“Putin muss glaubhaft abgeschreckt werden”
Die Ukraine ist der “vorderste Rand” der Verteidigung Europas gegen Wladimir Putin, meint der CDU-Europaabgeordnete und Ukraine-Experte Michael Gahler
28.03.2025
Herr Gahler, hat US-Präsident Donald Trump die Ukraine verraten?
Trump hat eine 180-Grad-Wende in der Ukraine-Politik der USA eingeleitet. Das sehen viele als Verrat an. Ich sehe noch nichts Endgültiges, aber eine sehr erratische Politik, die insgesamt schlimm ist für die Ukraine und positiv für Wladimir Putin, der sehr berechnend ist in seiner langfristigen Strategie, die Ukraine als Staat zu zerstören. Ich hoffe noch immer, dass es am Ende gelingt, diesen Krieg in einer Form zu beenden, die dem Völkerrecht und den Interessen der Ukraine dient – und nicht dem Aggressor.
Welchen Frieden will Trump, wenn er den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj demütigt und delegitimiert, dafür aber viele russische Narrative übernimmt?
Ich bin von der Art und Weise, wie Trump und sein Vizepräsident J.D. Vance den ukrainischen Präsidenten Selenskyj behandelt haben, schockiert. Ich kann nur hoffen, dass die Interessen der USA, Europas und der Ukraine nicht unter die Räder kommen. Kurzfristige Scheinerfolge wie ein Schweigen der Waffen dienen der Sache nicht. Ich hoffe, dass noch Vernunft einkehrt und damit auch langfristigen Interessen der Vereinigten Staaten Rechnung getragen wird.
Welche Kompromisse kann die Ukraine um des Friedens willen akzeptieren?
Ich sage grundsätzlich: Nichts über die Ukraine ohne die Ukraine! Europa steht fest hinter der Ukraine und ihren Entscheidungen, sich auf eine Lösung einzulassen. Es ist nicht meine Sache, der Ukraine irgendetwas anzudienen: weder einen Verzicht auf Territorien noch auf eine NATO-Mitgliedschaft. Die Ukraine ist ein souveränes Land und hat jedes Recht, alles zu fordern, was ihr gemäß dem Völkerrecht zusteht: territoriale Integrität und die freie Wahl, in der einen oder anderen internationalen Organisation mitzuwirken. Europa übt im Gegensatz zu Russland keinen Zwang aus. Deshalb ist es auch so attraktiv für die Ukraine.
“Europa übt im Gegensatz zu Russland keinen Zwang aus. Deshalb ist es auch so attraktiv für die Ukraine”
Welche Optionen hat Selenskyj nun noch angesichts der offenkundigen amerikanisch-russischen Annäherung?
Er hat einem Vertrag zugestimmt, der die Nutzung von Rohstoffen in der Ukraine durch die USA ermöglicht. Das hat er akzeptiert. Wir als EU – gemeinsam mit den Briten, Kanadiern und Norwegern – müssen unsere Unterstützung für die Ukraine noch verstärken, und zwar finanziell, humanitär und auch militärisch. Nur weil die USA einen anderen Kurs einschlagen, ändern sich unsere europäischen Interessen nicht. Wir sehen die Ukraine als unseren vordersten Rand der Verteidigung. Deshalb ist es in unserem Interesse, die Ukraine so stark zu machen, dass sie sich nicht nur gegen den Aggressor wehren kann, sondern zu einer Lösung kommt, die ihre Staatlichkeit und Souveränität nicht beeinträchtigt.
Der alternative, europäische Weg zum Frieden wäre also Frieden durch Stärke?
Ja, weil das das einzige ist, was Putin versteht. Immer dann, wenn wir zurückweichen oder auf vermeintliche Kompromisse setzen, marschiert er weiter. Er versteht konziliante Töne als Schwäche. Nur Gemeinschaft, Einheit und Stärke beeindrucken diesen Kriegsverbrecher.
Ist ein stabiler Frieden überhaupt denkbar ohne einen Regimewechsel in Moskau?
