Herausfordernd: Karwoche im Gazastreifen
Der Gaza-Krieg hatte Gabriel Romanelli auf dem falschen Fuß erwischt: Als die Hamas-Terroristen im Süden Israels ein Blutbad anrichteten und anschließend Israel den Gazastreifen mit Krieg überzog, war der Pfarrer der einzigen “lateinisch”-katholischen Pfarrei von Gaza gerade in Betlehem
Quelle
Ostern 2025: Nur wenige palästinensische Christen dürfen nach Jerusalem – Vatican News
Pater Romanelli
Das war im Oktober 2023, und für lange Monate war der aus Argentinien stammende Ordensgeistliche von seiner kleinen katholischen Herde im Gazastreifen getrennt. Nur etwa 135 Katholiken lebten damals im Gazastreifen, die meisten Christen im Küstenstreifen sind orthodox, und das Gros der damals 2,3 Millionen Menschen waren Muslime.
“Nach vielen Bemühungen vor allem von Seiten des Lateinischen Patriarchats (in Jerusalem) gaben mir die israelischen Behörden schließlich im Mai letzten Jahres die Erlaubnis, nach Gaza zurückzukehren. Seitdem bin ich dort. Die Pfarrei hat natürlich während dieses Krieges mehrmals unter den Bombardements, unter Schüssen und so weiter gelitten; auf dem Gelände der Pfarrei leben schon seit Beginn des Krieges ungefähr 500 Flüchtlinge, darunter Kinder und Behinderte und viele alte Leute, viele Kranke, auch Verwundete, auch aus anderen christlichen Gemeinschaften. Dank der Hilfe des Patriarchats konnten wir Tausenden von Familien, von Zivilisten in unserem und in anderen armen Stadtvierteln von Gaza-Stadt helfen. Wir sind hier im ältesten Stadtviertel, al-Zaytun, und wir bemühen uns, trotz allem ein – in Anführungszeichen – normales Leben zu führen.”
“Die Gebete tragen uns – das ist wirklich so”
Zum “Compound” der Pfarrei der Heiligen Familie gehören ein Kloster von Mutter Teresas “Missionarinnen der Nächstenliebe”, eine Schule, ein Waisenhaus. Und natürlich die Pfarrkirche, ein relativ einfacher Steinbau mit großem Kreuz über der Fassade. Zu Spitzenzeiten während des Gaza-Kriegs drängten sich hier 700 Menschen, die vor den israelischen Bombardements Zuflucht suchten.
“Die Gebete tragen uns – das ist wirklich so. Zu unseren Gottesdiensten kommen viele Familien mit ihren Kindern, viele junge Leute. Wir beten den Rosenkranz zu Ehren Mariens, der Königin des Friedens, und im Anschluss daran gibt es viele Aktivitäten für alle Altersstufen auf dem Gelände. Unseren Nachbarn versuchen wir über die Caritas zu helfen, mit Medikamenten oder der Verteilung von Wasser und Nahrungsmitteln. Aber die Umstände werden jeden Tag schwieriger. Für den Moment haben wir noch genug zu essen, aber wie es weitergeht, kann man nicht vorhersagen; seit fast einem Monat sind die Grenzen für humanitäre Hilfen völlig verriegelt.”
Es gebe im ganzen Gazastreifen derzeit keinen sicheren Ort, sagt Pater Romanelli. Darum hätten viele Christen zu Beginn des Krieges, als Israel zur Evakuierung aufforderte, entschieden, auf das Gelände seiner Pfarrei zu flüchten: Sie wollten sozusagen bei Jesus sein, ihr Schicksal in die Hände Gottes legen.
“Die Kirche wurde im Dezember 2023 bombardiert, und auf das Haus der Mutter-Teresa-Schwestern fielen mehrmals Bomben; leider starben im Dezember 2023 vor Weihnachten zwei katholische Frauen durch israelische Scharfschützen. Wir sind in den Händen des Herrn, doch wir fürchten um das Leben aller Menschen im Gazastreifen, aller ohne Unterschied. Tausende von Kindern sind ums Leben gekommen, und sie werden weiterhin zu Opfern; sie sind völlig unschuldige Opfer, ob das nun Kinder in einem Kibbuz sind oder Kinder in Gaza. Jeder Tag und jede Stunde, die der Krieg weiter andauert, sterben weitere Zivilisten, und ein großer Teil von ihnen sind Kinder.”
“Die größte Angst kreist um die Frage: Wie wird das weitergehen?”
Die Kar- und Ostertage lebt und begeht man als Christ im Gazastreifen ganz anders, viel intensiver, so der Geistliche. Als Konfrontation mit dem “Mysterium des Todes”, als Hoffnung auf das Auferstehen. Die Liturgie bringe die Menschen hier “in echten Kontakt mit dem Tod und der Auferstehung Jesu”. Es sei “der Glaube an die Realpräsenz Jesu in der Eucharistie, in der Kirche, in den Werken der Barmherzigkeit”, der den Katholiken von Gaza die “Kraft zum Weiterleben” gebe unter Umständen, die man sich außerhalb der Enklave kaum vorstellen könne.
“Die größte Angst kreist um die Frage: Wie wird das weitergehen? All die Menschen, die hier leben – haben sie eine Chance? Darauf gibt es keine Antwort. Es scheint so, als würde die Herren der Welt das Schicksal der über zwei Millionen Menschen, die hier leben, überhaupt nicht interessieren. Wenn ich erzählen würde, wie wir uns hier durchschlagen, würden alle sagen: Der übertreibt aber. Nur mal als Beispiel: Die Bäckereien sind seit zwei Wochen geschlossen, weil sie kein Mehl mehr haben; Zehntausende von Familien sind völlig auf sich allein gestellt, ohne alles, auf der Straße, in Zelten – denn die meisten Wohnhäuser sind ja zerstört. Und auch von den Schulen und Krankenhäusern ist oft nicht viel übrig. Wirklich, das vorherrschende Gefühl hier ist die Verzweiflung; aber wir, im Kleinen, versuchen, im Glauben, in der Hoffnung, in der Liebe verankert zu bleiben. Wichtig sind psychosoziale Aktivitäten für die alten und die jungen Leute; wir organisieren sogar Fußball- oder Basketballspiele, denn das Leben muss ja trotz aller Bombardements irgendwie weitergehen.”
Die Oase
Romanelli hofft darauf, dass sich letztlich “das gemeinsame Menschsein” durchsetzt und die Verantwortlichen dazu bringt, den Krieg einzustellen. Wenigstens ein Waffenstillstand, das wäre doch ein erster Schritt – auch wenn ein richtiggehender Friedensschluss noch nicht vorstellbar sei. Selbst wenn eines Tages die Waffen schweigen würden, werde das Leben im Gazastreifen für die Palästinenser noch schwer genug sein, sagt er.
Letztes Jahr seien in den Kar- und Ostertagen auch viele Muslime aus der Nachbarschaft in die Pfarrei gekommen: einfach um eine Art “Oase” zu erleben. Viele Angebote zu Aktivitäten in der Pfarrei richten sich, wie der Pfarrer berichtet, an alle, ganz gleich zu welcher Religion sie sich bekennen, und auch Orthodoxe ließen sich auf spirituelle Momente ein, etwa die Anbetung oder den Kreuzweg. Daneben gebe es aber auch Aktivitäten nur für die katholische Gemeinschaft; das sei wichtig, “um unsere Identität zu bewahren”.
Das Interview mit Pater Romanelli führte Marine Henriot vom französischen Programm von Radio Vatikan.
vatican news – sk, 15. April 2025
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