Geschichte – Von wegen “zahnloser Löwe”
Leo XIII. konnte Krallen zeigen. Sein Pontifikat währte ein Vierteljahrhundert und drehte sich um Krieg und Frieden, soziales Engagement und den Brückenschlag in die moderne Zeit
Quelle
Papst Leo XIII. (78)
Ulrich Nersinger
16.05.2025
Ulrich Nersinger
Von Anfang an gab es Wortspiele um den Papstnamen Leos XIII. (Gioacchino Pecci, 1878- 1903). Der Pontifex, der den Heiligen Stuhl als Nuntius im Königreich Belgien vertreten hatte und in der Diplomatie versiert war, sah sich auch auf dem Petrusstuhl diplomatischem Vorgehen verpflichtet. Diese an sich lobenswerte Tugend wurde aber von den Römern zum Spott genutzt. Sie sprachen vom “leone senza dente”, einem zahnlosen Löwen. Doch der Papst bewies, dass er sich wie der König der Tiere Respekt verschaffen konnte. “An der Tatze erkenne ich den Löwen”, sollte später ein deutscher Domherr das Handeln Leos XIII. kommentieren.
Im Norden der Vatikanischen Gärten findet sich die historische Sendezentrale von Radio Vatikan. An einer Außenwand des Komplexes ist eine Gedenktafel, ein Bronzerelief, befestigt. Im Mittelpunkt des Reliefs thront der Papst, der sowohl dem Reichskanzler Bismarck als auch dem spanischen Ministerpräsidenten Canova ein Schriftstück überreicht. Neben Leo XIII. erblickt man Kardinalstaatssekretär Ludovico Jacobini; im Hintergrund reichen sich Kaiser Wilhelm I. und König Alfons XII. von Spanien die Hand. Die bronzene Tafel in den beschaulichen Gärten der Vatikanstadt illustriert ein Stück Weltgeschichte – einen Friedensakt des Papstes.
Sturm der Entrüstung
Am 25. August 1885 hatte Deutschland die Karolinen- und Palauinseln in Mikronesien in Besitz genommen. Ein deutsches Kriegsschiff hisste damals die Reichskriegsflagge auf der Hauptinsel Yap und dokumentierte damit den Anspruch auf die Südseeinseln. Als Begründung nannte man vor allem den Schutz von Handelsinteressen. Die beiden Inselgruppen standen offiziell seit über zweihundert Jahren unter spanischer Souveränität, doch hatte es das Königreich unterlassen, diese Souveränität auch tatsächlich auszuüben.
Die Besetzung der Inselgruppen durch das Deutsche Reich verursachte auf der iberischen Halbinsel einen Sturm der Entrüstung. Die Polemik, die in den deutschen und spanischen Zeitungen daraufhin ausgetragen wurde, gewann von Tag zu Tag an Schärfe. Die diplomatischen Noten, die zwischen den Regierungen in Berlin und Madrid ausgetauscht wurden, offenbarten eine derartig aggressive Haltung, dass die Möglichkeit einer Verständigung ausgeschlossen zu sein schien. Eine kriegerische Auseinandersetzung drohte unvermeidlich zu werden.
Eine mehr zufällige Bemerkung des spanischen Ministers Pidal y Mon über die Unparteilichkeit Leos XIII. veranlasste den deutschen Botschafter in Madrid, Graf Solmy, darüber unverzüglich nach Berlin zu berichten. Otto von Bismarck griff diese Anregung sofort auf und machte dann dem verblüfften spanischen Botschafter in Berlin, Graf Benomar, den Vorschlag, die Angelegenheit einem Schiedsspruch des Heiligen Stuhles zu unterwerfen, da dessen unparteiische Haltung beiden Völkern in gleicher Weise Vertrauen einflöße und dessen Entscheidung ohne jeden Prestigeverlust akzeptiert werden könne.
