Nach Rembrandt drängt, an Rembrandt hängt doch alles

Rembrandt ist es auch, dem das Frankfurter Städel drei Jahre nach der letzten Werkschau, die 2021 ein Publikumsmagnet war, jetzt wieder eine Ausstellung widmet

Quelle
Goethe-Haus – Wikipedia
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Ausstellung im Städel Frankfurt: Wie Rembrandt mit dem Bild des “Goldenen Amsterdams” aufräumte | hessenschau.de | Kultur
Gewinnspiele: Rembrandts Amsterdam – Goldene Zeiten?

17.02.2025

Henry C. Brinker

In Goethes Geburtshaus in Frankfurt herrscht ganzjährig Hochbetrieb, das Lebensbild einer wohlhabenden Familie der Barockzeit interessiert auch Chinesen. Der nahe Römerberg, zentraler Platz mit Rathaus, Kaisersaal und Dom, gilt als Herz der Stadt mit dem Adler und bezeugt den wirtschaftlichen Aufstieg über die Jahrhunderte. Handel und Buchdruck ließen Frankfurt ab dem 15. Jahrhundert groß werden. Unweit des Römer-Ensembles die Paulskirche, wo die Nationalversammlung 1848 den deutschen Verfassungsstaat begründete.

Überall kontrastiert Nachkriegsmoderne und neueste Gewerbe- und Büroarchitektur aus Glas und Stahl mit lediglich historisierendem und wenigen tatsächlich alten Bauten. Bunte Touristen ziehen in geführten Gruppen vorbei, bürograue Geschäftsleute hasten zu ihren Terminen. Vor offenen Passageneingängen und auf Bänken unter noch kahlen Platanen bilden Bettler und Junkies das für viele Metropolen typische Kontrastprogramm. Über eine elegante Fußgängerbrücke, entworfen von Albert Speer, Sohn von Hitlers Stadtplaner und Rüstungsminister, geht es zum Museumsufer mit dem berühmten Städel und seiner stolzen Sammlung, zu der etwa Tischbeins ikonisches “Goethe in der Campagna” gehört.  Die Moderne ist vom Expressionismus bis zur Gegenwart erstklassig vertreten, bekannte Rembrandt-Gemälde wie die schockierend-imposante “Blendung Simsons” belegen die weit zurück reichende Sammlungsgeschichte.

Rembrandt ist es auch, dem das Frankfurter Städel drei Jahre nach der letzten Werkschau, die 2021 ein Publikumsmagnet war, jetzt wieder eine Ausstellung widmet. Im Mittelpunkt steht nicht der Maler selbst, sondern “seine” Stadt Amsterdam, in der er 1624 und dann von 1631 an zu Hause war. Amsterdams Entwicklung ist zu dieser Zeit eng verwandt mit der von Frankfurt. Wirtschaftliche Prosperität und eine funktionierende politische Ordnung bilden die Voraussetzung für die Entwicklung der Künste. Die Schattenseiten des Reichtums sind Armut und Krankheit, ihre Bekämpfung macht sich ein verantwortungsbewusstes Gemeinwesen zur Aufgabe der Mächtigen und Vermögenden. “Rembrandts Amsterdam – Goldene Zeiten?” heißt denn auch beziehungsreich fragend die große Kunst-Schau am Mainufer. Gleich zu Anfang eröffnet eine Bewegtbild-Präsentation mit Rembrandt als Ich-Erzähler die Perspektiven auf die Stadt, um die es in der Ausstellung geht. Geografie und Architektur, Geschichte und Gesellschaft verschmelzen zum Gesamtbild eines neuzeitlichen Lebens. Stark von der Globalisierung geprägt, war Amsterdam damals die drittgrößte Hafenstadt Europas. Technik und Wissenschaft entwickelten sich sprunghaft, die Bevölkerung wuchs im sogenannten “Goldenen Zeitalter” um das Fünffache, heute ächzt die Stadt schon unter dem Zuwachs von zwanzig Prozent in den letzten zehn Jahren.

