Zankapfel Hans Urs von Balthasar

Bischof Bätzing will Hans Urs von Balthasar für den Synodalen Weg vereinnahmen. Doch dessen Verlag wehrt sich

Quelle
Hans Urs von Balthasar

27.07.2024

Michael Karger

Auf der Website des Johannes Verlags findet sich die unscheinbare Notiz: “Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Johannes Verlags distanzieren sich von der Unterstellung, die Bischof Georg Bätzing im Buch Rom ist kein Gegner, S. 25-26, äußert, Hans Urs von Balthasars Ämterverständnis hätte sich – würde er noch leben – in den letzten 36 Jahren in derselben Richtung entwickelt wie sein eigenes, und weisen diese Instrumentalisierung Balthasars zu Zwecken des Synodalen Weges zurück.”

Dazu muss man wissen, dass der vom Schweizer Theologen Hans Urs von Balthasar (1905–1988) gegründete Johannes Verlag Teil des ebenfalls von Balthasar zusammen mit der Schweizer Ärztin und Konvertitin Adrienne von Speyr (1902–1967) ins Leben gerufenen Säkularinstituts Johannesgemeinschaft ist. Zweck des Verlages ist, die Werke von Adrienne von Speyr, sowie das Gesamtwerk von Balthasars verfügbar zu halten. Balthasar und von Speyr verstanden sich als “Doppelsendung”, eine an der jesuitischen Weltoffenheit orientierte Gemeinschaft zu gründen, deren Mitglieder die evangelischen Räte Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam in der Welt leben und einem Beruf nachgehen. Da Balthasar vom Jesuitenorden nicht für den Aufbau seiner Weltgemeinschaft freigestellt wurde, verließ er 1950 schweren Herzens diese “über alles geliebte Heimat”.

Fortan lebte Balthasar als freier Autor, Verleger und Exerzitienmeister in Basel. Nach Meinung des Balthasarkenners Manfred Lochbrunner war es ein Vortrag 1977 in Gengenbach vor Priesteramtskandidaten aus Freiburg, der Balthasar dazu bewogen habe, der Johannesgemeinschaft neben den Laienzweigen für Frauen und Männer einen priesterlichen Zweig anzufügen. Hier kommt nun der damalige Subregens des Trierer Priesterseminars, Felix Genn, ins Spiel. Genn, von der Theologie Balthasars begeistert, brachte zahlreiche Seminaristen aus Trier zu den Treffen in Gengenbach mit. Unter ihnen war auch Georg Bätzing. Balthasar sah sich angesichts der eher bescheidenen Entwicklung seines weiblichen Zweiges und dem weitgehenden Ausbleiben von Interessenten an seinem Laienzweig für Männer einem überraschend großen Interesse an seiner Theologie seitens deutscher Priesteramtskandidaten gegenüber. Dabei mag er sich auch getäuscht haben hinsichtlich der Motive Einzelner. Zunächst als Subregens (1978–1985) und anschließend als Spiritual (bis 1994) warb Genn für Balthasar und die Johannesgemeinschaft in Trier.

Öffentliche Distanzierung weist auf starke Spannungen hin

Balthasar, hochgeschätzt von Kardinal Ratzinger und Papst Johannes Paul II., war als rechtgläubiger Denker kein Hindernis für eine innerkirchliche Karriere. Balthasar publizierte die Promotionsschrift von Genn “Trinität und Amt nach Augustinus” 1986 in seinem Verlag. Im selben Jahr erschien auch die Diplomarbeit des Seminaristen Georg Bätzing “Die Eucharistie als Opfer der Kirche“ – empfohlen von Genn – im Johannesverlag. Genn stellte Balthasar 1987 auf dem Anwesen seiner Eltern in der Eifel ein Gebäude als Bücherlager des Johannesverlages zur Verfügung. Hinsichtlich Mitgliederzahlen und Personalien ist die Johannesgemeinschaft recht zugeknöpft, aber es darf als gesichert gelten, dass folgende Bischöfe Mitglieder  waren oder sind beziehungsweise ihr nahegestanden haben: Felix Genn (1999 Weihbischof in Trier, 2003-2009 Bischof von Essen, seit 2009 Bischof von Münster) ist der Leiter des priesterlichen Zweiges der Johannesgemeinschaft, der um die 50 Priester aus Deutschland, Polen, Nord- und Südamerika angehören sollen.

