Nicaragua droht linke Willkürherrschaft

Das lateinamerikanische Land ist nach der Präsidentschaftswahl tief gespalten

Die Politik hat schon oft versucht, die Kirche zu instrumentalisieren.

Die Tagespost, 28.11.2011, von Michael Gregory

Nicaraguas linker Langzeitherrscher Daniel Ortega gerät nach seinem umstrittenen Sieg bei der Präsidentschaftswahl am 6. November immer stärker unter Druck. Bei Zusammenstössen zwischen Sicherheitskräften, Anhängern und Gegnern der sandinistischen Partei Ortegas sind vier Menschen ums Leben gekommen. Zehn weitere wurden nach Angaben der Polizei verletzt.

Bei der Wahl wurde Präsident Ortega mit 62,65 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Sein stärkster Konkurrent, der Liberal-Konservative Fabio Gadea kam auf 30,9 Prozent. Er sprach von Wahlbetrug und erklärte, das Ergebnis nicht anzuerkennen. Auch ein weiterer Kandidat, Arnoldo Aleman, der sechs Prozent der Stimmen bekam, lehnte das Wahlergebnis ab. Wahlbeobachter aus der EU und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) berichteten von Behinderungen ihrer Arbeit während des Urnengangs sowie von Unregelmässigkeiten, ohne aber das Ergebnis insgesamt in Frage zu stellen.

Ist die Wahl in Nicaragua eine weitere Etappe des seit Jahren anhaltenden Linksrucks in vielen Ländern Lateinamerikas? Manches deutet jedenfalls darauf hin, dass sich der zentralamerikanische Staat nach mehr als 20 Jahren Demokratie und relativer politischer Stabilität dorthin zurückentwickelt, wo er in den 70er und 80er Jahren bereits gestanden hatte: in einem Zustand scharfer politischer Polarisierung.

Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied. Damals stand das Land unter der Knute des rechtsgerichteten Somozaregimes, nun droht eine linke Willkürherrschaft. Schon im Vorfeld der Wahl hatte Ortega dafür gesorgt, dass nichts anbrennen konnte. So werfen Opposition und auch ausländische Beobachter ihm und seiner Frau, der Dichterin Rosario Murillo, vor, die Verfassung zu beugen und eine Familiendiktatur errichten zu wollen. Auch Luis Núnez, Chef der EU-Wahlbeobachter, kritisierte die oberste Wahlbehörde (CSE), die eigentlich unabhängig sein sollte, tatsächlich aber unter der Führung des engen Ortega-Vertrauten Roberto Rivas steht. Dessen Behörde habe die Beteiligung von 60 000 nationalen Beobachtern verhindert und tausende Wahlausweise mit Absicht zurückgehalten.

Um seine Wiederwahl sicherzustellen, verstösst Ortega zudem gegen die Verfassung, da er bereits zweimal Präsident war. Ein Präsident darf aber nicht unmittelbar im Anschluss an seine Amtszeit erneut kandidieren. Ortega verlängerte per Dekret die Mandate der ihm hörigen Mitglieder der CSE, und im November 2008 brachte er zahlreiche Städte, darunter die Hauptstadt Managua, durch einen angeblich massiven Wahlbetrug unter seine Kontrolle.

Doch es mehren sich die Klagen derer, die der Herrschaft Ortegas überdrüssig sind. Selbst unter Linken ist der weltweit lange Zeit als Idol verehrte Revolutionsführer umstritten. Wenn man nicht “Danielista” sei, so berichtet ein Blogger im Internet, dürfe man dies in Nicaragua nicht öffentlich machen, es sei ein Tabuthema. Mit anderen Worten: Der Personenkult um Ortega und sein zunehmend autoritärer Führungsstil isoliert das mit beachtlichen Entwicklungspotenzialen ausgestattete Land, vor allem in der Landwirtschaft, immer mehr. Und die Kritik aus den eigenen Reihen wird schärfer. Einige ehemalige Ortega-Getreue haben eine “Sandinistische Erneuerungsbewegung” (MRS) gegründet. Auch sie erkennen die Wiederwahl nicht an. “In seinem Streben, eine Diktatur zu errichten, wird Ortega wohl überhaupt keine Wahlen mehr einberufen, weil er niemanden mehr braucht”, sagt die frühere Guerrilla-Anführerin María Téllez. “Wir haben diesen Teil der Geschichte schon einmal erlebt, in der Somoza-Diktatur.”

Doch Ortega ist es immer wieder gelungen, neue Allianzen zu schmieden. Die katholische Kirche – rund 80 Prozent der 5,7 Millionen Nicaraguaner sind katholisch – geriet wiederholt in die Strudel machtpolitischer Auseinandersetzungen – allerdings unter wechselnden Vorzeichen, und oft stand sie mit dem Rücken zur Wand. Besonders in der jüngsten Geschichte des Landes war sie von Bedeutung. So wandte sich der spätere Kardinal und Erzbischof von Managua, Miguel Obando y Bravo SDB, bereits Anfang der siebziger Jahre gegen die Somoza-Diktatur. In der Kirche fand der demokratische Widerstand starken Halt. Während Ortegas erster Herrschaftsperiode in den achtziger Jahren etwa waren politisch aktive Gläubige und Priester starken Repressionen ausgesetzt. Zugleich versuchte die Regierung unter Ortega, durch Einrichtung der sogenannten “Volkskirche” (iglesia popular) die eigene Politik christlich zu rechtfertigen und propagandistisch zu stützen – was heute stark an die Vorgänge in China erinnert. Prominentester Vertreter der iglesia popular war Ernesto Cardenal.

Diese Bewegung, die von linksgerichteten Theologen in Westeuropa und von den Regierungen in Kuba, der DDR und der Sowjetunion ideologisch unterstützt wurde, ist von Papst Johannes Paul II. während seines viel beachteten Besuchs im Jahr 1983 öffentlich gerügt worden. Romtreu wie die charismatische Führungspersönlichkeit der nicaraguanischen Kirche immer war, konnte Kardinal Miguel Obando y Bravo mit den befreiungstheologischen Ansätzen, die in seinem Land blühten und zum Teil auch den Einsatz von Gewalt im Programm hatten, nichts anfangen. Er war lange konsequenter Gegner der Sandinisten und der von Volkskirche, erst recht, nachdem Ortega seinen separatistischen Kurs gegenüber Rom zu einer ideologischen Säule seiner Revolutionsbewegung gemacht hatte.

Inzwischen ist es Ortega jedoch gelungen, Kardinal Obando y Bravo auf seine Seite zu bringen. So soll der Präsident im Wahlkampf demonstrativ an Gottesdiensten teilgenommen haben und das Wort “Christentum” zu einem viel gebrauchten Begriff in seiner Kampagne gemacht haben. Eine überraschende Wende. Doch möglicherweise trägt die pragmatische Haltung der Kirche in politischen Fragen ja zur Versöhnung in Nicaragua bei. Zu wünschen wäre es dem Land mit seiner auch 32 Jahre nach der Revolution noch immer tief gespaltenen Gesellschaft.

1983: Papst Johannes Paul II. besucht Nicaragua
Vatikan: Instruktion Librtatis nuntius: Über einige Aspekte der “Theologie der Befreiung”
Vatikan: Notifikation zu dem Buch “Kirche: Charisma und Macht. Versuch einer militanten Ekklesiologie” von Pater Leonardo Boff OFM
Vatikan: Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung

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