D: “Wer, wenn nicht die Kirchen?”
Jährlich erinnert Dresden an die Zerstörung der Stadt in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945. Doch das Gedenken an die Zerstörung in Nazi-Deutschland polarisiert
Quelle
Frauenkirche Dresden
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Von CNA D
Der Pfarrer der Frauenkirche, Markus Engelhardt, sieht die Kirchen am Zug. Seine wiederaufgebaute Kirche verstehe sich als Friedensort, den es überhaupt nur deshalb gebe, weil frühere Feinde sich versöhnt und dann zusammengearbeitet hätten. Das sagte der evangelische Geistliche dem Kölner Internetportal domradio.de an diesem Donnerstag.
Interview
Sie sind kein Zeitzeuge, aber Sie sind nah dran an der Frauenkirche und ihrer Geschichte. Mit welchen Gedanken und Gefühlen gehen Sie in diesen Tag?
“Mit sehr ambivalenten Gefühlen. Ich bin erst seit knapp vier Jahren hier und habe vorher in Freiburg gelebt. Auch Freiburg hat gewissermaßen seinen 13. Februar: das war dort der 28. November 1944. Die Freiburger Innenstadt wurde, ähnlich wie Dresden, dem Erdboden gleichgemacht. Nur anders als die Frauenkirche hat das Freiburger Münster, also das Freiburger Wahrzeichen, wie durch ein Wunder überlebt. Vielleicht auch deshalb wird dieser Tag in Freiburg, der sich dort auch sehr ins allgemeine Gedächtnis eingegraben hat, ganz anders begangen. Auch mit Ernst und Trauer, aber gleichzeitig ganz friedlich und gelassen und mit einer klaren Gesamtdeutung, warum es zu diesem Tag gekommen ist.
Als ich hierherkam, habe ich erlebt, dass all diese Dinge hier hoch umstritten sind und dass eine dumpfe, drückende Atmosphäre an diesem Tag über der Stadt liegt. So erlebe ich das als Nicht-Dresdener. Das empfinde ich als schwierig und bedrückend, aber so ist das hier eben.”
“Es gibt einen großen Stolz der Dresdener auf die wiederaufgebaute Frauenkirche”
Wenn in Köln der Dom weggebombt würde, würde diese Stadt garantiert in eine kollektive Depression verfallen. Ist das irgendwie vergleichbar? Gibt es eine Identifikation der Bewohnerinnen und Bewohner mit der Frauenkirche?
“Das ist eine interessante Frage. Ich glaube, darauf kann man nur mit einem klassischen Jein antworten. Natürlich ist die Identifikation der Dresdener mit der Frauenkirche eine hohe, weil sie als das Wahrzeichen das berühmte Stadtbild, den sogenannten Canaletto-Blick, krönt. Darauf sind die Dresdener enorm stolz und das hat Dresden weltberühmt gemacht. Dementsprechend war es ein ganz großes Ereignis für die Dresdenerinnen und Dresdener, dass diese Kirche wieder so aufgebaut wurde, wie sie einmal war.
Gleichwohl würde ich sagen: Nein, man kann es nicht damit vergleichen, wenn der Kölner Dom zusammenstürzen würde. Denn in Köln kommt auch das religiöse Moment dazu. Bei aller Säkularisierung und Entkirchlichung, die es auch im katholischen Rheinland inzwischen gibt, herrscht immer noch eine Volksreligiosität und der rheinische Volkskatholizismus. ‘Mer losse d’r Dom en Kölle’ und was es da alles gibt, was die Menschen auf einer ganz emotionalen Ebene mit diesem Bauwerk verbunden sein lässt. Das haben wir hier so nicht.
Dass wir von außen auch als eine Kirche und nicht einfach nur ein berühmtes Wahrzeichen wahrgenommen werden, müssen wir gewissermaßen jeden Tag neu erarbeiten. Es gibt einen großen Stolz der Dresdener auf die wiederaufgebaute Frauenkirche. Aber mit Freiburg kann man das zum Beispiel auch nicht vergleichen, wo tausende Menschen Mitglied im Münsterbauverein sind und sich da verantwortlich fühlen.”
“Diese Städte sind Opfer geworden, weil Deutschland seinerseits Länder und andere Städte auf schreckliche Weise zum Opfer gemacht hat”
Sie sind um eine Art der Erinnerungskultur bemüht, die auch eine andere Richtung aufzeigt als die Opferperspektive. Wie nämlich?
“Wir gehen von der besonderen Dresdener Erfahrung aus, dass diese Opferperspektive seit Jahrzehnten nun politisch missbraucht und instrumentalisiert wird, indem das Narrativ erzählt wird, Dresden sei ein unschuldiges Opfer gewesen. Dabei wird Dresden symbolisch für alle deutschen Städte herangezogen, die bombardiert wurden. Am Ende wird daraus die Aussage gemacht: Auch Deutschland ist Opfer gewesen. Das ist Jahr für Jahr in Dresden zu hören, wenn Neonazis und Rechte aufmarschieren.
