Schulden: Die globale Krankheit
Es gibt keine Schulbuchweisheit, wie die Finanzkrise zu bewältigen ist
Denn eine Schuldenkrise von so dramatischen Ausmassen hat es noch nie gegeben. Zwei Zahlen belegen dies: Im vergangenen Jahr wurden weltweit staatliche und private Schuldtitel für 95 Billionen Dollar begeben. Demgegenüber betrug die Marktkapitalisierung aller an Aktienbörsen der Welt gelisteten Unternehmen nur 65 Billionen Dollar. Anders gewertet: Nach der Statistik der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich betrug die Verschuldung 130 Prozent der Wirtschaftsleistung der Welt. In juristischen Termini gesprochen ist das die Insolvenz wegen Überschuldung.
Doch alle Epizentren, ob sie in Amerika, in Japan oder in Europa liegen, sind davon geprägt, dass sich die verantwortlichen Politiker uneins sind, welche Instrumente jetzt zu benutzen sind, um das Schlimmste – was immer das sein mag – zu verhindern oder in seinen Auswirkungen zumindest zu mildern. Die Herabstufung der Bonität der USA durch die grösste Ratingagentur Standard & Poor’s wurde – in der Sache zutreffend – mit dem quälend lang dauernden politischen Streit zwischen den Republikanern und den Demokraten um die Heraufsetzung der staatlichen Verschuldensgrenze begründet.
Im Hintergrund steht die noch nicht beantwortete Frage, ob und wie das politische System Amerikas diese Krise ihrer Finanz- und Wirtschaftsverfassung bewältigen kann. Es ist unverantwortlich, dass grosse Teile der Republikaner die Bewältigung der Verschuldenskrise der USA zum Wahlkampfthema gegen Präsident Obama gemacht haben, so als ginge es nicht um eine international entscheidende Weichenstellung, welche Wohl und Wehe der mächtigsten Währung der Welt betrifft, sondern um eine läppische innenpolitische Querele. Doch Einsicht oder Besserung ist kaum zu erwarten, vor allem nicht bei den Mitgliedern der Tea-Party.
Ähnlich uneinsichtig verhalten sich die Parteien in Japan. Die Opposition sinnt gegenüber der Regierung der Liberalen auf politische Vergeltung und verweigert ihre Zustimmung, sodass die Regierung bislang nicht in der Lage ist, die dringend für den Ausgleich des Haushalts 2011 benötigten Staatsanleihen zu begeben. Diese aber erreichen bereits nahezu 45 Prozent des Staatshaushalts. Und die Verschuldung des Landes liegt – ohne die Bewältigung von Fukushima und seinen Folgen – bei nicht mehr vorstellbaren 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Ähnlich schlecht fallen auch die Noten für die europäischen Politiker aus. Viele kreiden Kommissionspräsident Barroso an, dass er die drastische Anhebung des Rettungsschirms unmittelbar nach den Brüsseler Beschlüssen thematisiert hat. Diese zielten zwar auf die Rettung Griechenlands, doch jedermann ist sich darüber im Klaren, dass eine Rettung von Spanien und auch von Italien nicht mehr mit den Beträgen von 750 Milliarden Euro zu bewerkstelligen ist. Auch hat Barroso mit Recht die Politiker zur Eile angetrieben. Doch Bundespräsident Lammert (CDU) hat wissen lassen, das deutsche Parlament werde die Brüsseler Beschlüsse erst nach der Sommerpause im September parlamentarisch beraten. Das klingt nach business as usual, was jegliches Augenmass für die wahre Dimension der Krise vermissen lässt.
Längst geht es nicht mehr um nationale Feinfühligkeiten. Es geht um die Bewältigung der immensen staatlichen Schuldenkrise. Sie ist kein nationales Phänomen; sie ist nicht auf den Euro und einige Peripherieländer begrenzt. Sie hat auch den Dollar erfasst und den Yen in Mitleidenschaft gezogen. Die Verschuldung ist eine globale Krankheit.
Von Friedrich Graf von Westphalen
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