Der Isenheimer Altar: Meisterwerk der Mystik

Meisterwerk der Kunstgeschichte – Aus der Reihe “Bühne des Glaubens”: Der Isenheimer Altar bietet eine der berühmtesten Kreuzigungsszenen der Welt

Quelle
Isenheimer Altar – Wikipedia
Unterlinden-Museum – Wikipedia
Der Isenheimer Altar und seine Botschaft
Prinzessin stiftet deutschem Kloster einen Isenheimer Altar, den sie selbst gemalt hat
Grünewald im Dialog: 500 Jahre Isenheimer Altar in Kunst, Literatur und Musik
Der Isenheimer Altar: Werk und Wirkung
Matthias Grünewald – Wikipedia

Aktualisiert am 10.04.2025

Paul Baldauf

“Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott zu sagen, was ich leide.” Dies sind Worte, die Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) – in seinem gleichnamigen Theaterstück – dem unglücklichen italienischen Dichter Torquato Tasso (1544–1595) in den Mund legte.

Wer sich im Unterlinden-Museum im elsässischen Colmar in das erschütternde Gemälde “Kreuzigung” des Isenheimer Altars vertieft und es auf sich wirken lässt, dem mögen sie vielleicht ins Gedächtnis kommen. Doch dieser unsäglich gequälte Mensch ist ein Gott-Mensch, und so verstummt er nicht in seiner Qual. Durch seine liebende, leidende Hingabe bis in den Tod – ja, bis in den Tod am Kreuz – spricht er unüberhörbar und setzt seine Verkündigung nun auf andere Weise fort. Er wird vergeben, das Paradies zusagen, seinen Vater um Vergebung für seine Feinde bitten, auch wenn Matthias Grünewald dies nicht dargestellt hat, denn entsprechende Passagen aus den Evangelien setzt er voraus. Diese bilden den Hintergrund des dargestellten dramatischen Geschehens.

Hingabe bis zum Äußersten

Der Gekreuzigte muss auch nicht warten, bis ihm ein Dichter oder “ein Gott” zu sagen gibt, was er leide. Er sagt es selbst, indem er seinen Durst zur Sprache bringt – der nicht nur physisch, sondern vor allem auch als Verlangen nach der Rettung der Seelen zu verstehen ist. In seinem sich von Gott verlassen Fühlen – in seiner Frage: Warum? – offenbart sich seine Hingabe und Liebe, die bis zum Äußersten geht: Selbst diese Verlassenheit von dem, auf dessen Willen und Verherrlichung hin sein ganzes Leben ausgerichtet war, nimmt er auf sich.

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Doch sein Vater hat ihn im Grunde nicht verlassen; in der Liebe des sie verbindenden Heiligen Geistes ist er bei ihm. Und so wird seine Frage auch eine Antwort finden: die glorreiche Auferstehung, die Himmelfahrt und die Sendung des Heiligen Geistes, der das Werk des vom Vater gesandten Sohnes fortführen, an alles erinnern und tiefer in das Verständnis des Sohnes, des Wortes Gottes, einführen wird. Eine Antwort, welche die Zeiten überdauert und überstrahlt.

Wer unter dem Kreuz stand

Betrachten wir nun zunächst zwei der zu beiden Seiten des Kreuzes dargestellten Personen. Johannes der Täufer, der die Heilige Schrift in der Hand hält, zeigt auf Jesus Christus. Nun ist er nicht mehr der “Rufer in der Wüste”, diese Aufgabe liegt hinter ihm, doch sein Fingerzeig wirkt umso vielsagender. Johannes, der Evangelist – den Jesus besonders liebte – vertritt dessen Stelle als Sohn, indem er sich Jesu Mutter Maria annimmt, mitfühlt, mitleidet und sie stützt.