Land der Maler, Land am Deiche

In den umgebenden Niederlanden schufen etwa 700 Malerwerkstätten jährlich 70 000 Gemälde, ein weltweit einzigartiges Phänomen. Das Land der Malerei blieb auf diesem Gebiet lange einflussreich. Goethes Vater war ein Sammler von Landschaften im niederländischen Stil, sie sind noch heute im Goethehaus zu besichtigen. Die Kehrseite des Goldenen Zeitalters war jedoch trist, nicht nur in Amsterdam. Ebenso rasant wir die global vernetzte Ökonomie, über 600 Amsterdamer Partnerhäfen weltweit, entwickelte sich ein unüberschaubares, städtisches Proletariat. Waisen und verarmte Frauen, die in die Prostitution flohen, Krüppel und geistig Behinderte, Vagabunden, Alkoholopfer und alle Arten von Kriminellen bildeten die Staffage-Figuren einer metropolitanen Subkultur, eine Dreigroschenoper auf Niederländisch. Rembrandt nahm diese Realität auf und spiegelte sie in seiner Kunst. Emphatisch widmete er sich den Sujets rund um die Opfer des vorindustriellen Frühkapitalismus und verlor sie auch dann nicht aus den Augen, wenn sie bereits der Tod ereilt hatte. Aus dem New Yorker Metropolitan Museum fand die Rembrandt-Zeichnung der hingerichteten Elsje Christiaens den Weg ins Städel. Erst vor gut einem halben Jahrhundert konnte der erbarmungswürdige Fall der 18-jährigen rekonstruiert werden. Im Streit um die Miete hatte die junge Dänin, so die Anklage, ihre Hauswirtin erschlagen. Ein dreitägiger Prozess sollte den chaotischen Tathergang klären, die Hinrichtung erfolgte wenig später. Die erdrosselte Leiche wurde bis zur Verwesung zur Schau gestellt, als Mahnmal dafür, dass in Amsterdam Recht und Ordnung herrschten. Es ist aber anzunehmen, dass die Stadt gerade darunter litt, dass sich bei der explodierenden Einwohnerzahl eine gewisse Gesetzlosigkeit nur schwer eindämmen ließ. Jährlich gab es über 20 Gerichtstage, die für öffentliche Hinrichtungen angesetzt waren. Ein Kriminalfall und das Todesurteil als Kunstmotiv: das kundige Frankfurter Ausstellungspublikum fühlt sich beim Fall der Elsje Christiaens auch an Susanna Margaretha Brandt erinnert, bei der es um einen Kindsmord ging. Die Frankfurter Magd diente Goethe zusammen mit dem Fall Maria Flint als Vorbild für die Gretchentragödie in seinem Faust.

Die Freude an der Repräsentation ließen sich die Amsterdamer Stadtoberen dennoch nicht verleiden, im Gegenteil. Die einflussreichen, schnell wachsenden Bürgergesellschaften der Gewehr-, Bogen- und Armbrustschützen, ehedem ein wichtiger Faktor der Heimatverteidigung, schufen eine rege Nachfrage nach Gruppendarstellungen mit den Porträts der stolzen Schützenbrüder, die sogenannten “Schützenstücke”. In fast ermüdendem Umfang zeigt die Städel-Ausstellung die großformatigen Bilder und ihre Entwicklung vom dokumentarisch aufgestellten Personal-Tableau bis zum ästhetisch anspruchsvoll komponierten Raumbild mit fantasievoll variierten Personen-Arrangements. Das bekannteste Werk dieser Gattung markiert dabei zugleich das Ende eines überkommenen Bildtypus, Rembrandts “Nachtwache”. Wie die Mona Lisa des Louvre geht dieses Meisterwerk nie auf Reisen. Das Amsterdamer Rijksmuseum, so sagt man, wurde um dieses Glanzstück herum errichtet. Gleichwohl ist in Frankfurt die Nachtwache als kleine Kopie eines Zeitgenossen zu sehen. Rembrandts Bild der Schützengilde besticht durch die Kühnheit der Komposition wie durch den Erzählreichtum der Szenerie. Gegen die Leserichtung entwickelt sich der Schwung der Gruppe mit dem bestimmenden Kapitän Frans Banninck Cocq eher von rechts nach Mitte links, nimmt dabei aber aus der gesamten Bildtiefe unterschiedliche Energien auf, etwa vom bellenden Hund oder dem schlagenden Trommler, von den Fahnenschwenkern bis zum Musketier, der seinen Vorderlader stopft.