Am 25. September ließ Papst Leo XIII. den Regierungen in Berlin und Madrid seine grundsätzliche Annahme bekannt geben. Die Nachricht von diesen Vorgängen wurde sofort öffentlich bekannt und rief in der ganzen Welt eine gewaltige Überraschung hervor. Leo XIII. setzte eine Kardinalskommission ein, die am 22. Oktober 1885 zu einem Urteil kam, das dem Papst vorgelegt wurde, sich dessen Billigung erfreute und umgehend in ein für beide Seiten akzeptables Vertragswerk gefasst wurde. Spanien bekam die Hoheitsrechte über die Inseln zugesprochen, während Deutschland Freiheit in Bezug auf Handel, Schifffahrt, Fischerei, Ansiedlungen und Kohlenniederlagen erhielt.
Schiedsrichter der Welt
Am 17. Dezember 1885 erfolgte die Unterzeichnung des Vertrages durch den preußischen Gesandten beim Heiligen Stuhl, Kurd von Schlözer, und den spanischen Botschafter, den Grafen de Molins. Noch am selben Abend gab Kardinalstaatssekretär Ludovico Jacobini einen Empfang für das ganze beim Heiligen Stuhl akkreditierte Diplomatische Korps. Dessen Doyen, der österreichische Botschafter, Graf Ludwig Paar, brachte beim Diner einen Trinkspruch auf Leo XIII. aus. Überall in der Welt stieß der Schiedsspruch des Papstes auf Zustimmung, sogar in Großbritannien.
Am 15. Januar 1886 hielt der Papst vor dem Heiligen Kollegium der Kardinäle eine Ansprache, in der er die Rückkehr zu jenen Zeiten pries, als das Oberhaupt der Christenheit oberster Richter in Rechtsstreitigkeiten der Völker war. Eine Gedenkmünze, die zur Erinnerung an den päpstlichen Schiedsspruch geprägt wurde, zeigt auf der Vorderseite das Porträt Leos XIII. und auf der Rückseite den Papst zwischen den beiden Ländern Spanien und Deutschland und die Umschrift “Arbiter mundi – Schiedsrichter der Welt”. Der Streit um die Karolinen- und Palauinseln hatte den Papst auf die Weltbühne als handelnde Person zurückgeholt.
Bahnbrechend erwies sich das Pontifikat Leo XIII. in der Behandlung der Sozialen Frage. Als wegweisend galt daher sein Apostolisches Rundschreiben “Rerum Novarum” vom 15. Mai 1891. Die Enzyklika zur Arbeiterfrage wird zu Recht als “Mutter aller Sozialenzykliken” angesehen. Der Papst sah die Kirche in die Pflicht genommen, “die Ordnung der menschlichen Gesellschaft mitzugestalten”. Für ihn stand unmissverständlich fest, dass jeder nach getaner Arbeit das Recht auf Lohn habe und über diesen auch frei verfügen müsse.
Förderer der Marienverehrung
Von den Arbeitgebern forderte der Pontifex die Zahlung eines gerechten Lohns. Arbeit und Kapital hätten in Eintracht und Frieden miteinander auszukommen. Entschieden wandte er sich gegen sozialistische Überzeugungen, die der naturrechtlich-christlichen Lehre vom Eigentum entgegenstünden. Innerkirchlich galt Papst Pecci als großer Förderer der Verehrung der Gottesmutter, des Herzens Jesu und des Heiligen Geistes, sowie als eifriger Wiederbeleber des Thomismus und der Latinität.
Papst Leo XIII. zeigte sich der Moderne aufgeschlossen. So besaß er ein Faible für technische Neuheiten. Er ließ sich gerne fotografieren und auch als erster Papst der Geschichte in den Vatikanischen Gärten filmen – er verfasste sogar ein lateinisches Gedicht über die Kunst des Fotografierens, die “ars photographica”. Auch für Automobile zeigte er Interesse; in den Gärten des Vatikans benutzte er aber weiterhin nur die traditionellen Pferdekutschen.
Leo XIII. erwies sich in bewegten Zeiten als wahrer Pontifex, als wahrer Brückenbauer, der begehbare Übergänge von der Vergangenheit in die Gegenwart zur Zukunft hin schuf. Ein Vorbild für seine Nachfolger – vor allen für den, der in unseren Tagen sein Amt und seinen Namen trägt.
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