Womit lässt sich ein Kunstwerk von derart ungeheurer, den Betrachter unmittelbar emotional involvierender Vorstellungs- und Ausdruckskraft vergleichen? Sucht man zunächst in einer anderen Kunst – der Dichtung –, so fällt einem vielleicht der italienische Dichter Dante Alighieri (1264–1321) ein. In dessen “Göttlicher Komödie” (deren Titel – Divina Commedia – allerdings irreführend ist), in seiner Jenseitswanderung mit dem römischen Dichter Vergil, finden sich Szenen, die so grandios plastisch gestaltet sind, dass man sich als Leser an den Ort des Geschehens und in die Personen, mit ihrem Schicksal, versetzt fühlt. In der Malerei lässt Grünewalds (um 1480–1530) visionäre Vorstellungs- und Darstellungskraft an einige Gemälde des spanischen Malers Francisco de Goya (1746–1828) denken, der etwa 300 Jahre nach ihm starb. Oder an den italienischen Maler Caravaggio (eigentlich Michelangelo Merisi, 1571–1610) und dessen ungeheuer ergreifendes Gemälde “Die Enthauptung Johannes des Täufers”, das in der St. John’s Co-Cathedral in Valletta, Malta, zu sehen ist.

Der Künstler tritt völlig zurück

War Matthias Grünewald (eigentlich hieß er Mathis Nithart, nannte sich aber Gothart) – ein Zeitgenosse von Raffael, Leonardo da Vinci, Michelangelo und Albrecht Dürer – seiner Zeit also voraus? In ihm etwa einen Vorläufer der Kunstrichtung des Expressionismus zu sehen, wäre jedoch nicht zutreffend, auch wenn einige expressionistische Maler (wie z. B. Max Beckmann) von ihm beeinflusst wurden. Er stellt die Realität nicht verzerrt dar, um eigene Gefühle auszudrücken. Ob in der Darstellung des leidenden oder des triumphierenden Christus: Er versetzt sich so tief und intensiv in IHN, dass er selbst – im Bestreben, das Geschaute wiederzugeben – völlig zurücktritt. Der Maler, Grafiker und Baumeister Matthias Grünewald – der zuweilen auch als der letzte gotische Maler bezeichnet wird – bevorzugte religiöse Themen.

Vor wenigen Jahren wurde die Renovierung des zwischen 1512 und 1516 entstandenen, zum Weltkulturerbe zählenden Isenheimer Altars, eines der bedeutendsten Werke sakraler Kunst, nach vierjähriger Arbeit abgeschlossen. Ursprüngliche Farben konnten freigelegt werden, das Meisterwerk erstrahlt in neuem Licht. Die Darstellung der Passion Christi wirkt nun noch eindringlicher. Zu den Überraschungen, welche die Renovierung hervorbrachte, zählt auch dies: eine Träne, die sich auf der Wange Mariens andeutet.

Kommen wir damit zu ihr und einer weiteren in Kreuzesnähe dargestellten Person. Der Schmerz Mariens ist – in ihrer Haltung sichtbar – am größten, da ihre Liebe am größten ist, und so ist sie auch jetzt noch, wo Leid sie fast zu erdrücken scheint, ganz nah bei ihrem Sohn. Von ihrem Kopf führt eine gerade Linie zu Maria Magdalena, die auf dem Boden kniet und sich dabei – auf ihre Art – voller Liebe und Mitleid Jesus Christus intensiv zuwendet. Ist nicht auch in der Nähe, im Beistand, Mitleid und der Liebe dieser Augenzeugen die Liebe des Vaters präsent? So unsagbar das Leid ist, die Liebe ist größer, und sie wird triumphal siegen. Dieses grandiose Gemälde führt somit nicht nur die Passion Christi vor Augen, sondern enthält auch die hoffnungsvolle Botschaft, dass die Liebe den Tod überwunden hat.

Adresse: Musée Unterlinden: Place Unterlinden, 68000 Colmar.

Öffnungszeiten: Montag, Mittwoch-Sonntag 9–18 Uhr.

info@tourisme-colmar.com; www.musee-unterlinden.com.

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