Aus unserem Selbstverständnis als Friedensort heraus, den es überhaupt nur deshalb gibt, weil frühere Feinde sich versöhnt und dann zusammengearbeitet haben, müssen wir uns dem zur Wehr setzen. Zu diesem 80-jährigen Gedenken haben wir deshalb einen Erinnerungsbogen geschlagen, indem wir die drei markanten Daten – 27. Januar, 13. Februar und den 8. Mai als Tag der Kapitulation und des Kriegsendes – in einem Zusammenhang sehen.
Wir machen deutlich, dass Dresden in gewisser Weise ein Opfer gewesen ist, so wie das in gleicher Weise für alle deutschen Städte gilt, die mehr oder weniger stark zerstört worden sind. Aber diese Städte sind Opfer geworden, weil Deutschland seinerseits Länder und andere Städte auf schreckliche Weise zum Opfer gemacht hat.”
Zu diesem 80-jährigen Gedenken haben wir deshalb einen Erinnerungsbogen geschlagen, indem wir die drei markanten Daten – 27. Januar, 13. Februar und den 8. Mai als Tag der Kapitulation und des Kriegsendes – in einem Zusammenhang sehen”
Sie haben die Ausstellung von Luigi Toscano “Gegen das Vergessen” vor der Kirche. Bewusst lassen Sie diese Ausstellung auch noch über den Gedenktag der Bombardierung stehen. Im Rahmen dieser Ausstellung hat auch Renate Aris, jüdische Überlebende des Holocaust, bei Ihnen gesprochen. Was für eine Beziehung hat sie zur Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945?
“Frau Aris hat den Satz gesagt: ‘Der 13. Februar, der für viele Dresdner den Tod gebracht hat, hat für mich das Leben gebracht’. Was meint sie damit? Drei Tage später, am 16. Februar, hatte ihre Familie den Deportationsbescheid. Sie hätten sich am Leipziger Bahnhof einfinden müssen und wären nach Auschwitz deportiert worden, in den sicheren Tod.
Wie nur wenigen anderen jüdischen Dresdenern hat ihnen das allgemeine Chaos bei der Zerstörung Dresdens die Möglichkeit gegeben, sich den Judenstern abzureißen, durch das Chaos dieser Stadt zu irren und nach zwei Tagen am Rande Dresdens im Haus einer befreundeten Familie Unterschlupf zu finden. Dort konnten sie sich drei Monate bis zur Kapitulation versteckt halten.
Sich das klar zu machen, dass der 13. Februar, der hier in Dresden mit Inferno und Schrecken und Tod und Vernichtung konnotiert wird, für diese Menschen ein lebensrettender Tag war, ist eine ungeheuerliche und gleichzeitig aber eine wahre Feststellung. Ich war wirklich dankbar, dass ich das hören konnte.”
“Wir leben im Moment in Zeiten, wo auch dem Gedanken des vereinten Europas von rechts heftiger Gegenwind ins Gesicht bläst”
Die Stiftung Frauenkirche, bei der Sie auch in der Geschäftsführung sind, hat ganz oben in ihrem Zweck stehen, dass die Frauenkirche den Willen der Länder und Kirchen zum Aufbau eines gemeinschaftlichen Europas symbolisiert. Wie ist es denn eigentlich in den heutigen Zeiten mit politischem Rechtsruck und populistischen Tendenzen überall? Ist das ein besonders schwieriges Unterfangen?
“Das ist sicherlich ein besonders schwieriges Unterfangen und auch ein sehr hehres Ziel. Manchmal denke ich, die Menschen, die diese Satzung damals erschaffen haben, waren sehr selbstbewusst, dass sie diesem Ort solch eine zentrale Rolle zugetraut haben. Ob wir dem immer so gerecht werden, ist natürlich schwer zu entscheiden.
Aber Sie haben schon recht. Wir leben im Moment in Zeiten, wo auch dem Gedanken des vereinten Europas von rechts heftiger Gegenwind ins Gesicht bläst. Umso wichtiger ist es, dass zum Beispiel an einem solchen Tag auch die anglikanische Kirche durch den Dean of Coventry bei uns ist und diese Verbundenheit wieder gestärkt wird.
Bei all den Fliehkräften, die das vereinte Europa im Moment hinnehmen muss: Wer, wenn nicht die Kirchen, kann über ideologische Grenzen hinweg versuchen, diesem an sich großartigen Gedanken wieder Leben einzuhauchen? Mit einer russischen Kirche geht das aus bekannten Gründen nicht. Aber viele andere Kirchen sind von ihren friedensethischen Überzeugungen so, dass sie im Moment eine Kraft entwickeln können, die die Politik, die aktuell ständig in der Defensive ist, im Moment so gar nicht hat.”
Das Interview führte Uta Vorbrodt.
domradio – sk, 13. Februar 2025
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