Kirchenbauten – Schöne neue Sakralarchitektur?
Wie können Glaube und Kirche über die Ästhetik neuer Architektur in die Zeit getragen werden? Ein Überblick von Kaiser Konstantin bis ins 21. Jahrhundert
Quelle
Berliner Hedwigs Kathedrale
Sankt Hedwig Mitte: Home
St.-Hedwigs-Kathedrale – Wikipedia
Essener Münster – Wikipedia
20.06.2025
Die anhaltende Debatte um die Wiedereröffnung der restaurierten Berliner Sankt Hedwigs-Kathedrale als Bischofskirche der Hauptstadt befeuert eine umfassende Diskussion zum Umgang mit Sakralarchitektur. Der Bau von Kirchen: Er war schon immer ständigen Veränderungen und Anpassungen unterworfen. In komplizierter Wechselwirkung prägt der Glaube die Geschichte der Baukunst – und die Baukunst wirkt ein auf Form und Ausdruck des Glaubens.
Vom Minerva-Tempel zur Marienkirche
Mit der konstantinischen Wende musste zur Mitte des 4. Jahrhunderts erstmals die Frage beantwortet werden, wie christliche Gotteshäuser als quasi öffentliche Räume im Unterschied zu heidnischen Tempeln zu errichten sind. Manches ging damals im Wechsel der Religionen ineinander über, aus einem Minerva-Tempel wurde eine Marienkirche, christliche Patronate ersetzten Widmungen aus dem antiken Götterhimmel. Es gab Saalkirchen, Basiliken oder Zentralbauten: neue Kirchen orientierten sich an der Gesamtentwicklung der Baukunst mit Handwerk, Wissenschaft und Technik.
Die Formalisierung kultischer Handlungen gab bestimmte Bauelemente und Ausstattungen vor. Roms älteste Pfarrkirche von 336, die der Tradition folgend auf den Evangelisten Markus zurückgeht, hatte schon ein Taufbecken, was auf Kirche als sakralen Funktionsbau verweist. Ein Bodenmosaik, ausgeführt wie in einer römischen Domus, zeigt, dass die Ausstattung dem Zeitgeschmack folgte. Eine sich entwickelnde Liturgie und die gängige Auffassung von “Haus” und “Raum” gingen eine sichtbare Verbindung ein. Es folgten zusätzliche Aufladungen einer Sakralarchitektur, die sowohl geistliche als auch weltliche Machtverhältnisse repräsentierte und in Beziehung zueinander setzte. Die Hagia Sophia etwa, so beschrieb es der Kunsthistoriker Volker Hoffmann bei seiner bahnbrechenden Neuvermessung des unter Justinian errichteten, christlichen Bauwerks, symbolisiert im Spiel mit Kreis und Kugel Herrschaftssphären, die die göttliche und die weltliche Macht miteinander verbinden.
Später entstanden Klöster außerhalb etablierter Siedlungsräume als Zusammenführung von Wirtschaftsgebäuden, Wohnstätten und religiösen Kulträumen. Grundlegende Fragen etwa der Unterbringung und Versorgung in einem größeren, hierarchisch gegliederten Lebensverbund wurden wegweisend gelöst. Diese gesamte Entwicklung zeigt ein dialektisches Prinzip in der Funktion und Wirkung von sakraler Architektur: Zwar sind die baulichen Mittel zeit- und weltgebunden, aber der entstehende Raum wird von der zeitlichen und weltlichen Umgebung abgesetzt. Mit den Mitteln von “Welt” wird etwas geschaffen, das gegen ebendiese gerichtet ist. Eine neue Form des Zusammenlebens mit der Ausrichtung auf Gott entsteht bei den Klöstern. Bei den Kirchen erscheint eine architektonische Vision des himmlischen Jerusalems, mit Wirkung in den Außenraum und nach innen für die Gemeinde. Gestaltete Materie transformiert im Kultus zu einem transzendierenden Heiligtum.
Räume zwischen Zeitlichkeit und Ewigkeit
Dabei bleibt es, auch wenn im Wechsel dynastischer Geschlechterfolgen karolingische und ottonische, salische und staufische Einflüsse prägend werden. Aus dem Gottesgnadentum abgeleitete Macht ist konstitutiv angewiesen auf Sichtbarkeit in der mehrdimensionalen Verschränkung von Religion, Architektur, Symbol und Herrschaft. Der romanische Kirchenbau führte ab der Jahrtausendwende einen definierten, vornehmlich sakral bestimmten Bautypus ein, der für die Pflege des Kultus nach außen und innen einen spirituellen Raum definierte.
Die Baukunst der Gotik löste danach durch ausgefeilte Gewölbetechnik die mächtigen Wände auf und leitete den gewaltigen Schub über ein kompliziertes Strebewerk nach außen ab. Die schiere Höhe, die Strebepfeiler und der neue Lichteinfall schufen eine ganz neue Raumwirkung von entmaterialisierter Magie. Die Loslösung der Skulptur aus der Wand verweist bereits auf ein neues Bild des Menschen, der sich plötzlich gottesebenbildlich als Subjekt wahrzunehmen scheint. Viele Entwicklungen überschnitten sich und sind keineswegs sauber in ihrer zeitlichen Abfolge voneinander getrennt. Die neuesten archäologischen Forschungen nach dem Brand von Notre Dame ergaben, dass eine feste Stilchronologie nicht mehr haltbar ist. Vielmehr arbeiteten zeitgleich unterschiedliche Werkstätten in verschiedenen Stilen, so Stephan Albrecht, der als deutscher Experte in den Wiederaufbau-Beirat von Notre Dame berufen wurde.