Auf einer großformatigen Darstellung repräsentativer Geselligkeit im Hakenbüchsen-Schützenhaus zeigt Bartholomäus van der Helst seine Helden beim genussvollen Austernschlürfen. Auch der damals wertvoll-exotische Spritzer Zitrone auf die geöffnete Meeresfrucht darf nicht fehlen: Die leeren Austernschalen auf dem Boden symbolisieren Ausschweifung, die saure Zitrone Mäßigung. Im Hintergrund ist die Wirtin Geertruyd Nachtglas bei der Bedienung zu erkennen. Nach dem Tod des Vaters war sie es, die die Schützenbewirtschaftung übernahm und es so zu großem Wohlstand brachte. Übrigens aß man zu dieser Zeit nicht nur an der Küste Austern. Auf Bildern des Frankfurters Georg Flegel aus dieser Zeit tauchen ebenfalls Austern auf.

Keine Kunst ohne Religion

Auch religiöse Motive finden sich auf vielen Bildern. Neben dem virtuos-dramatischen Rembrandt-Bravourgemälde der Blendung Simsons scheinen die Glaubenswelten der nachreformatorischen Zeit vielgestaltig auf. Aus katholischer Zeit – in Amsterdam galt auch nach der Reformation Religionsfreiheit – stammt das silberne Weingefäß mit der Patronatsfigur des heiligen Georg, als bedeutungsvolles Requisit herausgestellt auf einem Schützenbild. Die katholischen Werke der Barmherzigkeit schildern die Maler der protestantischen Auftraggeber über die Darstellung von Kindern, die in den traditionsreichen Waisenhäusern mit Kleidung, Nahrung und Bildung versorgt werden.
Dezidiert religiöse Inhalte finden sich in zahlreichen, berühmten Rembrandt-Radierungen. Das 100-Gulden-Blatt heißt deshalb so, weil es damals diese Preis-Schallmauer für den bedruckten Papierbogen durchbrach. Heute werden für einen guten Abzug aus der Zeit bei Versteigerungen über 50 000 Euro gezahlt. Der predigende Jesus ist auf dieser Radierung im Glanz überirdischer Helligkeit dargestellt, so wie es nur ein Meister der Radierung, wie Rembrandt es war, vermag. Da scheint Licht auf, wo keines ist, geradezu magisch umgesetzt in der schwarz-weißen Drucktechnik dieser vervielfältigten Kunst.

Neben der Kunst erlebte im Amsterdam des Goldenen Zeitalters auch die Wissenschaft, insbesondere die Medizin, eine Blüte. Mit dem Denken der Neuzeit nahm der einzelne Mensch sich stärker als Subjekt mit Eigenverantwortung wahr, auch ohne mit der Würde eines geistlichen oder weltlichen Amtes ausgestattet zu sein. Gleichzeitig objektivierte das Subjekt Mensch seinen Körper im Umgang mit Krankheit und Tod. Die Heilkunst stellte sich offen und ohne falschen Zauber als Wissenschaft den Herausforderungen von Krankheit und Verletzungen. Epidemien und Kriege ließen den Tod allgegenwärtig sein und beförderten die Bereitschaft, über die Toten für die Lebenden zu lernen. Anatomische Vorlesungen wurden später sogar zum touristischen Highlight, wie es der Ausstellungskatalog süffisant formuliert. Rembrandts berühmtes Bild “Die Anatomie des Dr. Tulp” von 1632 ist als kleine Skizze zu sehen, im Original gezeigt wird das später entstandene Fragment “Anatomie-Vorlesung des Dr. Jan Deijman”. Auf dem Seziertisch liegt mit geöffnetem Bauchraum ein hingerichteter Delinquent. In der perspektivischen Verkürzung des Leichnams nimmt der Maler Bezug auf Mantegnas Grablegung Christi und stattet auch diesen Toten mit der Würde des Menschensohns aus.

Rembrandts Amsterdam – Goldene Zeiten?, Städel Museum Frankfurt bis 23.3.2025.

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