Unter ihnen befinden sich auch mehrere Bischöfe: Stefan Ackermann (zuerst Subregens, dann Regens, seit 2009 Bischof von Trier); Jörg Michael Peters (Priesterweihe 1987, Weihbischof in Trier seit 2004); Robert Brahm (Priesterweihe 1984, Subregens, Weihbischof in Trier seit 2004); Helmut Dieser, (Priesterweihe 1989, Promotion 1989 “Der gottähnliche Mensch und die Gottlosigkeit der Sünde zur Theologie des Descensus bei Hans Urs von Balthasar”, 2011-16 Weihbischof in Trier, seit 2016 Bischof von Aachen). Mit seiner Aufnahme 2013 als Nachfolger von Kardinal Meisner in die Kongregation für die Bischöfe konnte Felix Genn auch auf die Bischofsernennungen in Deutschland Einfluss nehmen, zumal der Präfekt der Bischofskongregation von 2010 bis 2023, Kardinal Marc Ouellet, zugleich das ranghöchste Mitglied der Johannesgemeinschaft ist. Somit deutet die öffentliche Distanzierung des Verlages auf starke Spannungen zumindest innerhalb des priesterlichen Zweiges hin.

Einseitig optimistisches Menschenbild blendet Kreuzestheologie aus

Alle genannten Bischöfe sind unter der Führung von Bätzing klare Unterstützer der Beschlüsse des Synodalen Weges auf dem Weg zur Einführung einer neuen Kirchenstruktur, dem System der Synodalen Räte auf allen Ebenen. Dass dieser schwerste Angriff auf die Kirchenstruktur in Deutschland seit der Reformation von Bischöfen ausgeht, die sich durch Nähe zur Theologie Balthasars und zur Spiritualität der Johannesgemeinschaft empfohlen haben, scheint kaum nachvollziehbar. Auch der aus Köln stammende Erzbischof von Hamburg, Stefan Heße, hat durch eine Promotion über Balthasar auf sich aufmerksam gemacht: “Berufung aus Liebe zur Liebe: auf Spurensuche nach einer Theologie der Berufung unter besonderer Berücksichtigung des Beitrags von Hans Urs von Balthasar” (2001). Statt Christus zu repräsentieren, sollen Priester und Bischöfe auf dem Weg der Selbstentmachtung zu austauschbaren Funktionären des demokratischen Rätewillens werden, denen die Abwahl droht, sobald sie eine geschlechtergerechte und diverse Besetzung aller kirchlichen Ämter infrage stellen.

Erlösungsbedürftigkeit und Kreuzestheologie werden durch ein einseitig optimistisches Menschenbild ausgeblendet. Bätzing, der sich in seinem Interviewbuch als aus der Eucharistie lebender “Fronleichnamspriester” darstellt, hat als Unterzeichner des Ökumenepapiers “Gemeinsam am Tisch des Herrn” die unterschiedslose Zulassung aller Getauften zur Interkommunion propagiert und durch die Vergleichgültigung des Bekenntnisglaubens die Einheit von eucharistischer Kirchenstruktur und Bekenntnis aufgehoben. Bätzing, der sich von seinem Interviewer bescheinigen lässt, “er verstehe zu vermitteln” und habe sich “als Moderator der polarisierten Bischofskonferenz hervorgetan”, lässt keine Gelegenheit aus, unangepasste Mitbrüder als strukturell missbrauchsfördernde Klerikalisten zu bezeichnen. Mit der Übertragung des modernen Autonomiegedankens auf die natürliche Vorgabe des Geschlechts und der Propagierung fließender Identität mit frei wählbarer Geschlechtsbestimmung wird faktisch eine “Natur” des Menschen geleugnet und das Personsein unterminiert. Dieser zentrale Schnittpunkt von theologischer Anthropologie, Christologie und Sakramentenlehre bei Balthasar macht Bätzing zu schaffen.

Balthasar wird seiner Theologie beraubt

Im Namen der Autonomie des Denkens als oberster Norm darf dieser Standpunkt nicht einmal mehr bestehen bleiben, sondern wird einfach als überholt aufgelöst: “Ich bin davon überzeugt, dass Balthasar 36 Jahre nach seinem Tod seine Ämtertheologie selbst auch kritisch sehen und nicht eins zu eins ohne weitere Entwicklung wiederholen würde. Manche sind schockiert, wie ich als von Balthasar geprägter Theologe heute diese oder jene Ansicht (…) vertreten könne. (…) Wenn dieser Mann noch heute leben würde, hätte er sich und seine Theologie bestimmt auch weiterentwickelt. (…) Ich bin sehr dankbar, diesem Mann begegnet zu sein – gerade auch in seiner Autonomie”. Mit diesem rhetorischen Trick wird nicht nur Balthasar seiner Theologie beraubt, sondern insgesamt das Katholische zu einem bloßen äußeren Namen gemindert, der durch keinen Wahrheitsanspruch mehr gedeckt ist. Am Ende steht der Agnostizismus, die Leugnung der Erkennbarkeit der Wahrheit. Damit schlägt aber der geforderte Pluralismus, wie der Dogmatiker Leo Scheffczyk (1920–2005) gezeigt hat, in einen “neuen Uniformismus” um: “Das die Uniformität erzwingende Moment liegt nun nicht mehr in der Anerkennung der Wahrheit, sondern in der Überzeugung von ihrer Unerkennbarkeit und ihrer Bedeutungslosigkeit”.

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