Das Positivbeispiel Essener Münster
Renaissance, Barock und Klassizismus: das Muster des Ineinandergreifens sakraler Botschaften und weltlicher Formensprache, die Prägung durch die wechselseitigen Beziehungen zwischen weltlicher und geistlicher Herrschaft setzten sich fort. Mit der Berliner Hedwigs-Kathedrale präsentierte Knobelsdorff als Architekt zur Zeitenwende der Aufklärung Mitte des 18. Jahrhunderts den ersten katholischen Kirchenbau nach der Reformation. Religiöse Toleranz, wissenschaftlich-bautechnische Exzellenz und die Verbindung von geistlicher und weltlicher Herrschaft: der historische Bezug zum Pantheon des römischen Weltreichs unter Hadrian war evident. Friedrich der Große selbst hatte die ersten Skizzen angefertigt. Gut 100 Jahre nach der Weihe wurde die Kirche 1882 im Innern neobarock umgestaltet, fast ein halbes Jahrhundert später folgte wieder ein neuer Stil. Es entstand ein Zeugnis expressionistischer Sakralarchitektur zum Ende der Weimarer Republik.
Nach dem Zweiten Weltkrieg stand die katholische Kirche in Deutschland vor einer scheinbar unlösbaren Aufgabe: wie geht man mit tausenden zerstörten Kirchen um, von denen 1945 oft nur noch die Außenmauern standen? Zwar überstanden wie durch ein Wunder einige der bedeutendsten Bauwerke die Bombennächte ohne Schaden, aber eine unüberschaubare, sakrale Trümmerlandschaft lieferte die traurige Folie für den fast unbeschädigten Kölner Dom oder die Aachener Pfalzkapelle. Dennoch: der Wiederaufbau und die Restaurierung verlief fast überall ähnlich schnell, behutsam und sparsam: in München, Nürnberg und Würzburg, in Frankfurt, Köln und Münster, in Hildesheim, Hamburg und Lübeck. Beispiel Essen: Das Münster, geistliches und historisches Zentrum seit dem 9. Jahrhundert, wurde in bescheidener Demut vor der Geschichte, aber qualitätvoll in der Umsetzung wiederaufgebaut. Moderne Fenster in sparsamer Farbigkeit, unter anderem von Campendonk, Manessier, Buschulte und Gies beleuchten nun die schlichte Eleganz der Hallenkirche und schaffen eine angemessene Umgebung für die erhaltenen ottonischen Details am mittelalterlichen Westwerk. Und: damals bildeten sie inmitten der trubeligen Industriestadt einen Ort der Ruhe und Besinnung, die “Gegen-Welt”. In einem vorkonziliaren Akt liturgischer Neuorientierung wanderte die Mensa des Altars aus dem Chor in Richtung Kirchenschiff, ausgerichtet auf die Gemeinde. Anfang der 80er-Jahre entsteht zusätzlich die sogenannte “Adveniatkrypta” mit einer modernen Sitzordnung. Umfasst vom monochromen Beton-Dekor des Künstlers Emil Wachter versammeln sich die Gläubigen in einem Andachtsraum um den transparenten Altar, wie Rainer Teuber, Mitarbeiter der Domschatzkammer, erläutert. Die architektonischen Schritte zum Jetzt sind in Essen tatsächlich als Trippelschritte erfahrbar und auch deshalb gut vermittelbar.
Zwischen Welt und Gegen-Welt
In Berlins Hedwigs-Kathedrale ging die Zumutung für die Gläubigen viel weiter. Hans Schwippert hatte die Kirche beim Wiederaufbau neugestaltet. Außen dominierten die im schlichten Stil der Nachkriegsmoderne verwendeten, einfachen Putzquader und die kupfergedeckte Kuppel. Der eindrucksvolle Innenraum mit seiner sichtbaren Öffnung zum Unterbau, Schwipperts geniale Idee, wurde jetzt bei der Umgestaltung stark verändert, der Boden geschlossen. Über der so erheblich vergrößerten, nutzbaren Fläche erhebt sich ein schmuckloser, aber strahlend weißer Innenraum mit imposanter Kuppelwölbung. Die neue Altarmensa wiederholt en miniature die Kuppel als umgedrehte Halbkugel. Die Gläubigen sitzen ganz nah am kaum definierten Altarraum, zwischen Zelebrant und Gemeinde findet sich nichts Trennendes mehr.
Man mag vor der Radikalität dieser Einfachheit, vor dem kalten Hell des Lichts im Architekturkonzept von Siechart Walter zunächst erschrecken. Lässt man sich aber ein auf das Neue, dann sind zwei Erfahrungen möglich. Zum einen ist es die archaische Erhabenheit des antiken Raumgefühls, das fast körperlich spürbar wird. Zum anderen vermittelt sich ein geschützter Raum der Andacht und Besinnung, ein krasser wie beabsichtigter Gegensatz zur laut-bunten Betriebsamkeit im Zentrum des alten Berlins zwischen Siegessäule und Alexanderplatz. “Welt” und “Gegen-Welt” zeichenhaft nach außen und innen dargestellt: kein effektvolles Interieurkonzept und keine noch so glamouröse Ausstattung, die unsere Zeit bereithalten könnte, hätte das besser ausgedrückt.
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