Es muss in Russland selbst entschieden werden, was die Zukunft Russlands sein soll. Ein Regimewechsel von außen kommt nicht in Betracht, und es ist auch nicht das Ziel der Ukraine, Moskau zu erobern, sondern ihr legitimes Staatsgebiet wieder unter Kontrolle zu bekommen. Erst wenn durch eine weitere westliche Unterstützung der Ukraine in Moskau klar wird, dass jede weitere Feindseligkeit Russland sehr teuer zu stehen käme, kommt in Moskau die Einsicht auf, dass das Hauptziel der Zerstörung der Ukraine nicht erreichbar ist. Wenn irgendwann einmal Vernunft einkehrt, werden die Russen verstehen, dass auch sie Europäer sind, und nicht nur Erfüllungsgehilfen und Rohstofflieferanten der Chinesen sein müssen. Wenn sich irgendwann ein neues Russland herausbildet, können wir in unseren Beziehungen neu anfangen. Davon sind wir derzeit jedoch sehr weit entfernt. In Russland gibt es viele wunderbare Menschen, die von einem anderen Russland träumen, aber sie sind nicht organisiert und haben berechtigterweise Angst. Wenn die Grundversorgung für die Bürger nicht völlig zusammenbricht, wird es aus meiner Sicht keine Massenproteste geben, die dem Regime gefährlich werden könnten. Wenn, dann wird die Veränderung aus dem Apparat kommen, weil die jüngeren Kräfte eine Zukunft haben wollen. Was die Reichen am liebsten machen, also Einkaufen in Paris, die eigene Jacht ausfahren und das Penthouse in London nutzen, ist ihnen derzeit verwehrt – dafür ist Dubai kein echter Ersatz. Die Oligarchen haben sich sicher diesen Krieg nicht gewünscht, sind aber auch nicht imstande auf das Regime einzuwirken.
Wie ließe sich eine mit Wladimir Putin vereinbarte Waffenruhe absichern? Denn auf Vertrauen wird hier ja wohl niemand setzen?
Technisch etwa mit einer Satellitenbeobachtung des Frontverlaufs. Wir hatten schon 2014 eine OSZE-Beobachtermission im besetzten Donbas. Aber die Erfahrung mit diesem Russland ist, dass es sich nicht an Vereinbarungen hält. Die Ukraine braucht darum robuste Sicherheitsgarantien. Die NATO-Mitgliedschaft wurde ihr bereits 2008 in Aussicht gestellt. Das ist unter Trump nicht realistisch, aber die Ukrainer verlangen berechtigterweise, dass sie nicht wieder in einer Grauzone landen. Deshalb müssen wir robuste Sicherheitsgarantien mitgestalten. Unsere Soldaten werden – nach einem Ende des Krieges wohlgemerkt – sicher nicht in der ersten Reihe stehen. Aber als Friedenssicherungspartei stünden europäische Soldaten und Beobachter in der Etappe. Wichtig sind auch eine Flugverbotszone oder Luftraumüberwachung. Schon jetzt könnten wir als defensive Unterstützung von europäischem Boden aus über der Ukraine anfliegende russische Raketen abfangen. Das wäre völkerrechtlich möglich. Putin muss glaubhaft abgeschreckt, nicht beruhigt werden. Abschreckung ist das Gebot der Stunde, um künftig der Ukraine und dem Westen eine Wiederholung der Aggression Russlands zu ersparen.
“Die Erfahrung mit diesem Russland ist, dass es sich nicht an Vereinbarungen hält. Die Ukraine braucht darum robuste Sicherheitsgarantien”
Welche Länder wären noch unmittelbar bedroht durch Moskau? Auch NATO-Staaten wie das Baltikum und Polen?
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Wenn ein Quadratzentimeter NATO-Gebiet angegriffen wird, werden wir alle angegriffen. Natürlich ist Putin eine Gefahr für uns, denn es handelt sich um einen systemischen Konflikt zwischen Demokratie und Diktatur, zwischen Rechtsstaat und Willkür. Dieser Konflikt wird nicht durch einen Waffenstillstand beendet. Dieses Russland produziert innerhalb von sechs Monaten etwa so viele Rüstungsgüter, wie die gesamte Bundeswehr in ihrem Bestand hat. Die Hälfte davon wird von der Ukraine zerstört, die andere Hälfte aber nicht. Im Fall eines Waffenstillstands wird Putins Kriegswirtschaft weiterlaufen, weil sie die Leute in Arbeit hält. Damit wird seine militärische Übermacht weiter anwachsen. Nach seiner Logik wird er uns dann wohl testen!
Was ist Putins Endziel?
Er will die Wiederherstellung des Russischen Reiches mit einem Vorhof, in dem er Macht ausüben kann: eine Neuauflage des Warschauer Paktes.
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