Wir sind zwei Inder, ein Italiener und ein Tscheche”, verrät Ordensmann Viktor, einer der beiden Inder. In der Sakristei begrüßt er die Gäste in mehreren Sprachen. Dort finden Gläubige ein anderes Jesuskind zum Anfassen. Man darf es sogar in die Hand nehmen. Daneben steht ein Körbchen, in dem man Gebetsanliegen, Bitt-, Dankes- und Wunschzettel deponiert. Auch Geldscheine liegen darin.
Im Laufe der Historie genoss das Prager Jesuskind auch unter Nicht-Katholiken hohes Ansehen und Respekt. Der protestantische Heerführer Hans Christoph von Königsmarck, der das dortige Prager Viertel Kleinseite am Ende des Dreißigjährigen Krieges eroberte, widmete ihm einen schützenden Geleitbrief, so heißt es – und der spätere schwedische König Karl Gustav vermachte ihm 30 Dukaten. Diverse Adlige zeigten sich mit Schmuck erkenntlich, darunter Kronen.
Benedikt XVI. beschenkte das Prager Jesukind
Im Jahr 2009 besuchte Papst Benedikt XVI. die Kirche Maria vom Siege und verlieh der Statuette eine goldene, mit Perlen und acht Muscheln verzierte Krone. In seiner Ansprache betonte Benedikt, das Prager Jesuskind mache mit seiner kindlichen Zärtlichkeit die Nähe und Liebe Gottes gegenwärtig.
Auch anderweitig sah sich das Jesuskind reich beschenkt. Eine Auswahl der Präsente stellt ein kleines, kostenlos zugängliches Museum im ersten Stock neben dem Kirchenraum aus. Es beschränkt sich auf einen einzigen Saal. Das Licht ist gedämpft, um die Exponate nicht zu schädigen.
Garderobe mit großer Auswahl
In Vitrinen sind edle Umhänge des Jesuskinds ausgestellt, die aus verschiedensten Zeiten und Ländern stammen: von Spanien über Vietnam bis zu Kolumbien und den Philippinen. Eine der Vitrinen kombiniert ein farbenprächtiges Doppel aus Südkorea und Mexiko – inklusive eines mexikanischen Sombreros en miniature, der an der Wand hängt. Besonders wertvoll ist ein dunkelgrünes Samtkleid, das Monarchin Maria Theresia 1754 stiftete und persönlich bestickt haben soll.
Die ausgestellte Kollektion ist nur die Spitze des Eisbergs. Die prächtige Garderobe des Jesuskinds umfasst insgesamt etwa 300 Stücke, darunter sogar ein royales Gewand mit einem Hermelinumhang. Am liturgischen Kalender hängt es, das Kind neu einzukleiden. Über die entsprechende Farbwahl gibt eine Infotafel im Museum Aufschluss: weiß zu Ostern, violett im Advent, rot zu Pfingsten und an Gedenktagen für heilige Märtyrer, grün während der anderen Jahreszeit. Am Tag der Krönungszeremonie am ersten Sonntag im Mai trägt es eine königliche Robe. Ausnahme ist die Weihnachtszeit, wenn es keine Kleidung trägt und seine ursprüngliche Schlichtheit und Schönheit zum Ausdruck bringt.
Inspiration für den kleinen Prinzen
Das Jesuskind steht seit jeher mit erhörten Gebeten und zahlreichen Wundern in Verbindung, was den Ruf als Pilgerziel steigerte. Als der Brasilianer Paulo Coelho noch unbekannt war, brachte er dem Jesuskind bei einem Prag-Aufenthalt im Jahr 1982 seinen Traum vor, Schriftsteller zu werden, erzählte er einmal. Der Wunsch ging in Erfüllung. Coelho, der als Verfasser von Büchern wie “Auf dem Jakobsweg” und “Der Alchimist” zu Weltruhm gelangte, dankte es über zwei Jahrzehnte später mit der Gabe eines Gewands.
Längst findet man Nachbildungen der Statuette weltweit, darunter in Spaniens Hauptstadt Madrid, auf den Philippinen und in Südamerika. Ein weiterer literarischer Bezug ist dieser: Der kleine Jesus soll den Franzosen Antoine de Saint-Exupéry (1900–1944) zu seiner Figur der märchenhaften Erzählung “Der kleine Prinz” inspiriert haben.
Der Verfasser ist freier Autor und Journalist mit dem Schwerpunkt Reisen.
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