Das Gewissen Europas
Mit Recht erinnerte der Papst an eine Generation von Geistlichen
Tagespost, 06.06.2011, von Stephan Baier
Es war ein Heimspiel: Anders als in Frankreich, England oder Tschechien konnte Benedikt XVI. darauf vertrauen, dass er in Kroatien als Freund des Landes und unumstrittene moralische Autorität mit Freude, Jubel und höchster Aufmerksamkeit begrüsst würde. Dazu kommt, dass der katholische Glaube, die Kirche, ihre Traditionen und auch ihr Klerus, tief im Volk verankert sind. Ähnlich wie in Polen sind in Kroatien Geschichte und Identität untrennbar mit der katholischen Kirche verwoben. Ähnlich wie in Polen war in Kroatien die Kirche die Gegengesellschaft gegen Fremdherrschaft und Totalitarismus: Die Kirche war jener Raum, in dem zunächst (im serbisch dominierten ersten Jugoslawien) die nationale Kultur und Tradition, später (im kommunistischen Jugoslawien) Menschenwürde, Wahrheit und Freiheit überleben konnten.
Mit Recht erinnerte der Papst an eine Generation von Geistlichen, “die bereit waren zu sterben, um nicht Christus, die Kirche und den Papst zu verraten”. Im Kontrast zum weitgehend säkularisierten Europa sind die Kroaten in ihrer grossen Mehrheit der Kirche treu: nicht nur statistisch, sondern auch in einer tief verwurzelten Volksfrömmigkeit. Umgekehrt schätzten die Kroaten stets die Treue der Kirche zu ihrer Nation und Kultur: 879 anerkannte Papst Johannes VIII. die irdische Macht des Fürsten Branimir; 1991 war Papst Johannes Paul II. der wirkmächtigste Fürsprecher der Anerkennung Kroatiens und ein Verteidiger der katholischen – ethnisch betrachtet kroatischen – Kirche in Bosnien-Herzegowina.
Dennoch war Papst Benedikts Besuch in Zagreb alles andere als eine Lustreise: Der Heilige Vater besuchte ein Kind, das in einer tiefen Orientierungskrise steckt. Während die Europäische Union und das Haager UN-Tribunal im Land immer mehr als bevormundende und demütigende fremde Mächte wahrgenommen werden, trat der Papst als wohlwollende, wegweisende Autorität auf. Seine Aussage, dass Kroatien kulturell immer schon zu Europa gehörte und deshalb einen Platz in der EU haben müsse, verband er mit einer Vision, die auch eine Botschaft an Brüssel ist: Kroatien hat sich laut Benedikt XVI. nicht einfach an ein EU-Regelwerk anzupassen und den Brüsseler Vorgaben zu unterwerfen, sondern seine moralischen Werte und sein christliches Erbe in Europa fruchtbringend einzusetzen. Während der Ausverkauf des Landes und die zahlreichen Vorgaben aus Brüssel vielen Kroaten suggerieren, sie könnten nur gedemütigt und schwach dem vereinten Europa angehören, forderte Papst Benedikt Mut, Kühnheit und Stärke: Kroatien soll und kann dank seiner Tradition dazu beitragen, das christliche Fundament Europas wieder freizulegen.
Mehr noch: Der Papst stellte in seiner Rede im Nationaltheater klar, dass “es für die Krise des Westens kein Heilmittel” gebe und “Europa zum Rückschritt verurteilt” sei, wenn man das Gewissen auf den Bereich des Subjektiven reduziert. Das Gewissen als “Ort des Hörens auf die Wahrheit und das Gute, als Ort der Verantwortung gegenüber Gott und den Menschen” sei dagegen “die Kraft gegen jede Diktatur”. Kein Zweifel: Kroatien, 1519 von Papst Leo X. als “Antemurale Christianitatis” gewürdigt, soll heute wieder ein “Bollwerk des Christentums” sein – gegen die von Benedikt XVI. durchschaute Diktatur des Relativismus.
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